SENDETERMIN So., 11.12.22 | 23:05 Uhr | Das Erste

Indie-Folk-Star Weyes Blood

PlaySängerin Natalie Mering steht auf der Bühne in rotem Licht.
Der Soundtrack zu den Krisen unserer Zeit  | Video verfügbar bis 11.12.2023 | Bild: picture alliance/AP Images | Owen Sweeney

Dem Weltuntergang entgegen. Mit ganz ruhigem Puls. Weyes Blood bringt Folk-Romantik mit Abgründigem zusammen. Süßliche Märchen mit gruseligen Traumwelten. Sie selbst beschreibt: "Ich habe Träume von Aliens oder von einer postapokalyptischen Welt oder von Robotern, die mich infiltrieren. Ich habe ein paar ziemlich wütende, seltsame Erinnerungen an Träume."

Die Referenzen sind: David Lynch und 80er Jahre Slasher Filme. Humor und Horror wechseln bei Weyes Blood in enger Taktung. Sie setzt die Botschaft so, dass man sie nicht vergisst: "Wir sind eine voll funktionierende dysfunktionale Gesellschaft geworden. Ich glaube nicht, dass wir Menschen die Auswirkungen der Technologie auf unser soziales Gefüge gerade wirklich verstehen. Dass in so einer Welt irgendwann nichts mehr von Bedeutung ist, ist gefährlich."

Von Isolation und Entfremdung

Weyes Blood singt von der sozialen Isolierung durch die Kommunikationsmittel von heute. Ihr Song "It’s Not Just Me, It’s Everybody" ( "Das bin nicht nur ich, es sind alle"): Ein Musical der Grausamkeiten, in dem ein Zeichentrick-Smartphone den Menschen Herz und Seele aus dem Körper frisst. 

Die Künstlerin erklärt: "Was echte menschliche Verbindungen betrifft, haben wir einen steten Niedergang erlebt: von der Industrialisierung bis zu dem Punkt, an dem wir jetzt sind. Isolation und ein Mangel an echter Intimität sind zu einem großen weltweiten Problem geworden."

Der düstere Wunsch eine Blume zu sein

Weyes Blood lebt in LA – der Stadt von Joni Mitchell. Den ewigen Vergleich mit ihr hört sie noch immer gern. Ihre Lyrik – ein bisschen wie aus dem Andachts-Heftchen: "Lieber Gott, mach mich zu einer Blume." Klingt romantisch, ist aber wieder abgründig schwarz. Denn um eine Blume zu werden, muss der Mensch erst mal sterben. So ist das: Blumen auf den Gräbern. Statt Blumen im Haar.

Die Sängerin verrät ihre Anlehnung an griechische Mythologie: "Dieses Lied ist wirklich stark vom griechischen Mythos von Narziss inspiriert. Er wird am Ende in eine Blume verwandelt. Die Idee, dass du - sobald du steif bist - zu einer Blume wirst. Dieses biegsame lebendige Ding ist also… der Tod!" 

Nicht mehr nur das "Mädchen in der Band"

Immer wieder: Abschiedslieder. Natalie Mering nennt sich "Weyes Blood" – nach "Wise Blood" von Flannery O’Connor, einem Southern-Gothic-Roman, der berühmt wurde als niedere Komödie von hohem Ernst. Das passt.

Ihre Liebe zur Musik entdeckte sie früh: "Als Kind radelte ich immer mit dem Dreirad im Kreis um die Kücheninsel und erfand Lieder dabei. Mein erstes Lied dachte ich mir mit vier aus. War ziemlich kitschig, aber mir wurde klar, das muss der Anfang gewesen sein."

Ihre Mama: Joni Mitchell Fan. Der Papa: Musiker in einer New Wave Band. Gemeinsamer gröbster Nenner: Enya – und Nirvana. Lange war Natalie nur das "Mädchen in der Band". Erst bei "Jackie-O-Motherfucker". Dann bei: "Drugdealer". Dann: Schnauze voll.

"Wahrscheinlich hat der Erfolg der Beatles dieses Klischee geschaffen, dass Rock and Roll Männersache ist und Frauen nur die Groupies sind. So begann der Sexismus und diese Dynamik. Im Grunde ist es so, als hätten sie den männlichen Rockstar genommen, ihn verweichlichter gemacht, damit er irgendwie das Weibliche und das Männliche zusammen verkörpern kann, und so haben sie unabsichtlich die Frauen von der Gleichstellung abgehalten. Das Konzept des "Mädchens in der Band" fängt damit an: "Ja, wir können einen Posten weiblich besetzen, aber es ist nicht das Gleiche. Sie wird nicht die Frontfrau sein. Sie kann Bass-Spielerin sein oder so was." Sagt die ehemalige Bass-Spielerin, die jetzt Frontfrau ist.

Schaurig schön

Von innen heraus glühen – radikale Sanftheit, bei nahender Apokalypse.

Im Song "It’s Not Just Me, It’s Everybody" heißt es übersetzt: "Wir leben im Gefolge von überwältigenden Veränderungen. Wir sind alle Fremde geworden. Auch uns selbst gegenüber."

Für Weyes Blood ist Musik vor allem eines: "Ich denke, Lieder sind wirklich alchemistisch. Sie nehmen Leiden und Schmerzen, diese Gefühle, von denen wir uns wünschen, wir könnten sie unterdrücken und verwandeln sie in etwas, das wir für immer bewahren wollen."

Die Welt geht unter. Weyes Blood geht auf Tournee.


Beitrag: Andreas Krieger

Tour 2023
28.01. Berlin, Festsaal Kreuzberg
03.02. Köln, Kulturkirche Köln

"And in the Darkness, Hearts Aglow"
Weyes Blood
Label: Sub Pop/Cargo
15,99 Euro

Stand: 11.12.2022 19:06 Uhr

7 Bewertungen
Kommentare
Bewerten

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Bitte beachten: Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern werden innerhalb von 24 Stunden durch die Redaktion freigeschaltet. Es dürfen keine externen Links, Adressen oder Telefonnummern veröffentlicht werden. Bitte vermeiden Sie aus Datenschutzgründen, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Fragen zu den Inhalten der Sendung, zur Mediathek oder Wiederholungsterminen richten Sie bitte direkt an die Zuschauerredaktion unter info@ard.de. Vielen Dank!

*
*

* Pflichtfeld (bitte geben Sie aus Datenschutzgründen hier nicht Ihre Mailadresse oder Ähnliches ein)

Kommentar abschicken

Ihr Kommentar konnte aus technischen Gründen leider nicht entgegengenommen werden

Kommentar erfolgreich abgegeben. Dieser wird so bald wie möglich geprüft und danach veröffentlicht. Es gelten die Nutzungsbedingungen von DasErste.de.

Sendetermin

So., 11.12.22 | 23:05 Uhr
Das Erste

Produktion

Hessischer Rundfunk
für
DasErste