So., 02.07.23 | 23:05 Uhr
Das Erste
Die Ausstellung „Plastic World“
Wie Plastik die Welt und die Kunst verändert hat
Plastik: als wandelbarer Wunderstoff hat es unsere Gesellschaft radikal verändert. Grundstoff unendlichen Konsums aber seit den 60ern auch revolutionäre Spielfläche für Kunst.
„Plastik war neu. Plastik war das nie gesehene Material, das unglaubliche Möglichkeiten bietet. Es war trashig. Es war die Plastikgabel und der Plastikteller und das Kunstwerk“, sagt Martina Weinhart, Kuratorin der Ausstellung „Plastic World“. „Man konnte damit Performances machen, die nur für einen Abend bestanden. Man konnte Schläuche aufpumpen und eine Party darum feiern.“
Von der Plastik-Begeisterung in der Pop-Art bis hin zur Ökokritik von heute: Die Ausstellung „Plastic World“ in der Frankfurter Schirn Kunsthalle zeigt Exponate aus fast 70 Jahren. Eine Geschichte des Plastiks in der Kunst. Manche Werke - wie die Unterwasserwelt von Otto Piene – mussten reproduziert werden.
Zwischen Futurismus, Natürlichkeit und künstlicher Schönheit
„Man muss sich klar machen Plastik ist einfach nicht besonders haltbar. Also wir alle denken, das ist ein ganz stabiles Material, das gilt aber am allerwenigsten für die Arbeiten aus den sechziger Jahren. Es gibt Arbeiten, die existieren heute nur noch in einer sehr angegriffenen Version und wenn man die zeigen will, kann man sie nur reproduzieren. Es gibt Werke zum Beispiel aus Polyurethanschaum, der wird dann so bröselig, dass wir uns entschieden haben, die Arbeit in der Transportkiste zu präsentieren.“
Es geht um Vergänglichkeit und Futurismus, um Natürlichkeit und künstliche Schönheit.
Der formbare weibliche Körper ist in der männlich dominierten Pop-Art omnipräsent. Die Künstlerin Kiki Kogelnik dreht den Spieß um, macht aus den Körperkonturen ihrer männlichen Kollegen schlaffe Vinylschablonen und hängt sie an Bügeln auf.
Als Kollektiv HazMatLab – „das Labor der gefährlichen Stoffe“, experimentieren Tina Kohlmann, Sandra Havlicek und Katharina Schücke mit Nagellack, 3D-Drucken und synthetischem Schleim. „Der Schleim trägt eine Kontroverse in sich, die ich gut finde, die sowohl was super Kindliches und Kindisches hat, aber auch so etwas Invasives, sowas was man eben schwer kontrollieren kann“, sagt Sandra Havlicek.
Das Atelier des Frankfurter Kollektivs ist ein Versuchslabor. Seit sieben Jahren arbeiten sie zusammen. Ihre Kunst bezeichnen sie als kreative Materialforschung.
Forschung mit Kunststoff
„Was uns vielleicht mit der Wissenschaft verbindet, ist, dass wir versuchen, die Ergebnisse der Experimente auch zu dokumentieren. Und vielleicht ein anderer wissenschaftlicher Aspekt könnte sein, dass wir auch Materialien sammeln“, sagt Katharina Schücke.
Sandra Havlicek erklärt: „Wir haben Schleim von 2016, der sich verändert hat. Also seit Anbeginn unserer Zusammenarbeit haben wir das jetzt weiter beobachtet, wie sich Schleim auch entwickelt: offen, zu, jegliche Farbe.“
„Ja. Und es wird eigentlich auch nie was weggeschmissen oder so. Es gibt eigentlich keine Fehlproduktion oder so, sondern irgendwie wird alles weiter benutzt“, Tina Kohlmann.
Sonst ist Plastik ein Wegwerfmaterial! Es ist überall: im Wasser, im Boden, in der Luft. Plastik geht nie wieder weg.
Ein Pilz der Plastik „frisst“
Eine Entdeckung der Yale Universität fasziniert den Künstler Tue Greenfort: ein Pilz im Amazonas Urwald, der Plastik verstoffwechseln kann, vielleicht Müllberge schrumpfen könnte. Sein Werk „Fungi Decomposition“ bildet den Pilz künstlich als 3D-Druck nach.
„Hier geht es mehr oder weniger darum, zu versuchen eine organische Form zu nehmen und zu sehen, inwieweit man sie aus Plastik nachbilden kann und dann ist da dieser Widerspruch zwischen der Form und dem Material. Meine Arbeit ist vielmehr eine Kritik an sich, als eine ästhetische Frage. Ich bin eher interessiert an einer Vision oder einem anderen Blick auf die Welt, einem poetischeren, der aber immer mit einem Problem verbunden ist. Das könnte das Umweltproblem sein. Es könnte die Frage sein, wie wir die Natur verstehen", Tue Greenfort.
Während Pienes Unterwasserwelt früher als verspielte Arbeit gelesen wurde, kann man sie heute auch als kritischen Kommentar zur Vermüllung der Meere sehen. Plastik, das erzählt die Ausstellung, ist nicht per se gut oder schlecht.
„Natürlich zeigen wir hier die Ambivalenz dieses Materials. Das ist ein Dr. Jekyll und Mr. Hyde Material. Es ist unglaublich nützlich, wenn Sie Herzprobleme haben oder eine schwierige Operation oder eine Prothese brauchen. Es ist sicher überflüssig, um einen Liter Milch von A nach B zu transportieren“, sagt Martina Weinhart. „Und in der Kunst ist es einfach ein Material mit unbegrenzten Möglichkeiten, aber auch mit Grenzen.“
Beitrag: Celine Schäfer
Stand: 02.07.2023 23:05 Uhr
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