So., 21.06.20 | 23:35 Uhr
Das Erste
Die "Königin der Kurve" und ihr Vermächtnis
Die Architekturrevolutionärin Zaha Hadid
Mutige, fließende Formen – fast ein Wunder, dass sie zu Stahl, Glas und Beton wurden. Gebäude, die Antwort auf die Frage geben, wie jemand sich die Zukunft vorstellt. Dieser Jemand war Zaha Hadid. Die irakisch-britische Star-Architektin, die 2016 – auf dem Zenit ihrer Karriere – verstorben ist. Sie revolutionierte die Welt der Architektur und schuf Bauwerke, die es so noch nicht gegeben hatte.
"Ich wollte Grenzen überschreiten", sagte Zaha Hadid in einem Interview wenige Jahre vor ihrem Tod. "Ich wusste nicht, wohin das alles führt. Aber irgendwohin sollte es schon gehen. Wenn ich aber eine genaue Vorstellung davon gehabt hätte, wäre es nicht so weit gekommen und ich nicht da, wo ich jetzt bin."
Architektonische Utopie
Jetzt ist posthum ihr gesammeltes Werk erschienen. Zaha Hadid – die wichtigste Architektin des 21. Jahrhunderts. "Königin der Kurve" wurde sie genannt: Dem rechten Winkel und geraden Linien, also den Grundpfeilern traditioneller Architektur, hatte sie den Kampf angesagt.
Ihre Bauten wirken, wie der Design Park in Seoul – regelrecht andersweltlich – von außen wie von innen. Es scheint sogar so, als hätte Hadid die Wirkung der Schwerkraft aufgehoben – oder ihre Gebäude mit unsichtbaren Fäden am Himmel befestigt.
Der Bildband verfolgt Hadids Geschichte ab den späten Siebziger Jahren. Ihr Ansatz ist künstlerisch, die Entwürfe inspiriert von avantgardistischer, abstrakter Kunst. Das brachte ihr schon früh Preise ein, wie für den Entwurf eines Luxus-Ressorts in Hong Kong. Dennoch galten lange Zeit ihre Ideen als nicht umsetzbar, als architektonische Utopie. Erst nach über 15 Jahren, Anfang der Neunziger, wurde ihr erstes Gebäude gebaut: Eine Feuerwache in Weil am Rhein, ein höchst innovativer und eigensinniger Bau. Um so weit zu kommen, musste Hadid energisch und willensstark sein.
"Die Männerbünde sind noch immer da"
In der Dokumentation "Löwin unter Löwen" sagt sie: "Ich musste lange einen hohen Preis bezahlen. Die Leute sagten immer: ‚Wir können nicht mit Zaha arbeiten, sie ist zu kompliziert‘. Zu kompliziert? Wenn ich ein Mann wäre, würde mich keiner so sehen. Aber wenn man als Frau ‚nein‘ sagt, wird man als schwierig hingestellt. Die Männerbünde sind einfach noch immer da und einer Frau ist der Zutritt in diese Welt nicht gestattet."
Zaha Hadid hat sich in der männerdominierten Architekturwelt durchgesetzt: 2004 wurde sie als erste Frau mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet – er gilt als Nobelpreis der Architektur. Heute stehen ihre Bauwerke in der ganzen Welt: Das Science Center "Phaeno” in Wolfsburg, in Rom das preisgekrönte MAXXI, ein Museum für zeitgenössische Kunst und Architektur. Das spacige Opernhaus im chinesischen Guangzhou mit 1800 Sitzplätzen. Auch in ihrer Wahlheimat Großbritannien konnte sie schließlich bauen: Das Schwimmstadion für die Olympischen Spiele wurde 2012 in London eröffnet.
Ihre Ideen leben fort
Für manche Aufträge erntete Hadid Kritik: Es sei unvertretbar für autoritäre Regime wie China und Saudi-Arabien Glanzbauten zu errichten. Sie ließ die politische Seite außen vor und konzentrierte sich auf die künstlerische. "Gut ist nicht gut genug", fand Zaha Hadid. "Du musst kämpfen, wenn du etwas erreichen willst."
Zaha Hadid hat das gelebt – als Frau, als Architektin, als Künstlerin. Ihr Büro besteht bis heute: Über 300 Mitarbeiter führen ihre Ideen weiter und haben Projekte, wie den weltgrößten Flughafen in Peking, auch nach Hadids Tod zu Ende gebracht. Aber sie hat eine Leerstelle hinterlassen. Auch wenn sich heute ein neuer Zeitgeist in der Architektur ankündigt: Für die Zukunft bauen, bedeutet nun auch einen nachhaltigen Umgang mit Umwelt und Ressourcen mitzudenken. Hadids Bauten aber bleiben Wunderwerke.
Beitrag: Sven Waskönig
Stand: 25.06.2020 09:55 Uhr
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