So., 01.06.25 | 23:35 Uhr
Das Erste
100 Jahre Palucca Hochschule für Tanz Dresden
Was diese Universität des Tanzes von anderen unterscheidet
Die Palucca Hochschule für Tanz Dresden in ihrem hundertsten Jahr. Wer hier lernt und studiert, will Tänzer werden. Die jüngsten sind zehn Jahre alt, die ältesten zwischen 18 und 21.
"Dieses Tanzen war mein ganzes Leben lang da, es erfüllt mich"

Mit dem Körper erzählen. Darum geht es. Und darum, wie aus Mühsal Anmut entsteht – und aus Anstrengung ein eigener, unverwechselbarer Ausdruck. Ben Schuffenhauer aus Pirna begann hier mit zehn Jahren, in der fünften Klasse.
Nun, neun Jahre später, steht er vor seinem Abschluss und sagt über seine Liebe zum Tanzen. "Es macht halt irgendwas mit mir. Ich bin so froh drüber, dass ich das machen kann. Ich hatte dieses Gefühl noch nirgendwo anders, dieses Tanzen war einfach mein ganzes Leben lang da und es erfüllt mich."
144 Studierende aus 20 Ländern

144 Schüler und Studenten aus 20 Ländern zählt die Schule. Hier tanzt die Welt. Vom klassischen Tanz bis zur hemmungslosen Improvisation. Juliana Sabino Wilhelm ist Professorin für klassischen Tanz und meint zur Atmosphäre an der Schule:
"Dadurch, dass hier viele Kulturen zusammenkommen, entsteht so eine Leichtigkeit. Man kann einfach so sein, wie man ist. Man lernt zu respektieren, dass andere vielleicht anders sind, aber auch zu schätzen, das andere anders sind."
Luccio Navarro aus Frankreich tanzt, seit er vier ist. Vor drei Jahren bewarb er sich für das begehrte Bachelor-Studium an der "Palucca":
"Ich wusste schon immer von der Palucca-Schule. Ihre ganze Geisteshaltung fand ich interessant. Also dachte ich: Ich versuche, hierher zu kommen."
Gründerin Gret Palucca: Mit Eigensinn und auf schmalem Grat

Ihre Geisteshaltung verdankt die Schule ihrer Gründerin: Gret Palucca. Geboren 1902 in München, wuchs sie in Dresden auf. Sie wollte immer tanzen, ihr erster Ballett-Lehrer hielt sie allerdings für gänzlich unbegabt. Bei Mary Wigman, eine der ersten Großen des modernen Tanzes, fand sie ihren eigenen Ausdruck: Die Gesetze des klassischen Tanzes aufheben, improvisieren statt kombinieren. So avancierte sie zum internationalen Star. Mit nur 23 Jahren gründete sie in Dresden ihre eigene Schule. Weil sie "Halbjüdin" war, wurde die Schule 1939 von den Nationalsozialisten geschlossen.
Dass sie so jung eine Schule begründete, beeindruckt Ben Schuffenhauser, auch wenn er nicht jeden Tag im Studio stehe und denke: "Palucca,Palucca, Palucca", wie er sagt. Dennoch denke er hin und wieder: "Oh krass – ich meine, von uns sind ein paar nahe an der 23 dran, die jetzt erst ihre Ausbildung abschließen."

Nach dem Zweiten Weltkrieg, schon am 1. Juli 1945 eröffnete Gret Palucca ihre Schule neu. Trotz staatlicher Erziehungsvorgaben hielt sie an ihrem Eigensinn fest, kämpfte und taktierte auf dem schmalen Grat zwischen Anpassung und Auflehnung.
Die heutige Rektorin der Hochschule, Katharina Christl, hat sie noch erlebt: "Ich habe 1990 angefangen, an der Palucca-Schule zu studieren und sie noch als Dozentin erlebt. Ich habe sie als sehr energisch wahrgenommen und mit so einer Stärke, als sehr bestimmende Person."
Besonderes Profil der Schule: Klassik, Ausdruckstanz, Improvisation
Das Besondere am Profil der Hochschule sei schon immer die Mischung gewesen, "also Klassik, zeitgenössischer Tanz, Ausdruckstanz, Improvisation."

Wegen dieses Profils zog Anna Krasnikova vor drei Jahren von Moskau nach Dresden. "Es ist kein Problem für mich, jeden Tag zu üben und diszipliniert zu sein. Das habe ich in meiner alten Schule gelernt", erzählt die junge Frau.
Was sie dort irgendwann störte, waren die strikten Anweisungen, die sie immer mehr als limitierend empfand: "Irgendwann dachte ich, dass ich mich nicht mehr als Tänzerin weiterentwickle und dass es noch etwas anderes gibt als Ballett. Also wollte ich modernen Tanz ausprobieren. Und an der 'Palucca' gibt es viel Freiheit, deine eigene künstlerische Stimme zu erforschen."
"Ich will keine Nachahmer erziehen!"
"Ich will keine Nachahmer erziehen!" – so lautete das Credo von Gret Palucca bis zu ihrem Tod 1993. Sie wollte die Schüler zu schöpferischen, eigenständigen Menschen ausbilden. Diesem Anspruch wird hier weiter nachgegangen. Um die 20 Studienplätze bemühen sich jedes Jahr mehr als 200 Bewerber aus der ganzen Welt.

Juliana Sabino-Wilhelm, die Professorin für Tanz, ist sichtlich bewegt, wenn sie sie sieht, was am Ende des Studiums aus den jungen Menschen geworden ist, die sie mit zehn, 14 kennengelernt hat: "Man merkt, was für Menschen daraus geworden sind und wo sie jetzt sind. Es sei schön zu wissen, dass sie weiter tanzen: "Egal wo, ehrlich gesagt." Es komme darauf, "dass sie sich erfüllen, dass Sie eine Chance bekommen, das zu tun, was sie machen wollen."
Bei der Abschlussprüfung verabschiedet sich Ben Schuffenhauer mit einem selbst kreierten Tanzstück von seinem Studium. Neun Jahre Ausbildung liegen hinter ihm. Nun beginnt seine Karriere – am Ballett National de Marseille.
Autor TV-Beitrag: Lutz Pehnert
Stand: 01.06.2025 22:01 Uhr
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