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Henry Kissinger

Über Staatskunst in Zeiten von Krise und Umbruch

Henry Kissinger
Elder Statesman Henry Kissinger | Bild: WDR
Henry Kissinger und Margaret Thatcher
Margareth Thatcher und Henry Kissinger in London, 3. Dezember 1986 | Bild: picture alliance/ASSOCIATED PRESS

Er war einer der einflussreichsten Politiker der vergangenen Jahrzehnte: Henry Kissinger, ehemaliger Sicherheitsberater und US-Außenminister, Friedensnobelpreisträger und Altmeister der amerikanischen Diplomatie. Auch heute noch, angesichts einer sich dramatisch wandelnden Weltordnung, hat sein Wort Gewicht. Jetzt erscheint im C. Bertelsmann-Verlag sein jüngstes Buch "Staatskunst". Am Beispiel von sechs Staatenlenkern, denen er persönlich begegnet ist – Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, Richard Nixon und Anwar el-Sadat, Lee Kuan Yew und Margaret Thatcher –, zeigt er, wie politische Führung entsteht und was sie heute bedeutet. "Gemeinsam hatten all diese Persönlichkeiten den Sinn für die Realität und zugleich eine starke Vision, ihre Gesellschaft, ihr Land zukunftsfähig zu machen  – so wie veränderte Umstände es erforderten."  ttt hat Henry Kissinger in New York getroffen.

Karriere in Wissenschaft und Politik

"Die Führungspersönlichkeiten unserer Zeit brauchen so viel Energie für das Tagesgeschäft, also dafür, die unmittelbaren Probleme der Gegenwart zu lösen, dass sie nicht auch noch über die geschichtlichen Zusammenhänge ihres Tuns nachdenken, sie zur Kultur ihrer Gesellschaft in Beziehung setzen können. Schwierig ist das, sehr schwierig."

Henry Kissinger selbst blickt auf fast ein ganzes Jahrhundert zurück. Vor wenigen Wochen hat er seinen 99. Geburtstag gefeiert. Geboren wurde er am 27. Mai 1923 als Heinz Alfred Kissinger in Fürth. 1938 emigrierte die jüdische Familie aus dem nationalsozialistischen Deutschland in die USA und ließ sich in New York nieder. Ende des Zweiten Weltkrieges kam er als US-Soldat nach Deutschland und kehrte 1947 in die Vereinigten Staaten zurück.

Seine Karriere begann er als Politikwissenschaftler. Nach Studium und Promotion war er Professor in Harvard und knüpfte enge Kontakte zum außen- und sicherheitspolitischen Establishment. Im November 1968 gewann der Republikaner Richard Nixon die Präsidentschaftswahl und machte Kissinger zu seinem offiziellen Berater für Außen- und Sicherheitspolitik.

US-Außenminister

Henry Kissinger und Richard Nixon
Der damalige US-Präsident Richard Nixon mit Henry Kissinger, 1972 | Bild: dpa

1973 wurde er Außenminister – als erster nicht in den USA geborener Amerikaner. Das Amt behielt er auch nach Nixons Rücktritt in der Regierung von Gerald Ford bis zum Januar 1977. Sein Agieren im Vietnamkrieg, seine Rolle beim Putsch in Chile, seine Nähe zur argentinischen Militärjunta, sein raffinierter Umgang mit den Großmächten Sowjetunion und China werden kontrovers beurteilt. Unterm Strich jedoch galt und gilt er als genialer Stratege, der die Weltordnung mitkonzipierte.

Einflussreicher Berater

Mit Jimmy Carters Einzug ins Weiße Haus im Januar 1977 endete Kissingers politische Karriere. Als Berater aber blieb er weiterhin eine maßgebliche Größe in der amerikanischen Sicherheits- und Außenpolitik, geschätzt für seine scharfsinnigen Analysen und hellsichtigen Prognosen. Bis heute mischt er sich in aktuelle Debatten ein, zuletzt mit seiner Warnung vor einer "demütigenden Niederlage Russlands", die die Stabilität der Welt auf lange Zeit gefährden würde. "Ich habe Putin immer für analytisch und rational gehalten. Und war jetzt sehr überrascht, dass er die Ukraine in dieser massiven Weise angegriffen hat. Ich dachte wirklich, er wäre schlauer beim Verfolgen seiner Ziele."

Für sein Buch "Staatskunst" hat er aus seinem reichen Erfahrungsschatz geschöpft. Über Konrad Adenauer, den ersten deutschen Bundeskanzler, sagt er: "Erfolgreich war er deshalb, weil er einerseits darauf bestand, dass dieses Deutschland seine Verbrechen vor der Welt zugab. Zugleich sah er vor seinem geistigen Auge das Land schon als Teil eines Europas, das Deutschland als gleichberechtigten Partner brauchte."

Am Beispiel der sechs Staatenlenker zeigt Kissinger, wie aus dem Zusammenspiel von Strategie, Mut und Charakter politische Führung erwächst. Und er mahnt: Politik ohne Moral führt ins Desaster. "Die Frage, die sich jede Gesellschaft beantworten muss lautet so: Wie kann man aus den Zwängen des politischen Alltagsgeschäfts eine Vision der Zukunft destillieren? Denn ohne die gibt es keinen Ausweg aus unserer komplex verfahrenen Gegenwart. "

Buchtipp

Henry Kissinger: Staatskunst.
Sechs Lektionen für das 21. Jahrhundert.
C. Bertelsmann 2022, Preis: 38 Euro
Erscheint am 04. Juli 2022

Autor des TV-Beitrags: Andreas Lueg

Die komplette Sendung steht am 03. Juli  ab 18 Uhr zum Abruf in der Mediathek bereit.

Stand: 03.07.2022 19:19 Uhr

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