So., 15.05.22 | 23:20 Uhr
Das Erste
Kinshasas Subkultur
Das "Costume Art Project" des belgischen Fotografen Kris Pannecoucke
Kinshasa ist eine afrikanische Megacity mit einer vitalen Subkultur. Dazu gehören die Performancekünstler, die die Stadt als Kulisse für ihre Interventionen nutzen. Sie tragen Kostüme aus Alltagsdingen und bringen mit ihrer Kunst soziale, ökonomische und ökologische Probleme auf die Straße: Umweltverschmutzung, Armut, Korruption und Gewalt. Der belgische Fotograf Kris Pannecoucke hat sie für sein "Costume Art Project" mit der Kamera begleitet und sie als reine Kunstobjekte mit der Ausstrahlung und Wucht antiker Statuen fotografiert.
Gegen Gewalt und Korruption

Kris Pannecoucke ist in Kinshasa geboren und aufgewachsen. Heute lebt er in Belgien. Er kennt die Demokratische Republik Kongo und ihre Bewohner gut, interessiert sich sowohl für die Schönheit als auch die Probleme des Landes. Seine Fotos erzählen von der pulsierenden Energie der kongolesischen Hauptstadt, aber auch vom täglichen Existenzkampf der Menschen. "In Kinshasa gibt es oft Stromausfall. Dann gibt es kein Licht, und es ist sehr gefährlich für Frauen, auf die Straße zu gehen", sagt er.
Gewalt gegen Frauen – das ist auch eines der Themen der Künstlerin Falonne Mambu. Sie trägt ein Kostüm aus elektrischen Drähten, mit denen sie auf die Gefahr durch die Blackouts in den Slums aufmerksam macht. "Wenn mal wieder eine Frau vergewaltigt wurde und Frauen gegen sexuelle Gewalt demonstrieren, dann zieht Falonne ihr elektrisches Kostüm an und geht mit", so Kris Pannecoucke.

Flory Sinanduku, Absolvent der Kunsthochschule in Kinshasa, hat sich in den letzten Jahren vor allem mit dem Problem der Korruption auseinandergesetzt. Die Demokratische Republik Kongo könnte als eines der rohstoffreichsten Länder der Welt wohlhabend sein. Doch die Eliten bereichern sich schamlos und beuten die Bevölkerung aus. Mit einem Kostüm aus über 5000 Spritzen weist Flory Sinanduku auf die katastrophalen Missstände im Gesundheitssystem hin: "Jede dieser Spritzen steht für einen Toten, der wegen der schlechten medizinischen Versorgung gestorben ist", sagt er. "Auch meine Mutter war ein Opfer dieses Systems. Sie musste sterben, weil sie sich die Behandlung nicht leisten konnte. Wenn du bei uns krank bist und einen Arzt brauchst, ist es sehr schwierig. Alles ist sehr teuer. Und wenn du kein Geld hast, stirbst du einfach."
"Der Krieg ist ein Monster"
Die exzentrischen Puppenkostüme von Shaka Fumu Kabaka haben Kris Pannecoucke besonders beeindruckt. Er stammt Kisangani, einer Stadt im Osten des Landes, in der bis heute Krieg herrscht. "Ich will die Geschichte, das Gefühl darstellen, das ich selbst erlebt habe: die Angst. Vielen Leuten macht mein Kostüm Angst, so wie ich selbst Angst hatte im Krieg. Der Krieg ist ein Monster, wie ich es sonst nie gesehen habe, und ich trage ihn bis heute in mir: all die Gräuel und die Toten, die ich in meiner Kindheit und Jugend im Krieg gesehen habe."
Kris Pannecoucke sieht in der Kunst der Performer eine Metapher für die Überlebensfähigkeit der Menschen im Kongo. "Diese Künstler holen ihre Objekte von der Straße, aus dem Müll, und machen daraus großartige Kunstwerke", sagt er. "Mich erinnert ihre Kunst an die vorkolonialen Kulturen. Bei den Stammesritualen spielten ja Masken und aufwändige Kostüme eine wichtige Rolle. Und das passt erstaunlich gut in eine ganz aktuelle Auffassung von Performance-Kunst." Demnächst wird er sein "Costume Art Project" auch in Deutschland ausstellen.
Autor des TV-Beitrags: Joachim Gaertner
Die komplette Sendung steht am 15. Mai ab 18 Uhr zum Abruf in der Mediathek bereit.
Stand: 15.05.2022 17:13 Uhr
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