So., 15.05.22 | 23:20 Uhr
Das Erste
Protest-Tour gegen den Krieg
Pussy-Riot Aktivistin Marija Aljochina über ihre spektakuläre Flucht, Putin und die Ignoranz des Westens
Sie machen gerade wieder Schlagzeilen: Pussy Riot, das kreml-kritische feministische Punk-Kollektiv. Am 12. Mai startete in Berlin ihre Antikriegstour durch 19 europäische Städte. Vor wenigen Tagen gelang der Aktivistin Marija " Aljochina unter spektakulären Umständen die Flucht aus Russland. ttt hat sie in Berlin getroffen.
"Punk-Gebet" gegen Putin
Sie erheben ihre Stimme gegen den Krieg in der Ukraine und nennen ihre Europa-Tour "Riot Days". Basierend auf dem gleichnamigen Buch von Marija Alyokhina kombiniert das Konzert Musik, Theater und Video. Mit dem Erlös sollen minderjährigen Kriegsflüchtlinge und ein Krankenhaus in der Ukraine unterstützt werden.

"Ich bin froh, dass ich hier wieder auftreten und offen mit Menschen sprechen kann", sagt Marija Aljochina. "In Russland ist das gerade unmöglich." Die Pussy-Riot-Aktivistinnen wurden vor zehn Jahren weltbekannt, als sie am 21. Februar 2012 in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale mit einem schrillen "Punk-Gebet" die Allianz von Kirche und Staat anprangerten. Marija Aljochina und zwei ihrer Bandkolleginnen wurden verhaftet und zu zwei Jahren Straflager verurteilt. Ihre Berufung war erfolglos. Ende 2013 wurden sie im Rahmen einer Amnestie begnadigt und freigelassen.
Marija Aljochina blieb aber weiterhin im Fokus der russischen Strafverfolgungsbehörden, unter anderem wegen ihres Engagements für den inhaftierten Dissidenten Alexej Nawalny. Zuletzt stand sie unter Hausarrest und sollte in ein Straflager überstellt werden. Jetzt gelang ihr die Flucht aus Russland. Als Essenslieferantin verkleidet, trickste sie ihre Überwacher aus.
"Beinahe faschistisches Regime"
Das Russland von heute hält sie für einen Staat nach Orwell-Manier. "In den letzten zehn Jahren ist Russland von einem autoritären Regime zu einem beinah faschistischen System mutiert. Tausende, die diesen Machtmissbrauch nicht akzeptieren, wurden eingekerkert, Oppositionelle vergiftet und ermordet."
Die "Riot Days" erzählen Marija Aljochinas Geschichte, aber auch die Geschichte anderer Regimegegner. Dass sie zu wenig und zu spät gehört wurden, ist ihr großer Vorwurf an den Westen. Er habe Putin sträflich unterschätzt – auch noch nach der Krim-Annexion. "Es gab hunderte und tausende Menschrechts-Organisationen, Verteidiger, Künstler wie uns, Politiker wie Alexeji Nawalny, die in diesen acht Jahren immer wieder davon sprachen, warnten, geradezu um Aufmerksamkeit schrien dafür, dass Putin sich mit der Krim nicht zufriedengeben würde.", sagt sie. Passiert sei nicht. "Jetzt, wo das Blut schon in die Erde gesickert ist, gibt es endlich Reaktionen. Es wäre ohne dieses Blut gegangen, ohne den furchtbaren Preis, den die Ukraine dafür zahlt, dass nun auch der Letzte begreift, wer Putin wirklich ist. Das ist für mich das Allertraurigste."
Seit ihrer Gründung haben Pussy Riot nichts unversucht gelassen, Putin und sein System zu attackieren. Und sie wiederholen auch jetzt auf der Bühne ihre Botschaft: Russland wird frei sein. "Als erster Schritt muss ein Tribunal stattfinden – nicht nur Putin muss vor Gericht, sondern alle Verantwortlichen, besonders seine Propagandisten. Sie alle sind Kriegsverbrecher und sie müssen verurteilt werden."
Autor des TV-Beitrags: Andreas Lueg
Die komplette Sendung steht am 15. Mai ab 18 Uhr zum Abruf in der Mediathek bereit.
Tourtermine in Deutschland
- 17. Mai: München, Kammerspiele
- 18. Mai: Stuttgart, Renitenztheater
- 23. Mai: Hamburg, Elbphilharmonie
- 24. Mai: Lich, Kino Traumstern
- 27. Mai: Tübingen, Sudhaus
- 28. Mai: Völklingen, Völklinger Hütte
Stand: 15.05.2022 17:12 Uhr
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