So., 18.09.22 | 23:05 Uhr
Das Erste
"Im Rausch. Russlands Krieg"
Innensicht eines verfolgten Autors und ehemaligen Soldaten
Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat der Krieg unzählige Tote gefordert. Rund fünf Millionen Menschen sind auf der Flucht. Und trotz einer möglichen Wende ist ein Ende nicht abzusehen. Die Grauen des Krieges hat Arkadi Babtschenko in mehreren Büchern geschildert. Jetzt ist bei Rowohlt Berlin "Im Rausch" erschienen, eine wütende Abrechnung mit Russlands Aggression. ttt hat den Journalisten und Schriftsteller in Berlin getroffen.
Verrohung im Krieg
Arkadi Babtschenko, 1977 in Moskau geboren, ist ein profunder Kenner des Krieges und einer der schärfsten Kritiker des Putin-Regimes. In den 90er Jahren hat er als russischer Soldat in den beiden Tschetschenienkriegen gekämpft. Die Verrohung hat er in dem aufwühlenden Buch "Die Farbe des Krieges" beschrieben, das 2007 auf Deutsch erschien. Über den Kaukasus-Krieg 2008 und die Unruhen in Süd-Kirgisistan 2010 berichtete er als Kriegskorrespondent.
Im Exil
Nach Morddrohungen verließ er im Februar 2017 Russland, lebte eine Zeitlang in der Ukraine, dem Geburtsland seiner Großeltern, und ist jetzt wieder im Exil. 2018 machte er international Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass der ukrainische Geheimdienst seine Ermordung vorgetäuscht hatte, um den russischen Drahtziehern eines Mordkomplotts auf die Spur zu kommen. Er selbst relativiert die Fragwürdigkeit der fingierten Aktion. "Ich wurde um Hilfe gebeten. Natürlich sollte auch mein Leben gerettet werden, aber es sollte auch diese Befehlskette aufgedeckt werden. Man muss schon ein kompletter Idiot sein, wenn man da sagt: Nein, sollen die anderen doch umgebracht werden, mir verbietet das die journalistische Ethik."
Wütende Anklage
Sein Buch "Im Rausch" ist über einen Zeitraum von zehn Jahren entstanden. Arkadi Babtschenko warnt darin zugespitzt und mit drastischen Worten vor dem russischen Expansionsdrang. "In den vergangenen 70 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gingen von Russland 40 kriegerische Interventionen aus, alle auf fremdem Territorium, alles Eroberungskriege." Heute lesen sich seine Texte geradezu prophetisch. Er selbst kann nicht begreifen, wieso die russische Opposition seine Warnungen nicht gehört hat: "Ich habe zehn Jahre lang geschrieben: Flieht, ihr Dummköpfe. Es wird Krieg geben, Faschismus, den Gulag. Es wird nur schlimmer, haut ab. Und dafür haben sie mich einfach nur gehasst."
Für seine ehemalige Heimat hat er nur noch Verachtung übrig: "Russland ist in die Ukraine einmarschiert und hat uns das Haus meines Opas in Henitschesk weggenommen, schon zum zweiten Mal. Und dann sagen die: Du wurdest doch in Moskau geboren, das heißt, du bist Russe. Die sollen sich ins Knie ficken. Wäre ich im Pferdestall geboren, wäre ich doch auch kein Pferd, oder? Ich sage heute: Ich bin Ukrainer. Geht zum Teufel."
Appell an Europa

Tagebuchartig beschreibt er die Ereignisse nach dem 24. Februar, lobt den Mut der Ukrainer und geißelt den Wahnsinn der Russen. "Das Wichtigste, das Europa verstehen muss: An den Ostgrenzen Europas hat sich ein neues faschistisches Reich gebildet, mit einem wahnsinnigen Führer." Für ihn gibt es nur einen Weg aus dem Krieg: "Im Interesse Europas bleibt die wichtigste Investition die Bewaffnung der Ukraine. Gebt der Ukraine Waffen. Denn wenn die Ukraine verliert, dann kommt der Krieg nach Europa." Verhandlungen hält er für sinnlos. Ob er damit Recht hat, wird die Zukunft zeigen.
Buchtipp
Arkadi Babtschenko: Im Rausch.
Russlands Krieg
Rowohlt Berlin 2022, Preis: 22 Euro
Autorin des TV-Beitrags: Claudia Kuhland
Die komplette Sendung steht am 18. September ab 20 Uhr zum Abruf in der Mediathek bereit.
Stand: 18.09.2022 19:21 Uhr
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