So., 19.03.23 | 23:05 Uhr
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Das grüne Universum des Pflanzenforschers Stefano Mancuso
Die Pflanze, das unbekannte Wesen? Für den Neurobiologen Stefano Mancuso gilt das nicht. Er ist Professor an der Universität Florenz und leitet das Laboratorio Internazionale di Neurobiologia Vegetale. Er hat schon viele Bestseller über sein Forschungsgebiet geschrieben und ist einer der führenden Vertreter des "Nature Writing". Jetzt erscheint sein neues Buch "Die Welt der Pflanzen" im Klett Cotta Verlag. ttt hat ihn in Florenz getroffen.
"Nature Writing"
Stefano Mancuso taucht tief ein in eine Welt, die wir zwar zu kennen glauben, deren Geheimnisse uns aber doch völlig fremd sind. Was seine Bücher von rein naturwissenschaftlichen Werken unterscheidet, ist die Art der Annäherung an das, was er sieht. Er beobachtet, schildert seine sinnlichen Eindrücke, lässt die eigenen Emotionen einfließen und reflektiert das Zusammenspiel von Natur und Kultur – immer aus einer ökologischen Perspektive, der das Miteinander, nicht das Gegeneinander von Mensch und Umwelt zentral ist.
"Blindheit gegenüber den Pflanzen"
Pflanzen, so Stefano Mancuso, sind die Grundlage unserer Zivilisation. Sie erst machen das Leben auf der Erde, wie wir es kennen, möglich. "Wir stehen vor einem Paradox", sagt er, "die Pflanzen repräsentieren 86 Prozent des Lebens. Wir Tiere dagegen nur 0,3 Prozent. Und trotzdem, wenn wir uns die Geschichten angucken, in Büchern, in Filmen: Sie erzählen immer von uns, den Menschen. Das ist ungefähr so, als wollte einer ein Buch über Rom schreiben, in dem die Römer nicht vorkommen." Unsere anthropozentrische Sicht auf die Welt erklärt er mit unserer Blindheit gegenüber den Pflanzen: "Wir sind als Gattung im Grün aufgewachsen. So viel davon war um uns herum, dass wir es in unseren Hirnen als irrelevant weggefiltert haben. Diese Blindheit gegenüber den Pflanzen war am Anfang der Menschheitsgeschichte ein Vorteil für die weitere Evolution, heute aber ist sie ein Riesenproblem. Denn sie verhindert effektiv, dass wir begreifen, wie das Leben funktioniert."
Was die Pflanzen uns lehren

Über die außerordentlichen Fähigkeiten der Pflanzen, die wir gewöhnlich eher der Fauna als der Flora zuschreiben, hat Stefano Mancuso mehrere Bücher geschrieben. Das in Deutschland bisher bekannteste ist "Die Intelligenz der Pflanzen". Von pflanzlicher Intelligenz zu sprechen, ist ein Reizwort in der Wissenschaft und Mancuso nicht unumstritten in seiner Zunft. Wenngleich Pflanzen über kein Gehirn und Nervensystem verfügen schreibt ihnen Mancuso intellektuelle Fähigkeiten zu, was die Vielfalt ihres Wahrnehmungs-Kommunikations- und Reaktionsvermögens, ihren Umgang mit eigenen Ressourcen und ihre Problemlösungskompetenz anbetrifft. Im Laufe der Evolution ungeahnte Fähigkeiten entwickelt, Bedrohungen zu begegnen. Davon können und sollten wir lernen. "Wir stehen vor dem globalen Problem der Erderwärmung und fragen uns: Wie können wir die Temperatur des Planeten senken, wir kriegen wir das CO2 wieder aus der Atmosphäre? Pflanzen, Bäume vor allem, sind dabei unsere größten Verbündeten. Wenn wir also eine halbwegs vernünftige Spezies wären, würden wir das Gros unserer Energie in die Wiederbewaldung der Erde investieren."
"Das große Epos des Lebens"
In seinem neuen Buch erzählt Stefano Mancuso, wie Pflanzen mit Ereignissen der Alltags- und der Weltgeschichte verbunden sind. "Ich habe mir gedacht, ich erzähle mal, wie Pflanzen am Anfang aller Geschichten stehen. Es geht darum, wie wir unsere Städte bauen sollten. Um den Grundstoff für Musikinstrumente, es geht um Reisen ins All und sogar um die Aufklärung von Verbrechen. All diese Geschichten im Buch verbindet eines: Ihre Protagonisten sind immer die Pflanzen."
Mancusos eindrucksvolle Beispiele zeigen, wie eng Mensch und Pflanze verbunden sind, "wie sie im großen Epos des Lebens miteinander verschmelzen". Und sie machen deutlich, dass wir noch mehr von ihnen lernen können: dass das Überleben nicht davon abhängt, wer der Stärkere ist, sondern davon, wie gut wir als Gemeinschaft kooperieren.
Buchtipp
Stefano Mancuso: Die Welt der Pflanzen
… und wie sie Geschichte machen
Klett Cotta 2023, Preis: 25 Euro
(erscheint am 18. März 2023)
Autor des TV-Beitrags: Andreas Lueg
Die komplette Sendung steht am 19. März ab 20 Uhr zum Abruf in der Mediathek bereit.
Stand: 19.03.2023 18:48 Uhr
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