So., 29.01.23 | 23:05 Uhr
Das Erste
KI und die Kultur
Wie verändert ChatGPT die Kunst?
"Künstliche Intelligenz" – die einen feiern sie als Tor zu unbegrenzten Möglichkeiten. Die anderen sehen in ihr eine Bedrohung für die Menschheit. Aus unserem Alltag ist sie längst nicht mehr wegzudenken: vom "Googeln" über das Auto-Navi bis zur Gesichtserkennung. Was aber hat KI mit Kunst zu tun? Darüber hat ttt mit der Musikerin Charlotte Brandi, dem Philosophen Markus Gabriel und dem Schriftsteller Juan S. Guse gesprochen.
Der Hype um ChatGPT
Es gibt Software, die Bilder generiert, Tools, die Musik produzieren, Anwendungen, die Texte schreiben. Und dann gibt es ChatGPT. Als das US-amerikanische Tech-Unternehmen OpenAI die Software Ende November 2022 kostenlos zugänglich machte, sorgte es weltweit für Aufsehen. Bis heute hat der Hype nicht nachgelassen. Anders als frühere Tools kann ChatGPT Texte und Dialoge verfassen, die genauso klingen, als seien sie von Menschen gemacht. Die Software ist in der Lage, Unmengen an Daten zu verarbeiten. Sie trainiert sich selbst und arbeitet nach dem Prinzip des "bestärkenden Lernens". Ziel ist es, nach dem Vorbild des menschlichen Nervensystems künstliche neuronale Netze entstehen zu lassen.
Texte im Stil von Nick Cave?

Markus Gabriel, Philosoph an der Universität Bonn ist fasziniert von den Möglichkeiten, die wir durch KI in Zukunft haben werden: "Farbe ist ja auch nicht die Ausgeburt eines menschlichen Gehirns, sondern musste produziert werden auf hochkomplexe Weise. Es gibt eine Kunstgeschichte der Farbherstellung, und so haben wir es heute zu tun mit einer Kunstgeschichte der Herstellung und der Programmierung und ihrer Elektrifizierung."
ChatGPT kann E-Mails, Referate oder Examensarbeiten verfassen – und zwar so gut, dass einige Schulen in den USA das Programm bereits verboten haben. Es soll aber noch mehr können – nämlich kreativ sein. Der Musiker und Dichter Nick Cave allerdings ist wenig begeistert davon, dass ChatGPT Texte angeblich in seinem Stil schreibt.
"Ich glaube, es ist tatsächlich ein Missverständnis, wenn man glaubt, dass eine KI im Stil von Nick Cave etwas produziert", sagt Markus Gabriel, "weil es den Stil von Nick Cave bei genauerer Betrachtung nicht gibt. Jedes Werk von Nick Cave ist letztlich singulär."
"KI kann nicht fühlen"
Ähnlich urteilt die Musikerin Charlotte Brandi, die in diesen Tagen ihr neues Album "An den Alptraum" herausgebracht hat. Sie hat lange dafür gekämpft, sich mit ihren eigenen künstlerischen Entscheidungen auf dem männlich dominierten Musikgeschäft durchzusetzen. "Es wird sich lustig gemacht über mein Hirn als Musikerin, über die Fähigkeit, mir etwas auszudenken, aus eigener Kraft, und das niederzuschreiben, aufzunehmen, zu übersetzen, anderen Menschen beizubringen. Eine künstliche Intelligenz kann, glaube ich sehr viel. Aber sie kann nicht fühlen."
KI als Sparringpartner

Der Schriftsteller Juan S. Guse sieht es sportlich. ChatGPT ist für ihn eine Art Sparringpartner. "Ich benutze es vor allem ex negativo. Wenn ich eine Prämisse rein füttere und der kommt auf dieselben Ideen wie ich, dann finde ich das erst mal fragwürdig. Ich will nicht die Maschine sein, ich will nicht wie die Maschine klingen, oder ich will das, was die Maschine antizipiert, in irgendeiner Weise unterwandern. Und dann ist es ja genau der gegenteilige Effekt. Dann schaltet es ja quasi eher Ressourcen frei."
Angst vor der KI hält Markus Gabriel jedenfalls für unbegründet. "Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das ein komplexes Bild seiner selbst hat und dadurch imstande ist, KI-Systeme als Modelle seiner selbst zu produzieren. Ich denke also, dass wir nicht im Zeitalter angekommen sind eines Posthumanismus, einer Überschreitung des Menschen, sondern eigentlich im Zeitalter, in dem wir feiern sollten, welche Errungenschaften wir hier generiert haben, und nicht Angst haben sollten vor unseren eigenen Technikprodukten."
Autor des TV-Beitrags: Max Burk
Die komplette Sendung steht am 29. Januar ab 20 Uhr zum Abruf in der Mediathek bereit.
Stand: 29.01.2023 17:42 Uhr
Kommentare