So., 29.01.23 | 23:05 Uhr
Das Erste
Aufruf zum Widerstand
Der Dokumentarfilm "Sieben Winter in Teheran"
Teheran im Oktober 2014: Eine Familie auf dem Weg ins Gefängnis. Ein letzter Besuch bei der Tochter, die am nächsten Tag hingerichtet wird. Regisseurin Steffi Niederzoll dokumentiert in "Sieben Winter in Teheran" den Justizskandal um die junge Iranerin Reyhaneh Jabbari, der weltweit für Aufsehen sorgte. Für ihren Film konnte sie Videoaufnahmen der Familie verwenden und ausführliche Gespräche mit der Mutter führen. Die WDR-Koproduktion feiert ihre Welturaufführung auf der diesjährigen Berlinale. "Sieben Winter in Teheran" ist als Eröffnungsfilm der Sektion "Perspektive Deutsches Kino" am 17. Februar zu sehen.
Ein Tag im Juli 2007
Reyhaneh Jabbari studierte in Teheran Informatik und arbeitete nebenbei als Inneneinrichterin im Büro eines Freundes der Familie. Im Juli 2007 bekam sie ein neues Jobangebot: Der ehemalige Agent und Familienvater Morteza Abdolali Sarbandi beauftragte sie, seine neuen Geschäftsräume einzurichten.
Ein paar Tage später nahm er die damals 19-Jährige mit in eine leerstehende Wohnung und versuchte, sie zu vergewaltigen. In Notwehr griff Reyhaneh Jabbari nach einem Messer, stach ihm in den Rücken und floh. Sie rief zwar noch den Notdienst. Doch Sarbandi war nicht zu retten. Er starb kurze Zeit später im Krankenhaus. So schilderte die Studentin den Tatverlauf vor Gericht, wo sie sich wegen Mordes zu verantworten hatte. 2009 wurde sie nach dem Vergeltungsgesetz der Blutrache Qisās zum Tode verurteilt.
Weltweite Proteste

Das Urteil sorgte international für Empörung. Iranische Künstler protestierten. Menschenrechtsorganisationen und die Vereinten Nationen zeigten sich entsetzt von dem Verfahren. Es habe keinen fairen Prozess gegeben. Unter anderem seien am Tatort Kondome und Betäubungsmittel gefunden worden, ohne dass dies im Urteil berücksichtigt worden wäre. Doch die Justiz ließ sich nicht zu einer Revision bewegen. "Morteza Sarbandi hat früher für den Geheimdienst gearbeitet", sagt Steffi Niederzoll. "Das bedeutet, dass die Regierung ihn schützen möchte. Egal welche Beweise es gibt, die für Reyhanehs Version der Selbstverteidigung sprechen – die sind alle entweder verschwunden, nicht mehr zur Sprache gekommen, Richter wurden ausgetauscht."

Allein die Familie Sarbandis hätte nach iranischem Recht die Hinrichtung abwenden können. Sie verlangte allerdings die Rücknahme des Vergewaltigungsvorwurfs, damit die Ehre der Familie wiederhergestellt werde. Reyhaneh Jabbari lehnte das ab. In den Morgenstunden des 25. Oktober 2014 wurde sie im Gefängnis gehängt. "Wenn das Leben so zuschlägt, fühlst du dich vollkommen allein, in größter Finsternis", sagt ihre Mutter Shole Pakravan. "Keine Hoffnung, kein Licht. Und du bittest Gott: Bitte Gott! Bitte töte mich."
Ikone des Widerstands
Bis zu ihrem Tod hatte Reyhaneh Jabbari siebeneinhalb Jahre im Gefängnis verbracht. Dort lernte sie Frauen aus unterschiedlichen sozialen Schichten kennen und begann, Texte über die Unterdrückung der Frau durch die islamischen Gesetze zu schreiben, die sie mit Hilfe ihrer Mutter veröffentlichte. Die Schauspielerin Shole Pakravan wurde selbst zur Aktivistin gegen die Todesstrafe. 2017 ging sie ins Exil, weil ihr im Iran die Inhaftierung drohte.
Gemeinsam mit Steffi Niederzoll erfüllt sie nun Reyhanehs letzten Willen und erzählt die Geschichte ihrer Tochter. Wenn die Menschen ihre Angst überwinden, so lautet ihr Vermächtnis, hat kein Regime der Welt eine Chance. "Sieben Winter in Teheran" ist ein Aufruf zum Widerstand gegen die Unterdrückung – nicht nur, aber auch im Iran, wo gerade wieder Demonstrantinnen und Demonstranten von der Todesstrafe bedroht sind.
Buchtipp
Shole Pakravan, Steffi Niederzoll: Wie man ein Schmetterling wird
Das kurze, mutige Leben meiner Tochter Reyhaneh Jabbari
Der Kampf der Frauen im Iran für ihre Rechte
Berlin Verlag 2023, Preis: 24 Euro
Autorin des TV-Beitrags: Petra Dorrmann
Die komplette Sendung steht am 29. Januar ab 20 Uhr zum Abruf in der Mediathek bereit.
Stand: 29.01.2023 23:52 Uhr
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