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Israels Wandel

Israelische Filmemacher fürchten Zensur

PlayProtestierende in Tel Aviv
Israelische Filmemacher fürchten Zensur | Video verfügbar bis 05.02.2024 | Bild: picture alliance / AA | Mostafa Alkharouf

Jeden Samstag protestieren Zehntausende in Israel. Am 28. Januar 2023 ist es anders als sonst. Stille und Betroffenheit. Die Menschen gedenken der sieben Toten der Terrorattacke eines Palästinensers auf eine Synagoge am Tag zuvor. Auf die Straße aber hat sie die Wut getrieben, auf ihre eigene Regierung.

"Ich möchte nicht, dass sie die Demokratie kaputt machen, genau das passiert hier. Es wird unsere Rechte einschränken. Das geht jetzt Schritt für Schritt so", sagt eine Demonstrantin.  
"Ich denke, dass es wichtig ist, hierher zu kommen, damit unsere Kinder verstehen, dass wir an einem sehr kritischen Punkt sind", sagt ein anderer Demonstrant.
"Ich mache mir Sorgen um mein Land, darüber, dass wir bald nicht mehr in einer Demokratie leben könnten", erzählt eine weitere Demonstrantin.

Sie fürchten um das Israel, das sie lieben: liberal, weltoffen. Sie haben Angst, dass der Einfluss der Ultraorthodoxen und Rechten immer größer wird, jetzt wo ihre Parteien auch in der Regierung sitzen.

Benjamin Netanyahu, der nur mit ihnen regieren kann hat radikale Nationalisten, extreme Ultraorthodoxe, Rassisten zu Ministern gemacht. Jetzt sind sie dabei die Demokratie auszuhöhlen. Zuerst die Justizreform, die die Gewaltenteilung aufheben würde und nun ein neues Filmfördergesetz, das wie Zensur wirkt

Er hat schon Ärger mit dem Kulturminister. Der israelische Regisseur David Wachsmann. Sein Dokumentarfilm "Two kids a day" hat den Minister provoziert. Er zeigt, wie das israelische Militär im Westjordanland minderjährige Palästinenser verhaftet, zum Beispiel, weil sie Steine warfen. Manche sind noch Kinder.

"Ich habe diesen Film gemacht, damit die Menschen auf der ganzen Welt das sehen", erzählt David Wachsmann. "Aber auch die Menschen in Israel, weil sie davor die Augen verschließen, es nicht wissen wollen, dass 40 Minuten von hier Kinder im Gefängnis sitzen."

David Wachsmann soll ihm jetzt die staatlichen Fördergelder zurückgeben, meint Kulturminister Miki Zohar. Denn der Film sei unbotmäßige Staatskritik.

"Wir werden nicht zulassen, dass mit unserem Geld / israelischer Finanzierung Terroristen als Helden dargestellt werden und israelische Soldaten als Mörder", sagt Miki Zohar in einer Pressekonferenz.

"Was er versucht, ist Filmemacher einzuschüchtern, damit wir solche Filme in Zukunft nicht mehr machen. Dass wir solche Themen nicht mehr anfassen. Ich bin sicher, dass einige Filmemacher es sich jetzt zweimal überlegen, ob sie überhaupt anfangen", sagt David Wachsmann.

Regisseure sollen in Zukunft unterschreiben, dass: "sie dem Ansehen des Staats und der Armee Israels nicht schaden werden", nur so gäbe es Fördergelder.

Omer Sterenberg hat aus anderen Gründen Angst vor den Plänen des Kulturministers. Er ist schwul und thematisiert queere Identität auch in seinen Filmen, wie bei der Berlinale 2020. Jetzt gibt es aber offen homophobe Minister. 

"Allein die Art und Weise, wie die Leute in der Regierung und im Parlament über dieses Thema sprechen – auch wenn sie noch nichts umgesetzt haben und auch, wenn sie kein Gesetz machen werden, dass LGBTQ in Filmen nicht mehr vorkommen darf. Die ganze Art, wie sie über das Thema sprechen, ist bereits ein Wandel, der uns um Jahre zurück wirft", sagt Omer Sterenberg.

Der Minister will Fördergelder auch nachträglich zurückfordern, falls ihm ein Film dann doch nicht genehm ist.

"Das Ministerium wird unter meiner Führung keine Werke finanzieren, die dem Image des Staates Israel schaden. Wir werden uns um die Streichung der Budgets für Filme kümmern, die das Narrativ unserer Feinde übernehmen", sagt Kulturminister Miki Zohar.   

"Beim Schreiben muss ich immer darüber nachdenken. Ich habe versucht, es nicht zu tun, aber manchmal denke ich: Warte, ist das vielleicht zu radikal? Könnte das Probleme mit der Finanzierung, mit der Regierung, mit Zuschauern geben?", erzählt Filmemacher Sterenberg.

Am vorletzten Samstag in Tel Aviv. Einige Stunden vor der großen Demo soll David Wachsmanns Dokumentarfilm aufgeführt werden. Wird es wieder Störer geben? Seit Miki Zohar "Two kids a day" öffentlich schmäht, gab es schon Vorfälle: eine Gruppe von nationalistischen Aktivisten protestierte in Kinos gegen die Aufführung seines Films.

"Sie versuchten die Vorführung zu stoppen", sagt David Wachsmann. "Aber ich bin sehr froh, dass sich die Kinobetreiber davon nicht beeindrucken ließen. Sie standen hinter mir und führten den Film vor."

Diesmal keine Protestierer, sondern Betroffenheit über die verstörenden Bilder der Hausdurchsuchungen des Militärs, das mitten in der Nacht bei Familien in die Häuser eindringt und Kinder verhaftet. Die Menschen hier diskutieren, das findet Wachsmann gut. Sollte der Druck auf Regisseure wie ihn allerdings wachsen, wird er Israel verlassen. 

"Das Einzige, was ich kann, ist Filme machen. Und wenn ich hierbleibe, mache ich das: Filme drehen und sagen, was in meinem Herzen ist und zu zeigen, was hier in Israel passiert, um es hier und in der Welt zu zeigen. Ich hoffe, ich muss nicht das Land verlassen, aber Du weißt ja nie", sagt David Wachsmann.

Noch gehen hier viele Tausende wie Omer Sterenberg auf die Straße, sie wollen den Systemwandel verhindern. Sie wollen weiterhin eine unabhängige Justiz und keine Zensur. Einen Rechtsstaat und eine liberale Demokratie. All das, was gerade massiv in Gefahr ist.


Beitrag: Astrid Halder

"Two Kids a Day" (2022) von David Wachsmann, 70 Minuten.

Stand: 05.02.2023 18:00 Uhr

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