So., 27.11.22 | 23:35 Uhr
Das Erste
"Vandana Shiva – Ein Leben für die Erde"
Sie haben es "Grüne Revolution" genannt. Dabei war es die Industrialisierung der Landwirtschaft. Hochertragssorten bringen in den 1960ern Rekorderträge. Mit den Folgen leben wir heute. "Wer Waffen verkauft, kontrolliert Armeen. Wer Nahrung kontrolliert, kontrolliert die Gesellschaft. Aber wer Saatgut kontrolliert, kontrolliert das Leben auf der Erde", sagt Vandana Shiva.
Kleinteilige ökologische Landwirtschaft als Lösung

Die indische Aktivistin, Globalisierungsgegnerin und Trägerin des alternativen Nobelpreises ist ein schillernde, oft angegriffene, kontroverse Person. Kurz: der "Albtraum von Monsanto". Sie behauptet, dass 40 Prozent der Lösung für den Klimawandel in ökologischer Landwirtschaft durch Kleinbauern liegen.
Vandana Shiva glaubt nicht, daß man acht Milliarden Menschen mittels Gentechnik, Breitbandherbiziden mit Glyphosat und industrieller Landwirtschaft satt bekommt. "Wir könnten zweimal Indiens Bevölkerung ernähren, wenn wir die Biodiversität erhalten und die Böden regenerieren würden, um mehr Nahrung zu haben. Essen sollte nicht als Rohstoff betrachtet werden, sondern der Ernährung dienen. Und was macht das mit den Böden und den Bienen? Wenn 80 Prozent unserer Insekten durch Pestizide ausgestorben sind, wenn also ein Drittel unserer Produktivkraft getötet wurde, dann werden wir nichts mehr zu essen bekommen, weil wir unsere Produktionsgrundlage zerstört haben."
Monsantos Albtraum

Die Welthandelsorganisation, gegründet 1995, wird einer von Vandana Shivas Hauptgegnern. Großkonzerne würden bevorzugt, um dann ungebremst den technischen Fortschritt zu exportieren. Wie Monsanto. Gegen den überheblichen Gestus der sogenannten Ersten Welt gibt es immer mehr Proteste. "Die Regeln für die Rechte am geistigen Eigentum wurden zum Schutz der Monsantos geschrieben, nicht für die Umwelt und die Menschen, sondern für Monopole."
"Dass die Einkommensschere größer wird, liegt nicht am Handel, sondern an der Qualifikation", widerspricht R. Scott Miller von der Procter & Gamble Company. Vandana Shiva entgegnet: "Scheinbar glaubt er, Monsanto hat das Recht, das Saatgut zu kontrollieren, weil sie 'hochqualifiziert' sind. Die 'niedrig qualifizierten' Bauern verschwinden am besten vom Planeten."
Nahrungsmittel sind Spekulationsgüter geworden

"Die Welthandelsorganisation ist definitiv ein großer Teil des Problems", sagt Vandana Shiva. "Denn inzwischen ist eine große Anzahl von Ländern von Nahrungsimporten abhängig. Lebensmittel sind heute eine Ware. Profitgründe entscheiden, was aus ihnen wird. Gerade das vergangene Jahr mit dem Ukrainekrieg zeigt, dass die Preisexplosion um 87 Prozent auf finanziellen Interessen des Lebensmittelsystems basiert. Gerade jetzt bestimmen die Finanzgiganten über Nahrung. Früher waren das Monsanto, Cargill, Coke, Pepsi. Jetzt aber sind es BlackRock und die Wallstreet, das ganze Finanzsystem spekuliert auf Nahrung. Und Spekulationen beuten Menschen aus."
Konzerne verdienen mit falschem Versprechungen
2002 verkauft Monsanto genverändertes Saatgut an indische Bauern, die sogenannte BT Baumwolle. "Gentechnisch veränderte BT Baumwolle wird von Monsanto unter dem Namen Bollgard vermarktet", sagt Vandana Shiva. "Sie soll vor dem Baumwollkapselwurm schützen und alle Probleme der Bauern lösen."

Doch die Pflanzen aus den Bollgard-Saaten werden trotzdem befallen und entwickeln Resistenzen. Kleinbauern müssen Pestizide kaufen und verschulden sich. Hier hat Vandana Shiva sich angreifbar gemacht, mit der Behauptung, Kleinbauern seien dadurch in den Selbstmord getrieben worden. Nicht wahr, wie Statistiken belegen. Den Schaden für die Bauern gibt es trotzdem. "Sie haben uns falsche Versprechungen gemacht. Und wir sind darauf reingefallen", sagt ein Bauer.
Widerstand kommt aus der Basis
"Wenn Frauen sich heute engagieren, um die Erde zu schützen, die Wälder zu schützen, sich gegen Gifte wehren, wie Glyphosat und Gentechnik, liegt das daran, dass Frauen im Bereich des Kümmerns und Sorgens einspringen mussten, weil die Marktwirtschaft sich dafür nicht interessiert hat", sagt Vandana Shiva. "Das steckt weder in den Genen noch liegt es am Geschlecht. Es liegt an der Arbeitsteilung."

Für Vandana Shiva war die Chipko-Bewegung im Himalaya ein Beweis dafür, dass Widerstand sich aus der Basis entwickeln kann. Die Frauen setzten sich gegen die Abholzung der Wälder ein, um ihre Lebensgrundlage zu sichern. Vandana Shivas Vater sagte einst: "Solange du deinem Gewissen folgst, musst du keine Angst haben. Keine von Menschen geschaffene Macht verdient es, gefürchtet zu werden."
Vandana Shiva ist manchmal über das Ziel hinaus geschossen mit ihren sehr eigenen Ansichten. Sie wird gefürchtet, für ihre Worte der Wahrheit und manchmal auch für das Beugen der Wahrheit.
FILMTIPP
"Vandana Shiva - Ein Leben für die Erde" USA/AUS 2021, Regie: Camilla Becket / James Becket, ab 1. Dezember im Kino
Autorin: Antje Harries
Stand: 28.11.2022 10:36 Uhr
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