So., 22.11.20 | 23:35 Uhr
Das Erste
Begleiter der Moderne: Fotografien von Shunk-Kender
Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg und bis in die Sechziger Jahre war Paris die Hauptstadt der Kunst. Zu den wichtigsten Fotografen der Nachkriegs-Moderne in den Pariser Galerien wurden ein Deutscher, der aus der Gefangenschaft kam: Harry Schunke, später genannt Shunk, und der Ungar Janos Kender. Wie die ganze Moderne haben auch sie sich gewissermaßen selbst erst erfinden müssen. "Wir gehen davon aus, dass sowohl Harry Schunk als auch Janos Kender Autodidakten waren", sagt Franciska Zólyom, Direktorin der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig. "Die beiden waren eher arm, hatten wenig Geld, hatten kein Atelier. Es ist sogar überliefert, das Harry Schunk anfangs wohl ohne einen Film in seiner Kamera auf Ausstellungseröffnungen fotografierte, um auf sich aufmerksam zu machen."
Von Klein bis Warhol – Shunk-Kender begleiteten Künstler, bevor sie zu Stars wurden
Eine neue Generation trat an. Von ihrem Freund Yves Klein machten Shunk-Kender ambitioniert belichtete Porträts, vor allem aber dokumentierten sie seine Aktionen. Als freche Radikalisierung der Farblust des Impressionismus ließ Klein die Farbe direkt und konkret von den Körpern auf die Bilder malen – der Nouveau Réalisme war erfunden. Nicht viele ahnten damals, dass dieser von Shunk-Kender fotografierte Yves Klein bald ein Klassiker sein würde, wie auch Andy Warhol.

Für Galerie-Leiterin Zólyom besteht das Besondere darin, dass wir auf Künstler wie Yves Klein, Andy Warhol, Robert Rauschenberg, auf Trisha Brown oder Niki de Saint Phalle heute als Stars schauen. "Aber damals waren das einfach junge Menschen, die etwas Neues ausprobiert haben. Die Bilder von ihnen, diese Fotografien, waren im Grunde genommen bildhafte Visitenkarten, um sie in der Welt bekannter zu machen." Shunk-Kender waren Teil der Szene und begleiteten Warhol und seine Entourage gewissermaßen bis ins Ankleidezimmer. Sie teilten das Leben der Künstler und dokumentierten deren Leben.
Revolutionäre Kunstaktionen und wegweisende Ausstellungen
Shunk-Kender waren dabei, als die argentinische Neu-Pariserin Martha Minujin sich auf einem Hinterhof mit einer Aktion von ihrem Frühwerk trennt, das ihr jetzt als völlig altmodisch erscheint. "Für Martha Minujin war die Verbrennung ihrer eigenen Werke auch ein Akt der Reinigung", sagt Franciska Zólyom, "aber gleichzeitig auch ein Protest gegen den Vietnamkrieg. Das heißt, es gibt eine direkte und nachvollziehbare Wechselwirkung zwischen dem Zeitgeschehen und der künstlerischen Arbeit."
Erst Paris, dann New York: Das Duo lichtete über 500 Künstler ab
Bevor Niki de Saint Phalle mit bunten dicken Nanas berühmt wurde, musste sie sich – nicht zuletzt als Frau – den Weg erst freischießen. Unter dem Gips sind Farbbeutel versteckt und die Künstlerin schießt die Farbe ins Bild. Die offensichtliche Aggression der Aktion sowie ihr Humor gehören auch in dieses Jahrzehnt der Restauration und kommenden Revolte – und der Krieg war nur 15 Jahre vorbei.
Shunk-Kender sollen in Paris und dann in New York insgesamt 500 Künstler fotografiert haben. Sie begleiten Jean Tinguely auf den Schrottplatz, von dem Tinguely das Material für seine später so berühmten Mobiles holt. Interessant: Auch das Publikum fotografieren Shunk-Kender.
Zwischen Dokumentation und Kunstfotografie
Bemerkenswert findet Franciska Zólyom, dass das Publikum zu einer Performance von Yves Klein wie für einen Opernbesuch gekleidet ist, wohingegen wenige Jahre später die Flower-Painting-Ausstellung von Andy Warhol von einem viel urbanerem, lässigerem, jüngeren Publikum besucht wird. Zu den Auftraggebern des Fotografen-Duos gehörte auch Christo, der – noch nicht explizit zusammen mit seiner Frau Jeanne-Claude – in Australien seine erste große Landschaft verhüllte.
Shunk-Kender dokumentieren – aber sie zielen auch auf das ästhetische Bild. Wie mit den abstrahiert abgebildeten Tanzperformances von Merce Cummingham auf Fotoabzügen in starkem Hell-Dunkel-Kontrast.
Shunk-Kender – Retrospektive auf ein Stück Kunstgeschichte
Die Tanzszene wurde in New York zum wichtigen Arbeitsfeld von Shunk-Kender – bis sie sich 1973 trennten. Hier noch einmal ein früheres Doppelporträt. Janos Kender zog sich völlig zurück, die Fotos blieben bei Shunk. Obwohl etliches davon in Zeitschriften die junge Kunst zu popularisieren half, gerieten sowohl die Fotografen als auch ihre Fotos in Vergessenheit. Ihre Wiederentdeckung nach drei Jahrzehnten ist ein wunderbar anzusehendes Kunstereignis.
Autor: Meinhard Michael
Stand: 23.11.2020 14:15 Uhr
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