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Angiografie – so werden Gefäße sichtbar

Aufnahme eines menschlichen Schädels
Tiefe Einblicke in den Menschen – mit technischer Hilfe. | Bild: NDR

Schlaganfall, Herzinfarkt oder Aneurysma sind lebensbedrohliche Erkrankungen der Blutgefäße. Um sie zu entdecken und zu behandeln, müssen Ärzte die Gefäße sichtbar machen. Das gelingt ihnen mit einer Angiografie. Dafür spritzen die Ärzte den Patienten ein Kontrastmittel in die Adern und röntgen dann. Mittlerweile können sie so nicht nur zweidimensionale Aufnahmen der Blutgefäße machen. In spezialisierten Krankenhäusern, wie dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, rotieren bei der Untersuchung gleich zwei Röntgengeräte um den Patienten herum und erzeugen so einen 3D-Scan der Adern. Die Ärzte können sich anschließend das dreidimensionale Modell der erkrankten Gefäße anschauen und mögliche Eingriffe planen.

Druck im Kopf durch ein Aneurysma

Aneurysma
Das Kontrastmittel macht die Blutgefäße sichtbar. Der dunkle Knoten ist das Aneurysma. | Bild: NDR

Gerade bei schwierigen Eingriffen ist die 3D-Angiografie hilfreich. So wie im Fall von Heidrun Rundshagen: Sie kann ihr rechtes Auge nicht mehr öffnen, und auch der Augapfel ist gelähmt. Das Problem ist erst wenige Tage zuvor aufgetreten. Die Ursache: Sie hat ein Aneurysma im Kopf, eine gefährliche Ausbeulung eines Blutgefäßes. Es drückt auf den Nerv des Augenmuskels und lähmt ihn. Aus diesem Grund kann Heidrun Rundshagen weder das Auge, noch das Augenlid bewegen. Der 3D-Scan ihrer Hirnschlagader liefert dem Neuroradiologen Jan-Hendrik Buhk genaue Informationen: Es sind sogar zwei Aneurysmen, die hintereinander in einer komplizierten, doppelten S-Kurve liegen. Das Gebilde ist so groß wie zwei zusammengewachsene Erdnüsse. Die Ausbeulungen können jederzeit platzen. Das würde zu einer massiven Blutung im Kopf führen.

Verstopfen oder überbrücken?

Die Ärzte haben die Möglichkeit, Aneurysmen zu behandeln, indem sie die Ausbeulung "auffüllen". Dazu schieben sie über einen Katheter eine Art Knäuel aus Platindraht in das Aneurysma. Das Blut kann danach weiterhin durch die Ader fließen. Das Drahtgewirr bremst nur den Blutstrom in der Ausbeulung. Blut, das nicht fließt, gerinnt. Und genau das soll es im Aneurysma auch. Die Ausbeulung soll so verschlossen werden, langsam vernarben und sich dann nach und nach zurückbilden.

Allerdings ist Heidrun Rundshagen nicht geeignet für so ein Knäuel – ihr Aneurysma ist zu kompliziert geformt. Deshalb entscheidet sich Jan-Hendrik Buhk für einen Stent: ein röhrenförmiges Netz aus Platindraht, das in das Gefäß geschoben wird und die kranke Passage überbrückt. Das Aneurysma wird so vom Blutfluss abgeschnitten, das Blut in der Ausbeulung gerinnt, vernarbt und wird vom Körper abgebaut. Über Monate hinweg heilt der Körper die erkrankte Stelle, bis das Gefäß wieder stabil ist.

Virtuelle Anprobe vor der OP

Arzt hält ein Tablet in de Hand
Über eine spezielle Software können die Ärzte den Eingriff üben und das Implantat virtuell testen. | Bild: NDR

Vor dem komplizierten Eingriff benutzt Jan-Hendrik Buhk das 3D-Modell des Aneurysmas, um den Stent virtuell auszuprobieren. Dafür hat er die anonymisierten 3D-Daten seiner Patientin an die Firma geschickt, die die Gefäßstützen herstellt. Der Zulieferer schlägt ihm einen Stent von 40 Millimeter Länge und 4,5 Millimeter Durchmesser vor. Über ein spezielles Computerprogramm kann Jan-Hendrik Buhk das Röhrchen in das 3D-Modell des Aneurysmas einsetzen und prüfen, ob es passt. Diese "virtuelle Anprobe" hilft, Fehlentscheidungen zu vermeiden. Denn am Modell sieht der Neuroradiologe, dass der Stent, den er ursprünglich verwenden wollte, zu kurz gewesen wäre. Auch die richtige Positionierung lässt sich mit dem Computerprogramm gut trainieren.

Mit 3D-Straßenkarte unterwegs in den Blutgefäßen

3D-Modell zeigt ein Aneurysma
Am 3D-Modell sehen die Ärzte, wie groß und kompliziert geformt das Aneurysma ist. | Bild: NDR

Dann wird es ernst. Heidrun Rundshagen wird in den OP-Saal geschoben. Über einen kleinen Schnitt in der Leiste schieben die Ärzte einen Katheter in ihre Beinschlagader und manövrieren ihn am Herz vorbei über die Halsschlagader bis in den Kopf. Der Eingriff erfolgt unter ständiger Röntgenkontrolle. Auf dem Röntgenbild blenden die Neuroradiologen den zuvor angefertigten 3D-Scan ein. Er funktioniert als Straßenkarte auf dem Weg zum Aneurysma. Dort angekommen setzen sie den Stent ein. Ab jetzt überbrückt er den kranken Gefäßabschnitt und führt das Blut an der Ausbeulung vorbei.

Aussicht auf Heilung

Vier Wochen nach ihrer Aneurysma-OP hat Heidrun Rundhagen noch keine volle Kontrolle über ihren Augenmuskel, aber sie spürt schon eine leichte Verbesserung. In fünf Monaten muss sie noch einmal zu einer abschließenden Untersuchung ins UKE. Dann werden die Ärzte wieder eine 3D-Angiografie machen, um zu überprüfen, ob sich das Aneurysma vollständig zurückgebildet hat. Bis dahin ist Geduld gefragt. So schnell der Eingriff vorbei war, so lange dauert die Heilung.

Schnelle Hilfe bei Schlaganfällen

Ärzte im Operationssaal
Unter Röntgenkontrolle wird operiert. | Bild: NDR

Nicht nur bei der Behandlung von Aneurysmen leistet die Angiografie gute Dienste. Sie kann über Leben und Tod entscheiden, etwa wenn ein Patient mit einem akuten Schlaganfall eingeliefert wird. Das Blutgerinnsel im Kopf des Patienten muss dann so schnell wie möglich entfernt werden. Auch hierfür nutzen die Ärzte die Angiografie unter Röntgen-Kontrolle. Mit einem circa 1,5 Meter langen Katheter manövrieren sie bis in die Hirngefäße. Durch die Gabe eines Kontrastmittels wird sichtbar, welche Regionen des Hirns nicht mehr mit Blut versorgt werden.

Wenn die Operateure das verstopfte Gefäß aufgespürt haben, können sie mit einem speziellen Mechanismus an der Spitze des Katheters das lebensgefährliche Gerinnsel einfangen und herausziehen. Das Ergebnis ist oft verblüffend und erinnert an eine Wunderheilung. Patienten, die halbseitig gelähmt und ohne Sprachvermögen eingeliefert wurden, können plötzlich wieder reden und beide Körperhälften bewegen.

Autor: Björn Platz (NDR)

Stand: 15.06.2019 16:58 Uhr

Sendetermin

Sa., 15.06.19 | 16:00 Uhr
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Norddeutscher Rundfunk
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