SENDETERMIN Sa., 22.06.19 | 16:00 Uhr | Das Erste

Dem Giftmüll auf der Spur

Kran stapelt Big Bags in Kochendorf
Tonnenweise Giftmüll im Bergwerk. | Bild: SWR

Millionen Tonnen gefährlicher Abfälle werden seit den 1980ern Jahr für Jahr in alten deutschen Salzbergwerken eingelagert. Experten befürchten, dass der Giftmüll dort – entgegen den Beteuerungen von Bergwerksbetreibern und Aufsichtsbehörden – auf lange Sicht nicht sicher verwahrt ist. Sollte es zu Störfällen kommen, könnte dies schwerwiegende Auswirkungen auf die Umwelt und die Lebensgrundlagen künftiger Generationen haben. Zudem drohen Sanierungskosten in Milliardenhöhe für die Steuerzahler.

Eine Stadt unter der Stadt

Durchfahrt kleiner Lastwagen durch große Abbaukammer
Alte Abbaukammern, jede so groß wie eine Kathedrale: 200 Meter lang, bis zu 18 Meter hoch, 15 Meter breit. | Bild: SWR

Wer kein Bergmann ist, macht sich kaum eine Vorstellung, wie groß ein Salzbergwerk ist. Im Bergwerk Heilbronn-Kochendorf etwa kann man über 700 Kilometer unter Tage zurücklegen. Es sei eine Stadt unter Stadt, sagt Wolfgang Rüther von den Südwestdeutschen Salzwerken stolz. Die Luft ist trocken, der Geländewagen ruckelt über die unterirdische Piste. Wir fahren mit Fernlicht durch langgezogene alte Abbaukammern, jede so groß wie eine Kathedrale: 200 Meter lang, bis zu 18 Meter hoch, 15 Meter breit. Dann ein kurzer Tunnel und die nächste Kammer.

Von diesen Kammern gebe es hier unten 300 oder 400 – genau weiß es Wolfgang Rüther nicht, wie er sagt. Rechts und links der Strecke reihen sich dunkle Tunnelöffnungen aneinander, die zu weiteren Kammern führen. Es sind enorm große unterirdische Hohlräume und die Südwestdeutschen Salzwerke haben einen Weg gefunden, mit diesen leeren Hallen richtig Geld zu verdienen.

Das Bergwerk ist riesig, erstreckt sich über 20 Quadratkilometer unter Heilbronn, Neckarsulm und den umliegenden Ortschaften. Wir kommen vom Bergwerk Kochendorf, in dem der Salzabbau bereits eingestellt wurde, und fahren nun durch den Heilbronner Teil – alles unter Tage wohlgemerkt. Gelegentlich passieren wir große Radlader, die in ihren Schaufeln tonnenweise gewaltige Salzgesteinsbrocken transportieren. Sie kippen die Brocken in Maschinen, die das Gestein brechen, um es dann über kilometerlange Förderbänder in eine der unterirdischen Hallen zu bringen, in denen es weiterverarbeitet wird. Damit verdient man im Bergbau sein Geld: Bodenschätze fördern und an die Oberfläche bringen. In Heilbronn: Salz.

Giftmüll als Geschäftsmodell

Material nach unten zu bringen, kostet dagegen Geld. Es sei denn, man bringt etwas hinunter, was jemand anders loswerden will. Jemand, der bereit ist, dafür gut zu zahlen. Zum Beispiel, um Giftmüll zu entsorgen. Die Heilbronner und einige andere Salzbergwerke haben daraus ein lukratives Geschäftsmodell entwickelt.

Wir erreichen die Untertagedeponie Heilbronn. Es ist ein großes Feld alter Abbaukammern, die in den 1980er-Jahren zur Untertagedeponie umfunktioniert wurden. Anfangs machten die Heilbronner das nur widerwillig, sie wurden von einem großen Kunden genötigt quecksilberverseuchte Salzrückstände "zurückzunehmen". Schnell aber erkannte die Landesregierung, welche Chance sich da bot. Im Südwesten setzte man nämlich stark auf die Müllverbrennung, und bei der fallen große Mengen Filteraschen an. In diesen Filteraschen werden alle gefährlichen Stoffe aufkonzentriert, die beim Verbrennen entstehen und herausgefiltert werden, damit das Gift nicht in die Luft geblasen wird.

Ein Teil des Bergwerks Heilbronn wurde zur Untertagedeponie, um diese Filteraschen aus dem Ländle aufzunehmen. Alles ist streng reglementiert nach dem Abfallrecht, und natürlich musste für die Entsorgung bezahlt werden. Für die Kommune Heilbronn und das Land Baden-Württemberg ein gutes Geschäft, denn den beiden gehört die Aktien-Mehrheit an den Salzwerken.

Der Geländewagen stoppt. Die Lichtkegel unsere Helmlampen fallen auf Totenkopfsymbole, die auf Fässern und große Säcken, sogenannte Big Bags, prangen. "Hier werden die zyanidhaltigen Abfälle gelagert", erklärt Wolfgang Rüther. Zyanide, das sind die hochgiftigen Salze der Blausäure.

Einer der giftigsten Orte der Welt

Totenkopfsymbol auf einem Big Bag
Zusätzliche Millioneneinnahmen mit Giftmüll. | Bild: SWR

In der Untertagedeponie dürfen mehr als 500 verschiedene Abfallarten eingelagert werden, für die Ewigkeit. "Die Untertagedeponie ist auf eine unendliche Betriebszeit ausgelegt", sagt Wolfgang Rüther von den Südwestdeutschen Salzwerken. "Wir haben die Sicherheit in diesem Bergwerk, in dieser Untertagedeponie durch eine wasserabdichtende Schicht, also über uns, über der eigentlichen Salzlagerstätte. Die Lagerstätte an sich ist seit 200 Millionen Jahren hier existent und auch sicher."

Sicher – obwohl die Lagerstätte durch den Bergbau mit riesigen Hohlräumen durchlöchert ist? Hohlräumen, die auch nicht alle komplett verfüllt werden sollen und müssen. Wolfgang Rüther sagt: "Diese Bereiche können offen bleiben. Das ist durchaus zulässig, denn wir haben ja hier ein langzeitstabiles Bergwerk".

Das war 2012, als Wolfgang Rüther die Untertagedeponie und das Bergwerk Heilbronn-Kochendorf zeigte. Heute, nur wenige Jahre danach, stimmt das so nicht mehr. Denn neue Berechnungen haben gezeigt, dass die offenen Abbaukammern doch nicht auf alle Zeit stabil bleiben, wie das zuständige Bergamt uns gegenüber einräumt.

Wassereinbruch im Salzbergwerk

Salzausblühungen über Big Bags unter Tage
Mehrere hundert Liter Wasser pro Tag liefen in die Grube Kochendorf. | Bild: SWR

Es ist nicht das erste Mal, dass es im Bergwerk Heilbronn-Kochendorf Probleme mit der Langzeitstabilität des Bergwerks gibt. Im Bergwerk Kochendorf, das unter Tage mit dem Bergwerk Heilbronn verbunden ist, kam es vor rund 30 Jahren sogar zu Wassereinbrüchen. Wasser und Salz – keine gute Kombination. Denn Wasser löst Salz, kann ein Bergwerk instabil werden lassen, sogar komplett zum Absaufen bringen, wie der Bergmann sagt.

Und auch das ist in Heilbronn schon einmal passiert: Das erste Heilbronner Salzbergwerk im nahegelegenen Bad Friedrichshall ist 1895 urplötzlich abgesoffen: "Dann hat es eines Tages einen Schlag getan und der Schacht ist abgesoffen", erzählt Gottfried May-Stürmer, Gewässerexperte vom BUND Baden-Württemberg am Schachtsee in Bad Friedrichshall. Ein runder Teich, rund 50 Meter im Durchmesser. "Wahrscheinlich war man da beim Salzabbau zu gierig, man hat zu große Kammern gemacht, zu wenig Pfeiler stehen lassen. Da hat das Ganze dann die Stabilität verloren und ist dann nacheinander runtergebrochen. Man kann sich das vielleicht so ähnlich vorstellen wie die Bilder vom 11. September, als die Hochhäuser so von unten nach oben eingebrochen sind, so müssen da auch unter Tage die Stockwerke nacheinander eingebrochen sein und am Schluss hat es da oben ein großes Loch gegeben, und das ist dann vollgelaufen."

Kein Wunder also, dass in Heilbronn bei den Wassereinbrüchen im Bergwerk Kochendorf in den 1990er-Jahren alle Alarmglocken schrillten. Das Bergamt, die zuständige Aufsichtsbehörde des Landes, verfügte eine Versatzpflicht für Kochendorf. "Versetzen" bedeutet im Bergmännischen, dass man die großen Hohlräume, die man beim Abbau geschaffen hat, wieder füllt.

Wie aus Giftmüll ein Baustoff wird

Doch Material zurück ins Bergwerk zu bringen, kostet Geld. Den Salzwerken drohte wegen der Versatzpflicht gar der Konkurs, wie der damalige Chef der Entsorgungssparte schrieb. Doch dann die rettende Idee: Man nahm einfach Abfälle, um das Bergwerk abzustützen.

Dazu nutzte man einen juristischen Kniff: Man nahm beispielsweise gefährliche Abfälle wie die Filteraschen, vermischte sie mit anderen Abfällen und machte daraus einen Baustoff, um das Bergwerk zu verfüllen. Der enthielt zwar noch immer die Giftstoffe aus der Müllverbrennung, war aber auf dem Papier ein Baustoff und kein Abfall mehr. Damit galten auch nicht mehr die strengen Abfallgesetze, sondern das damals wesentlich laxere Bergrecht.

Preislich war die Baustoff-Lösung auch für die Abfallerzeuger attraktiv: Dieser neue Untertageversatz kostete deutlich weniger als die bereits etablierten Untertagedeponien. Und den Heilbronnern gelang dadurch ein Kunststück: Statt Konkurs machten sie nun sogar Gewinn mit der Verfüllung ihres maroden Bergwerks, das mit Gesteinsabbrüchen in den Kammern und Wassereinbrüchen zu kämpfen hatte.

Diese neue Billigentsorgung hatte Folgen: Fortan begannen zahlreiche Bergwerke damit, ihre Hohlräume mit Abfällen zu versetzen und damit zusätzliches Geld zu verdienen. Immer weniger gefährliche Abfälle kamen in die streng kontrollierten Untertagedeponien – immer mehr wurde zum Baustoff und "versetzt". Auch im Bergwerk Heilbronn-Kochendorf landen rund 80 Prozent der Abfälle im Versatzbergwerk Kochendorf und nicht in der Untertagedeponie Heilbronn.

Aber wie sicher ist das? Auf unsere Anfrage hin schreiben die Salzwerke - Zitat:

»Die zu früheren Zeiten (…) aufgetretenen lokalen Instabilitäten (…) sind vollständig identifiziert und saniert worden. (…) Die Langzeitsicherheit wird durch das planmäßige Versetzen der Hohlräume durch Eigen- und Fremdmaterial hergestellt.«

Gefahr für Umwelt und Lebensgrundlage künftiger Generationen?

In Bad Friedrichshall ist das erste Heilbronner Salzbergwerk abgesoffen, nur der Schachtsee blieb übrig. Experten befürchten, dass sich eine ähnliche Katastrophe auch im nahegelegenen neuen Bergwerk Heilbronn-Kochendorf wiederholen könnte. "Wir befürchten, dass das Wasser das Bergwerk erreicht", sagt der Gewässerexperte des BUND Baden-Württemberg, Gottfried May-Stürmer. "Dass das Wasser das Salz auflöst, dass es die Giftstoffe aus dem Sondermüll löst, und dass die sich dann mit dem Grundwasser vermischen und dann vielleicht auch mit dem Trinkwasser vermischen können." Nur Hysterie – oder eine berechtigte Sorge? May-Stürmer ist nicht der einzige Experte, der Zweifel an der Langzeitsicherheit hat.

Massive Zweifel an der Langzeitsicherheit

Marcos Buser im Interview
Geologe und Endlagerexperte Marcos Buser hat in Gutachten massive Risiken in deutschen Salzbergwerken aufgezeigt. | Bild: SWR

Der Schweizer Geologe und Endlagerexperte Marcos Buser hat mit seinen Gutachten, unter anderem für das Schweizer Bundesamt für Umwelt, mit dafür gesorgt, dass die Schweizer keinen Giftmüll in alte deutsche Versatzbergwerke einlagern, sondern nur in Untertagedeponien – obwohl das deutlich teurer ist. Buser kritisiert die Einlagerung gefährlicher Abfälle in alten Salzbergwerken scharf: "Wir müssen gerade im Abfallbereich gezielt immer wieder von Worst-Case-Situationen ausgehen bei diesen alten Bergwerken – und wir haben diesbezüglich genügend Erfahrung. Wir wissen, dass die Gefahr, dass das Bergwerk mal geflutet wird oder absäuft, dass diese mit der Zeit immer mehr zunimmt. Und es gibt auch große Bergwerke und es gibt auch moderne Bergwerke, die abgesoffen sind."

Laut Buser gibt es eine Reihe von Problemen: So durchbricht der Bergwerksschacht genau die Gesteinsschichten, die das Salz über Jahrmillionen vor Wasser geschützt haben. Vor allem aber: Viele der riesigen Abbaukammern sollen offenbleiben. Nur wenige werden wieder verfüllt. Auch wenn am Ende das Bergwerk stillgelegt wird, werden nur einige der Zugangsstrecken und die Schächte mit einer Art Beton verschlossen. Genau dadurch steigt laut Buser das Risiko eines Wassereinbruchs.

Was passiert mit den vielen Kammern, die offen bleiben? Sie sollen sich selbst verschließen. Denn Salz ist nicht starr, sondern plastisch verformbar. Es kriecht – für uns unsichtbar langsam – und schließt so Hohlräume, ohne dass auch nur ein Spalt zurückbleibt. Die Salzgesteinsschicht verheilt gewissermaßen ohne Narbenbildung. Und so sollen sich über Jahre auch die Hohlräume in den Bergwerken schließen, ohne dass das Bergwerk instabil wird.

Risiko Wassereinbruch

Animation: Giftfässer schwappen im Wasser.
Ein großer Wassereinbruch im Salzbergwerk kann zum Worst-Case-Szenario führen: Das Gift kommt zurück an die Erdoberfläche | Bild: SWR

Soweit die Theorie. Kritisch wird es, wenn so ein offener Hohlraum doch instabil wird. Wenn sich Risse bilden, und schließlich Wasser eindringt. Dann können sich die Stützpfeiler auflösen und brechen. Die Grube säuft komplett ab. Wasser kann dann auch an die Abfälle kommen und das Gift zurück an die Oberfläche bringen. Je mehr Hohlräume unter Tage offenstehen, desto größer diese Gefahr, sagt Buser – und ist mit dieser Einschätzung nicht allein. Der Geologe Dr. Hartmut Wiedemann etwa, der jahrzehntelang beim Umweltbundesamt Experte für Sonderabfälle war, sagt: "Selbst Bergleute, wenn sie ehrlich sind, werden sagen: So lange ein Bergwerk offen ist, bleibt die Gefahr bestehen, dass es absäuft und je länger es offensteht, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass es absäuft."

Auch Jürgen Kreusch sieht das so. Der Geologe und Experte für Endlagerung von der intac GmbH in Hannover sieht insbesondere die Einlagerung von Giftmüll in alten Versatzbergwerken kritisch: "Die Bergwerke sind ja nicht aufgefahren worden nach der Maßgabe: Wir wollen dort etwas möglichst isoliert verstecken, unterbringen, für alle Zeiten soll das da unten drin bleiben, sondern die sind aufgefahren worden: Wir wollen etwas rausholen, wir wollen Salze rausholen, Kalisalze, Steinsalze. Möglichst billig, möglichst schnell, möglichst viel. Von sämtlichen Versatzbergwerken müssten eigentlich mal die Langzeitsicherheitsnachweise hergeholt werden und müssten mal überprüft werden nach dem Stand von Wissenschaft und Technik."

Halte uns allen das Wasser vom Hals

Ist die Gefahr, dass offene Hohlräume in Salzbergwerken absaufen, tatsächlich so groß? Darauf gibt es viele Hinweise. Schon ein alter Spruch der Brüderschaft der Halloren, den vereinigten Salzwirkern, besagt: "Es grüne die Tanne, es wachse das Salz. Gott halte uns allen das Wasser vom Hals." 1998 ließ etwa der damalige Direktor des württembergischen Salzbergwerks Stetten "keinen Zweifel daran, dass jedes Salzbergwerk irgendwann einmal absaufen würde".

Die Liste ersoffener deutscher Salzbergwerke ist lang. Nicht nur der Schacht in Bad Friedrichshall bei Heilbronn-Kochendorf ist abgesoffen. In den letzten 150 Jahren sind auch in Hessen Salzbergwerke ersoffen, in Niedersachsen, in Thüringen, in Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg-Vorpommern. Und das Absaufen von Salzbergwerken ist auch kein historisches Problem vergangener Tage. Besonders spektakuläre Fälle gab es in den USA.

Kleines Bohrloch versenkt Salzbergwerk

So kam es 1980 in Louisiana zu einem fatalen Unfall am Lake Peigneur. Bei einer Öl-Probebohrung bohrten die Ingenieure versehentlich das unter dem See liegende Salzbergwerk an. Die Folge: ein Wassereinbruch. Es bildete sich ein Strudel, der schnell größer wurde. Aus dem ursprünglich flachen See wurde ein tiefer Krater. Das Salzbergwerk soff innerhalb kürzester Zeit ab. Bäume wurden in die Tiefe hinab gerissen und große mit Lkw beladene Pontons. Denn unten im Salzbergwerk, lösten sich die Stützpfeiler auf und das Bergwerk kollabierte. Im Ablaufkanal des Sees drehte sich die Fließrichtung: Meerwasser strömte in den See und ergoss sich in einem gewaltigen Wasserfall in den Lake Peigneur. Alles die Folge eines kleinen Bohrlochs, mit rund 30 Zentimeter Durchmesser.

Dem aufsehenerregenden Absaufen des Salzbergwerks am Lake Peigneur folgte 1994 eine noch größere Katastrophe im Bundesstaat New York: in der Retsof Saltmine, der größten Salzmine der USA. Es begann mit einem Erdloch von mehreren Metern Durchmesser in einer Straße. Tief unten in der Salzmine waren Kammern eingebrochen. Die darüber liegenden Gesteinsschichten brachen nach. Dadurch bildeten sich große Kamine nach oben: Erdlöcher, durch die gewaltige Wassermengen in das Salzbergwerk strömten – am Ende fast 70.000 Liter Wasser pro Minute. Die komplette Mine soff ab. Der Worst-Case war eingetreten: Das größte Salzbergwerk der USA war Geschichte.

Wie langzeitsicher sind deutsche Salzbergwerke?

Außenaufnahme vom Bergwerk Kochendorf
Bergwerk Heilbronn-Kochendorf: Hier lagern unter Tage Abermillionen Tonnen Giftmüll.

Wie sicher sind die Salzbergwerke in Heilbronn und Kochendorf? In einem Gutachten aus den 1990er-Jahren über das Bergwerk Kochendorf heißt es, dass sich Gutachter und Geologisches Landesamt einig seien, dass sich das Bergwerk im Lauf der Zeit mit Wasser füllen wird. Und im Bergwerk Heilbronn bemerkte man 2013, dass in einer großen Kammer die Decke eingebrochen war. Ganz in der Nähe der Untertagedeponie. Ähnliche Abbrüche hatte es auch schon nebenan im stillgelegten Bergwerk Kochendorf gegeben. "Da gab es ja Abbrüche, die dann in die Tiefe gingen", sagt Geologe Marcos Buser, "also die kaminartig sich gegen oben fortsetzen. Und diese Abbrüche sind gefährlich, weil die eine direkte Verbindung zu einem Grundwasserleiter herstellen können. Und das wäre eine Katastrophe."

Wegen des Gesteinsabbruchs gab es neue Gutachten, unter anderem eines für das Schweizer Bundesamt für Umwelt. Dieses Gutachten bestätigt zwar die Langzeitsicherheit – aber mit einer Reihe von Auflagen, die zu erfüllen sind.
Dieses Gutachten wollten wir einsehen. Nach monatelangem Hin und Her bekamen wir es. Aber wichtige Passagen hatten die Salzwerke geschwärzt – wegen Geschäftsgeheimnissen. Marcos Buser dazu: "Das sind Auswirkungen auf die Öffentlichkeit, also auf die sogenannte Zivilgesellschaft eines großen Raumes. Sie können da doch nicht sagen: Wir beweisen was! Und dann kleben sie schwarze Streifen über das Gutachten und sagen: Wir haben es bewiesen, aber ihr dürft da nicht reinschauen. Ich meine: Was soll denn das?"

Wie verlässlich sind Langzeitsicherheitsgutachten?

Zumal die Erfahrung zeigt: Langzeitsicherheitsgutachten ist oftmals nicht zu trauen.
Beispiel Asse. 1966 hieß es in den Nachrichten: "In 750 Meter Tiefe ist nach Meinung der Wissenschaftler der ideale Ort zur Lagerung radioaktiver, selbst hochaktiver Stoffe. Salz ist vollkommen dicht und undurchlässig für Luft und Wasser. Eine solche Atommüllgrube nach Maß ist eine einfache und harmlose Angelegenheit."
In das alte Bergwerk kam jede Menge radioaktiver Abfall. Dann kam das Wasser. Das verheimlichen Betreiber und Behörden über Jahre. Mittlerweile soll der Atommüll geborgen werden, was Milliarden kostet.

Oder die Stocamine im Elsass. 1999 geht das eigens für Abfälle aufgefahrene Bergwerk in Betrieb. Keine riesigen alten Abbaukammern, sondern kleine, stabile Kammern extra gebaut für die Abfälle – vorbildlich. Doch dann brennt es in der neuen Untertagedeponie. Brennende Abfälle unter Tage - obwohl überhaupt nichts Brennbares eingelagert werden darf. Der Brand beschädigt das Bergwerk so stark, dass es aufgegeben werden muss. Nach gerade mal gut zweieinhalb Jahren. Statt Sicherheit für die Ewigkeit: ein Fiasko. Für viel Geld wurden mühsam besonders gefährliche quecksilberhaltige Abfälle wieder geborgen.

Wir stellen die Verantwortlichen zur Rede

Stocamine, Asse, Lake Peigneur, die zahlreichen abgesoffenen deutschen Salzbergwerke: Auf unsere Anfrage hin schreiben die Südwestdeutschen Salzwerke, Zitat:

»Die Langzeitsicherheitsnachweise der Bergwerke Heilbronn und Kochendorf gelten auch hinsichtlich der theoretisch oder tatsächlich zu beurteilenden Wasserzuflüsse. (…), es kann kein Zutritt von Grundwasser in die Grubengebäude stattfinden.«

Werden die Risiken der Giftmülleinlagerung in deutschen Salzbergwerken bei den Langzeitsicherheitsgutachten ausreichend berücksichtigt? Die Salzwerke wollen dem Schweizer Geologen und Endlagexperten Marcos Buser keinen ungeschwärzten Einblick in die Gutachten geben. Wir wenden uns an die Aufsichtsbehörden. Axel Brasse ist Chef der Landesbergdirektion. Im Archiv des Bergamts hat er regalmeterweise Gutachten und Unterlagen zu Heilbronn und Kochendorf. Aber ohne Einwilligung der Südwestdeutschen Salzwerke bekommen wir auch hier keinen vollständigen Zugang. Doch Brasse ist zumindest bereit, offen Rede und Antwort zu stehen – auch zum Worst-Case-Szenario: dem Absaufen. "Wenn es zu dem echten Absaufen eines Salzbergwerks kommt", sagt Brasse, „und in diesem Salzberg eben Abfälle deponiert, beseitigt wurden, dann haben die zunächst einmal Kontakt zur Biosphäre. Na, man muss sich das System dann auch anschauen, diese Abfälle liegen 200 Meter unter der Tagesoberfläche, und der Abstand ist natürlich relativ groß."

Aber hat man das konkret durchgerechnet, was dann passiert? In den Langzeitsicherheitsgutachten? "Langzeitauswirkungsberechnungen sind in den Langzeitsicherheitsgutachten nicht angestellt worden,“ sagt Brasse. Warum? "Weil man von der Zuverlässigkeit dieses Grubengebäudes und des Systems des vollständigen Einschlusses ausgeht." Sprich: Wenn die geologischen Gutachten sagen: Das Bergwerk ist sicher – müssen mögliche Worst-Case-Szenarien gar nicht wirklich durchgespielt werden. Das entspricht den gesetzlichen Vorgaben.

Unterdessen werden in den alten Salzbergwerken Fakten geschaffen. Denn herausholen kann man diese Abermillionen Tonnen Giftmüll aus den Bergwerken nicht mehr. Man kann höchstens dafür sorgen, dass keine riskanten offenen Hohlräume nach der Schließung zurückbleiben, dass alles verfüllt und damit möglichst sicher wird. In Kochendorf ist das vom Bergamt bereits angeordnet. Und im Bergwerk Heilbronn könnte es nun auch dazu kommen.

Probleme mit der Langzeitstabilität im Bergwerk Heilbronn

Big Bags werden in Untertagedeponie gestapelt.
Doch nicht auf ewig stabil – auch die Kammern in Heilbronn müssen nun verfüllt werden. | Bild: SWR

Eine neue Berechnung zeigt, dass die offenen Abbaukammern im Bergwerk Heilbronn doch nicht für die Ewigkeit sicher sind, wie das Bergamt uns gegenüber einräumt. Axel Brasse von der Landesbergdirektion in Freiburg: "Es besteht unter Umständen dann die Möglichkeit, dass diese Barriereschicht diese Funktion auch verliert, in langer, langer Zeit. Und da muss man vorsorgen, in der Betriebsphase eines Bergwerks, man muss es so hinterlassen, dass dieses Szenario nicht entsteht." Das heißt, das muss auch verfüllt werden? "Die Konsequenz ist daraus, dass man Verfüllmaßnahmen planen muss", räumt Brasse ein.

Das klang 2012 beim Chef der Salzwerke noch ganz anders. Damals sagte Wolfgang Rüther von der Südwestdeutschen Salzwerke AG in Heilbronn: "Diese Bereiche können offenbleiben, ja. (…) Hier trägt das Gebirge sich selbst." Jetzt räumen die Salzwerke auf unsere Anfrage hin ein, Zitat:

»Um (…) einen guten und sicheren Zustand für zukünftige Generationen zu erhalten, sollen die Grubenfelder mit Eigen- und Fremdmaterial versetzt werden.«

Die Risiken sollen künftige Generationen tragen

Nun also auch komplette Verfüllung im Bergwerk Heilbronn – in der Hoffnung, dass damit alles sicher ist. Aber es gibt in Deutschland noch eine ganze Reihe von Salzbergwerken in denen am Ende riesige Hohlräume unter Tage offen stehen bleiben sollen. Bergwerke in denen ebenfalls  Millionen Tonnen Giftmüll eingelagert werden. Quer durch die Republik. Die Details der Langzeitsicherheitsgutachten sind auch bei diesen Bergwerken nicht öffentlich.

Ob der Giftmüll dort wirklich auf lange Zeit sicher ist? Bis auf weiteres müssen unsere Kinder und Enkel wohl auf die heilige Barbara hoffen, die Schutzpatronin der Bergleute: Dass sie künftige Generationen vor unseren giftigen Hinterlassenschaften schützt.

Autor: Patrick Hünerfeld (SWR)

Stand: 24.06.2019 22:06 Uhr

Sendetermin

Sa., 22.06.19 | 16:00 Uhr
Das Erste

Produktion

Norddeutscher Rundfunk
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