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Drei Streiche, die uns das Gedächtnis spielt

Unser Gedächtnis: ein riesiges Archiv, vollgestopft mit unzähligen Erinnerungen. Im besten Fall beliefert uns unser innerer Archivar zuverlässig mit genau den Informationen, die wir gerade brauchen. Manchmal gerät unser Gedächtnis aber auch ins Stottern. In solchen Momenten merken wir überhaupt erst, wie komplex der Prozess des Erinnerns eigentlich ist.

Hier drei klassische Streiche, die uns das Gedächtnis im Alltag spielt – und was die Neurowissenschaft dazu sagt.

"Moment mal, es liegt mir auf der Zunge"

Wir alle haben diese Situation schon erlebt: Wir sehen eine Person, die wir kennen, zum Beispiel einen bestimmten Schauspieler im Fernsehen, wollen seinen Namen nennen – und bekommen ihn nicht über die Lippen…

Comic: Frau grübelt, in einer Sprechblase erscheint nur der Anfangsbuchstabe des gesuchten Namens.
Wenn der Name einem auf der Zunge liegt… | Bild: NDR

Die Wissenschaft nennt das: "Tip-of-the-Tongue-State" (TOT) oder "Zungenspitzen-Phänomen". Neurowissenschaftler erklären das Problem so: Im Gehirn sind Namen mehrfach codiert. Das bedeutet, die Erinnerung an eine Person ist in unterschiedlichen Hirnregionen abgespeichert: das Aussehen im Sehzentrum, der Klang der Stimme im Hörzentrum, die Silbenlänge des Nachnamens im Sprachzentrum. Um die Erinnerung an einen Namen abzurufen, muss das Gedächtnis genügend dieser Merkmale aktivieren und miteinander verbinden.

Und genau dabei lässt es sich leicht von verwandten Gedächtnisinhalten blockieren, zum Beispiel von ähnlich klingenden Namen oder den Namen ähnlich aussehender Personen. Die werden manchmal schneller abgerufen und wirken als Störfaktor, verhindern also den Abruf der beabsichtigten Erinnerung. Wissenschaftler sprechen hierbei vom "Ugly-Sister-Effect", also dem "Hässliche-Schwester-Effekt". Der Name spielt auf das Märchen "Aschenputtel" an, in dem der Prinz versucht Aschenputtel zu finden, dem dabei aber ihre hässlichen Stiefschwestern im Weg stehen.

Wie aber lässt sich solch eine Erinnerungs-Blockade lösen? Psychologen empfehlen, einfach an etwas anderes zu denken. In der Regel fällt einem der gesuchte Name dann irgendwann wieder ein.

Der Duft der Erinnerung

Manchmal überfallen uns Erinnerungen auch, ohne dass wir es wollen. So können bestimmte Gerüche unwillkürlich eine starke Erinnerung hervorrufen. Ein bestimmtes Parfüm lässt uns an den oder die Ex denken, Apfelkuchen an unsere Kindheit oder Sonnenmilch an den letzten Sommerurlaub.

Comic: Duft zieht durch Nase ins Gehirn.
Unser Geruchssinn ist über eine Direktleitung mit dem Emotionszentrum im Hirn verbunden. | Bild: NDR

Der Grund dafür ist einfach: Unser Geruchssinn ist als einziger Sinn durch eine Direktleitung mit dem "Emotionszentrum" des Gehirns verbunden, der Amygdala – und dem benachbarten Hippocampus, in dem unser Gehirn Erlebnisse verarbeitet und Erinnerungen formt.

Amerikanische Neurowissenschaftler konnten in Versuchen zeigen, dass Amygdala und Hippocampus besonders stark aktiviert wurden, wenn die Probanden ihre Lieblingsgerüche schnupperten. Gerüche und die mit ihnen verbundenen Erinnerungen prägen sich also besonders gut ins Gedächtnis ein.

Evolutionsgeschichtlich ist die Verbindung von Nase, Gefühlen und Erinnerungen durchaus sinnvoll. So hilft sie uns zum Beispiel potentiell schädliche Stoffe – verdorbenes Essen, Brandgeruch, Hundekot – sofort zu erkennen und richtig zu bewerten.

Der Ohrwurm

Unangenehm kann es werden, wenn uns eine Erinnerung ungefragt überfällt und wir sie nicht wieder los werden – wie zum Beispiel ein bestimmter Song. Meistens entsteht ein solcher Ohrwurm, wenn wir gerade mit Routinetätigkeiten beschäftigt sind: beim Duschen, Bügeln oder Warten an der Bushaltestelle. In solchen Situationen hat unser Arbeitsgedächtnis freie Kapazitäten – und genau die nutzt unser Gehirn aus. Es kramt im Gedächtnis-Archiv und holt entweder Musik hervor, die wir besonders lieben – oder besonders hassen. Das Hörzentrum spielt daraufhin den Song aus dem Gedächtnis ab und wir hören die Musik im Kopf. Das löst im Stirnlappen einen Reiz aus, der uns dazu animiert, innerlich (oder auch laut) mitzusingen. Das wiederum führt zu erneutem innerlichen Hören… Eine Endlosschleife, aus der es erstmal kein Entkommen gibt.

Comic: Musik wird im Gehirn in Dauerschleife abgespielt.
Der Ohrwurm: eine musikalische Endlosschleife im Gehirn. | Bild: NDR

Nicht jeder Mensch ist übrigens gleich anfällig für Ohrwürmer. Besonders Profimusiker und Musikfans werden häufig von Ohrwürmern geplagt. Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass das Gehirn solcher Menschen besondere Merkmale aufweist. Untersuchungen im MRT haben gezeigt, dass häufige Ohrwurm-Opfer in zwei wichtigen Hörarealen im Gehirn eine dünnere Hirnrinde haben. Diese Areale sind normalerweise auch dafür zuständig, spontane musikalische Empfindungen zu unterdrücken. Die Hypothese der Wissenschaftler: Je dünner die Rinde hier ist, desto weniger gut gelingt die Unterdrückung. Die Folge: häufige Ohrwürmer.

Wie aber wird man die lästige musikalische Dauerschleife wieder los? Psychologen empfehlen, das Lied erneut und bis zum Ende zu hören. Denn an unterbrochene Gedanken und unvollendete Aufgaben erinnert sich das Gehirn besser als an abgeschlossene. Der Assoziationscortex bleibt in solchen Situationen aktiv und das Gehirn versucht, die Aufgabe – oder eben die Melodie – bis zu ihrer Vollendung im Bewusstsein zu halten.

Autorin: Anke Christians (NDR)

Stand: 07.12.2019 18:18 Uhr

Sendetermin

Sa., 07.12.19 | 16:00 Uhr
Das Erste

Produktion

Norddeutscher Rundfunk
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DasErste