SENDETERMIN Sa., 13.04.19 | 16:00 Uhr | Das Erste

Virtual-Reality-Therapie bei Angst und Schmerzen erfolgreich

Ein Mann trägt eine VR-Brille
Virtuelle Welten können uns dabei helfen, Probleme zu lösen, die wir in der realen Welt haben.  | Bild: hr

Die virtuelle Welt hat längst Einzug in unser Leben gehalten. Vor allem in Computerspielen werden künstliche Welten mittlerweile so realitätsnah dargestellt, dass es oft schwer fällt, zwischen der echten und der virtuellen Welt zu unterscheiden. Doch mittlerweile dient die Technik nicht nur dem Zeitvertreib: Virtuelle Umgebungen können dabei helfen, Probleme in der realen Welt zu lösen.

Echte Angst vor unechter Höhe

Eine Einsatzmöglichkeit ist die Behandlung von Ängsten und Angststörungen. Wir begleiten Mark, der hofft, mithilfe der VR-Therapie seine Höhenangst zu überwinden. Mark muss sich zunächst eine Spezial-Brille aufsetzen, ein sogenanntes Head-Mounted-Display. Darin sieht er dreidimensional einen Turm, auf den er mithilfe eines Joysticks hinaufgehen soll. Begleitet und betreut wird er dabei von Prof. Andreas Mühlberger von der Universität Regensburg. "Die Patienten müssen versuchen, sich der Situation anzunähern, in der Situation zu bleiben, um dann die Erfahrung zu machen, dass diese Situationen nicht gefährlich sind, dass nichts passiert. Und dass die Angst auch von selber nachlässt, ohne dass man aktiv werden muss".

VR-Therapie individuell anpassbar

Blick von einem virtuellen Turm
Blick vom virtuellen Turm. | Bild: hr

Ganz langsam beginnt Mark, den virtuellen Turm hoch zu steigen. Psychotherapeut Mühlberger befragt ihn regelmäßig nach seinem Befinden. Auf Knopfdruck kann Mühlberger unterschiedliche Angstsituationen schaffen und so individuell auf den Patienten eingehen. Das sei in der realen Welt oft so nicht möglich, sagt Mühlberger.

Konfrontation in virtueller Realität ist Schwerstarbeit

Für Betroffene wie Mark ist es leichter, sich ihrer Angst erst einmal in der virtuellen Welt zu stellen. Denn der Verstand sagt: Es ist ja nicht real. Das Angstzentrum im Gehirn reagiert aber trotzdem so, als ob alles echt wäre – deshalb funktioniert die Therapie.  Schon nach kurzer Zeit spürt Mark die typischen Symptome der Höhenangst. Seine Beine werden zittrig, der Puls steigt. Dennoch lässt er sich, unterstützt und begleitet von Andreas Mühlberger, auf die Situation ein. Nach 45 Minuten hat er 15 Meter Höhe geschafft. Ein Erfolg.

Vom virtuellen auf den realen Turm

Ein Mann läuft eine Treppe hinauf
Vorsichtiger Aufstieg | Bild: hr

Nach dem Erfolgserlebnis auf dem virtuellen Turm will Mark versuchen auch einen echten zu erklimmen. Am nächsten Tag treffen wir ihn am Fuß des Bottroper Tetraeders. Schritt für Schritt, Stufe für Stufe wagt er sich höher. Macht immer wieder Pausen, um sich an die Höhe zu gewöhnen. Nach einer halben Stunde, steht er auf der ersten Plattform in über 20 Metern Höhe. Die virtuelle Therapie hat ihm Selbstvertrauen gegeben. Mit leicht zitternder Stimme, aber nicht ohne Stolz, sagt Mark: "Ich hätte nicht gedacht, dass ich das schaffe."

Nicht nur Höhenangst mit VR therapierbar

Neben Patienten mit Höhenangst können auch Menschen mit anderen Ängsten, etwa vor Spinnen oder mit Sozialphobien, mit entsprechenden virtuellen Szenarien behandelt werden. Seit 2014 empfiehlt auch die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften die virtuelle Angst-Therapie.

Ablenkung vom Schmerz

Ein Mann im Krankenhausbett wird medizinisch versorgt. Er trägt eine VR-Brille.
Schmerzlinderung durch Ablenkung in der virtuellen Welt.  | Bild: hr

Eine weitere Einsatzmöglichkeit von VR: Schmerztherapie. Am Uniklinikum Heidelberg etwa nutzt man die Brillen beim schmerzhaften Verbandswechsel an offenen Wunden. Die Patienten sehen während der Prozedur Naturaufnahmen –  aufgenommen mit einer 360-Grad-Kamera. Sie sind dadurch abgelenkt, tauchen in eine schöne Welt ab, in der sie sich sogar umsehen können.

VR zur Schmerzlinderung erstaunlich wirksam

An der Heidelberger Klinik ist man positiv überrascht von der Wirkung der Brille. „Die Schmerzreduktion war nicht nur während des Verbandswechsels, sondern auch deutlich danach zu erkennen“, erklärt Pflegedienstleiterin Michaela Wüsten. Ein bis zwei Stunden hielt die Linderung an - ganz ohne Medikamente.

VR-Einsatz auch in anderen medizinischen Bereichen

Entwickelt wurde die VR-Brille von Anders VR, einem Ableger der Uni Hohenheim. Die Brille wird bereits in unterschiedlichen Kliniken und Anwendungsbereichen erprobt. Zum Beispiel in der Physiotherapie, wenn Patienten schmerzhafte Dehnübungen machen müssen. „Durch die Brille, durch die Ablenkung konnte der Patient den Kopf stärker bewegen. Das heißt: Die eigentliche Übung, die der Therapeut mit einem macht, hat quasi noch einen größeren Nutzen durch die VR-Technologie erhalten“, erklärt uns Manuel Döbele von Anders VR. Auch Krankenkassen interessieren sich für die Brillen-Anwendung. Zunächst wollen die Entwickler zusammen mit der Uni Hohenheim aber noch erforschen, welches weitere Potenzial in der Brille steckt.

Autor: Stefan Venator (hr)

Stand: 13.04.2019 15:46 Uhr