Sa., 19.05.18 | 05:00 Uhr
Das Erste
Windkraft – Gefahr für Vögel
Windräder sind für unsere Energieversorgung zwingend nötig. Derzeit gibt es in Deutschland etwa 30.000 Anlagen. Wollen wir die Klimaschutzziele erreichen, müssen es in den kommenden Jahren sehr viel mehr werden. Doch es gibt ein Problem: Vögel können mit den Rotorblätter kollidieren. Besonders Greifvögel sind gefährdet: Sie sehen nach unten, wenn sie jagen und übersehen deshalb oft die Rotorblätter. Zudem nutzen viele Vögel die Thermik der Räder, aber die kann ihnen schnell zum Verhängnis werden.
2002 wurde damit begonnen, die Schlagopfer bundesweit in einer zentralen Datensammlung an der Vogelschutzwarte in Brandenburg zu erfassen. Bis 2017 wurden in Deutschland 500 tote Mäusebussarde und knapp 400 tote Rotmilane gezählt. Da Rotmilane zu den besonders schützenswerten Vögeln gehören und 50 Prozent ihres Gesamtbestandes in Deutschland brüten, gelten sie als am meisten gefährdet. Insgesamt wurden von 2002 bis 2017 3550 Kollisionsopfer aller Vogel-Arten dokumentiert, darunter auch Adler und Störche. Die Dunkelziffer dürfte aber höher liegen, weil wahrscheinlich nicht alle Schlagopfer gefunden und gemeldet werden.
Schutzzonen gibt es schon

Um noch mehr Kollisonsopfer zu verhindern, gibt es bereits Schutzzonen. So müssen bei der Genehmigung eines Windparks alle Vögel mit Bedacht werden. Bei einer Raumnutzungsanalyse werden alle Vögel und auch Fledermäuse in Feldstudien beobachtet und gezählt. Wie weit ein Horst von einem Windrad entfernt sein darf, regelt das Helgoländer Papier, herausgegeben von der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG VSW). Hier ist für jedes Bundesland der Mindestabstand von Vogelbrutplätzen zu einer Windkraftanlage vorgeschrieben, für die meisten Vogelarten liegt der Mindestabstand bei 1.000 Metern und mehr zu einem Horst.
Mutwillige Horstzerstörungen

Manch einer ist mit dieser Regelung offenbar nicht einverstanden. So wurden immer wieder von Unbekannten Vogelhorste, also Vogelnester, zerstört. Allein der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) zählte in den vergangenen 7 Jahren 60 zerstörte Horste. Ein Beispiel: Herzfelde in der Uckermark. Im Mai 2017 zersägten die Täter über Nacht einen Baum, auf dem sich ein Seeadler-Horst befand. Die Täter sind bis heute unbekannt, doch Naturschützer hegen den Verdacht, es könnte sich um Bürger handeln, die wirtschaftlichen Nutzen aus einer geplanten Windenergieanlage ziehen wollen.
Vögel vom Windpark weglocken
Der Ökologe Dr. René Krawczynski hat eine Vision, wie Vogelschutz und Windkrafträder zusammenpassen könnten. Er will die Vögel vom Windpark weglocken. Dafür legt er regelmäßig Unfallwild als Futter aus – in sicherer Entfernung zum Windpark. Seine These: Die Greifvögel fliegen dadurch seltener durch den Windpark. Die Idee dazu kam Dr. René Krawczynski während seines Tierökologiestudiums. Damals beschäftigte er sich damit, was passieren würde, wenn mehr Aas in Deutschland liegenbliebe – zum Beispiel nach Unfällen mit Wildtieren. Das Ergebnis: Besonders Greifvögle würden sich daran laben, denn die sind überwiegend Aasfresser. Sie jagen nur, wenn es sein muss. Wird ihnen Aas frei verfügbar angeboten, nutzen sie das gern, denn sie haben kein Verletzungsrisiko und können Energie sparen.
Die Windpark-Ablenkfütterung erforschte Krawczynski zunächst an der Uni Cottbus, inzwischen arbeitet er für ein Energieunternehmen in Brandenburg. In dessen Auftrag führt er die Untersuchungen weiter. Das Unternehmen möchte in Trebbin weitere Windkraftanlagen errichten, 25 stehen hier bereits. Nach dem Bau der bestehenden Anlagen hat sich hier ein Rotmilanpaar angesiedelt, nur 300 Meter vom Windpark entfernt. Ein Problem, das auch andere Windpark-Betreiber kennen. Und je mehr Windräder gebaut werden, desto häufiger wird das Problem auftreten und desto größer wird der Konflikt zwischen Windkraftanlagenbetreibern und Vögeln.
Ist die Ablenkfütterung ein Ausweg?

Mit selbstauslösenden Kameras hat Krawczynski 2017 schon dokumentiert, wie oft die Vögel am Kadaver gefressen haben, darunter Mäusebussarde und vor allem Kolkraben. Der Rotmilan hat sich allerdings nur einmal blicken lassen. René Krawczynski vermutet, dass der Kadaverplatz zu nah an einem Spaziergängerweg lag und es zu unruhig war.
In diesem Frühjahr beginnt die zweite Projektphase. Nun will Krawczynski herausfinden, ob die Greifvögel dank der Fütterung ihre Flugrouten ändern. Der Kadaverplatz ist diesmal doppelt so weit vom Windpark entfernt. Sollte es ihm gelingen, vor allem die Rotmilane abzulenken, könnte die Fütterung als Schutzmaßnahme deutschlandweit anerkannt werden.
Studien fehlen
Bislang ist sie unter Experten aber noch umstritten. Katrin Ammermann, Expertin für Naturschutz und erneuerbare Energien beim Bundesamt für Naturschutz, gibt zu bedenken, dass die Vögel den Windpark nicht nur zur Nahrungssuche durchfliegen, sondern auch zur Balz oder für Revierkämpfe. Sie ist der Meinung, dass die Ablenkfütterung nur in wenigen Ausnahmefällen Sinn machen kann.
Bislang empfehlen die Naturschutzbehörden die Einrichtung von Ablenkflächen außerhalb der Windparks, auf denen Luzerne oder Klee wachsen. Dort sind viele Kleinsäuger unterwegs und die werden von Greifvögeln gejagt. Auch sollte die Mahd oder Ernte im Windpark erst dann beginnen, wenn bereits andere Felder im Umfeld abgeerntet wurden, damit die Greifvögel eher dort ihre Beute schlagen. Als optimaler Schutz des Rotmilans wird eine ganzjährige, dichte Vegetationsdecke, vor allem niedrige, geschlossene Gehölzvegetationen, erachtet, um die Sicht auf den Boden zu reduzieren und die Flächen unattraktiv für die Suche nach Nahrung zu machen. Grünland sollte vermieden werden, weil hier die Sicht auf kleine Tiere besonders frei ist.
Doch all diese Maßnahmen, sagt Katrin Ammermann vom Bundesamt für Naturschutz, seien noch nicht ausreichend durch Studien belegt. Für 2018 sind die ersten umfassenden Studien vom Bundesamt für Naturschutz geplant. Die Vögel sollen über zwei Jahre besendert und so nachvollzogen werden, wie die Ablenkflächen das Flugverhalten im und um den Windpark beeinflussen.
Neuer Trend: Technische Systeme zur Vermeidung von Vogelschlag

Eine weitere große Hoffnung sind technische Erkennungs- und Ablenksysteme. Man unterscheidet zwischen Kamera-, Radar-, GPS- und Sensorsystemen. Weltweit wird derzeit von verschiedenen Herstellern unter Hochdruck geforscht. Die Systeme sollen erkennen, wenn sich ein Vogel nähert. Eine integrierte Software muss dann entscheiden, um welchen Vogel es sich handelt. Ist es etwa ein Greifvogel mit hohem oder ein kleinerer Vogel mit geringem Schutzstatus im Anflug.
Die Software entscheidet binnen Sekunden, was nun passiert. In der Regel wird versucht, mit einem Vergrämungs-Signal den Vogel zu verscheuchen. Wenn das nicht gelingt, werden die Rotorblätter angehalten. Die Systeme sind extrem teuer und funktionieren noch nicht zuverlässig, deshalb sind sie in Deutschland bis jetzt noch nicht zugelassen. Frühestens im Herbst 2018 will man hierzulande verschiedene Systeme testen.
Bürgerwindpark Hohenlohe entwickelt eigenes Kamerasystem

Das dauert den Betreibern vom Bürgerwindpark Hohenlohe zu lange. Bei ihnen in Baden-Württemberg haben sich drei Rotmilanpaare angesiedelt, weitere Windkraftanlagen bekommen sie so nicht mehr genehmigt und auch die bestehenden Anlagen mussten schon einmal für fünf und ein andres Mal für sieben Monate abgeschaltet werden, weil ein Rotmilanpaar in der Nähe gebrütet hatte. Doch stillstehende Windräder heißt für die Betreiber keine Einnahmen. Deshalb wollen sie nun auf eigene Faust ein Kamerasystem entwickeln. Seit Anfang März sind vier Kameras installiert. Sie sollen die Greifvögel erkennen. Parallel dazu entwickeln sie eine eigene Software, die die Anlage abschalten soll, sobald sich ein Vogel nähert. Im Laufe dieses Sommers sollen biologischen Begleitforschungen gemacht werden. Wann müssen die Anlagen abgeschaltet werden und ab welcher Anflug-Entfernung? All das soll dieses und nächstes Jahr umfangreich untersucht werden. Die Betreiber wollen eine halbe Million Euro investieren und hoffen auf eine staatliche Anerkennung des Kamerasystems.
Die Kadaver-Ablenkfütterung ist zumindest in Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland schon anerkannt und bislang die preiswerteste Methode. 3.000 bis 5.000 Euro zahlt Krawczynski im Jahr für die Kadaver. Es wird sich zeigen, welche Maßnahmen sich durchsetzen werden. Aber eins ist klar: Es wird mehr Windenergie geben müssen, und damit drängt die Zeit. Lösungen müssen her, um unsere Vögel zu schützen.
Autorin: Nina Schmidt (HR)
Stand: 03.08.2019 12:48 Uhr