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Zähne klären 7000 Jahre alten Massenmord auf

Zwei Menschen bei Ausgrabungsarbeiten in der Els-Trocs-Höhle
Grabungsarbeiten in der Els-Trocs-Höhle: Seit 2009 wird hier gegraben. | Bild: WDR

Vor rund 9000 Jahren besiedelten die ersten Ackerbauern aus dem Nahen Osten Zentraleuropa und die Iberische Halbinsel. In ihrer neuen Heimat waren sie aber nicht allein, sondern trafen auf dort bereits lebende Jäger und Sammler. Was geschah, als die beiden völlig verschieden lebenden Menschengruppen aufeinandertrafen? Insgesamt gibt es kaum archäologische Zeugnisse von kriegerischen Auseinandersetzungen in dieser Zeit. Doch Knochen- und Zahnfunde aus einer Höhle in den spanischen Pyrenäen zeigen nun: Wahrscheinlich ging es bei diesen Begegnungen nicht immer friedlich zu.

Zerschossene Schädel zeugen vom Massenmord

Seit gut 10 Jahren graben Archäologen aus Spanien und Deutschland in der Els-Trocs-Höhle hoch oben in den spanischen Pyrenäen. Mit im Team: Der Deutsche Kurt Alt, Professor an der Danube Private University (DPU) in Krems an der Donau und Experte für Dental-Anthropologie. Früh stellt sich heraus: Die Forscher haben es mit einer besonderen Grabungsstätte zu tun. Im hinteren Teil der Höhle stoßen sie auf zerschlagene menschliche Knochen und Schädelteile. Schnell wird klar: Es handelt sich um die Überreste mehrerer Menschen, allerdings wild durcheinandergemischt, weshalb die Forscher zu dem Schluss gelangen, dass die Individuen nicht bestattet wurden.

Untersuchungen an den Skelettfragmenten zeigen schließlich: Die Menschen wurden brutal ermordet. Ein Schädelknochen zeigt das Einschussloch eines Pfeiles. Außerdem finden die Wissenschaftler durchtrennte Arm- und Oberschenkelknochen: Wahrscheinlich wurde den Menschen durch stumpfe Gewalt Arme und Beine gebrochen. Auch Kieferknochen und Zähne gehörten zu den Funden.

Die Zähne geben Aufschluss über Herkunft der Opfer

Zwei Hände halten einen Schädel und untersuchen den Oberkiefer
Die DNA-Analyse der Zähne verrät viel über die Herkunft der Opfer. | Bild: WDR

Wer waren die Ermordeten? Und wer hat sie umgebracht? Nach und nach ordnen die Forscher Schädel-, Kieferknochen und Zähne acht Individuen zu – vier Erwachsenen und vier Kindern. Analysen der Knochen ergeben, dass die Menschen vor rund 7000 Jahren gelebt haben. Alle, das belegen die Funde, wurden getötet, aber warum? Dem Dental-Anthropologen Kurt Alt gelingt es, intakte DNA aus den Zahnwurzeln zu entnehmen und zu analysieren. Das Ergebnis: Bei den acht Individuen handelt es sich nicht um Einheimische, sondern um Einwanderer. Die DNA weist auf Vorfahren im Nahen Osten, die wahrscheinlich über den Balkan, das heutige Italien und Südfrankreich nach Spanien eingewandert waren. War es hier oben in den Pyrenäen zu einem Zusammenstoß der Fremden mit einer einheimischen Jägergruppe gekommen?

Die Opfer waren wahrscheinlich frühe Hirten und Bauern

Prof. Kurt Alt, Professor an der Danube Privat University (DPU) in Krems an der Donau
Prof. Kurt Alt ist Experte für Dental-Anthropologie. | Bild: WDR

Als nächstes nahm Professor Alt eine sogenannte Isotopenanalyse des Zahnschmelzes vor; die verrät, welche Nahrungsmittel die Opfer in ihrer Jugend gegessen hatten. Das Ergebnis: Sieben der acht Individuen lebten bereits in ihrer Jugend im nördlichen Spanien, nur einer der Männer der Gruppe hatte seine Jugend in Mitteleuropa verbracht. Das heißt, die Gruppe lebte vermutlich bereits seit 2-3 Generationen als Bauern in Spanien. Aber was hatten sie hier oben in den Pyrenäen zu suchen? Noch heute gibt es dort so gut wie keinen Ackerbau. Die Winter sind kalt, es gibt nur wenige Anbauflächen. Kurt Alt hat eine Vermutung: Wahrscheinlich handelt es sich bei der Gruppe um frühe Hirten, die ihr Vieh im Sommer zum Weiden in die Berge trieben. Dafür spricht, dass die Gruppe aus älteren Erwachsenen und Kindern bestand: Junge Männer und Frauen blieben im Tal und bestellten die Felder der Sippe. Alte und Kinder verbrachten den Sommer mit den Nutztieren in den Bergen.  

Wer waren die Täter?

Gemaltes Bild mit Jägern mit Pfeil und Bogen auf der einen und unbewaffneten Bauern auf der anderen Seite
Haben Jäger und Sammler die acht Bauern umgebracht? | Bild: WDR

Allein anhand der Zähne und Schädelknochen konnten die Forscher viel über die Identität der acht Mordopfer herausfinden. Doch wer waren die Täter? In der Höhle haben die Wissenschaftler von diesen bisher keine Spuren gefunden. Ohne empirische Belege muss jede Aussage über sie Spekulation bleiben. Kurt Alt glaubt, dass es grundsätzlich zwei Möglichkeiten gibt: Entweder handelt es sich bei den Tätern um andere Bauern, die – warum auch immer – mit der Gruppe in Streit geraten waren und sie brutal ermordeten. Oder es waren Jäger und Sammler, die sich von den Neuankömmlingen bedroht fühlten und deshalb zu Bogen und Prügel griffen. Die Grabungen in Els Trocs sind vorerst abgeschlossen. Und vielleicht wird die jetzt anstehende Auswertung der neuen Funde auch Hinweise auf die Täter bringen.

Autor: Max Lebsanft (WDR)

Stand: 17.10.2019 12:09 Uhr

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Sa., 19.10.19 | 16:00 Uhr
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Norddeutscher Rundfunk
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