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Spannungsgeladen: Die Kommunikation zwischen Insekt und Blüte

Eine Hummel an einer Lavendelblüte
Eine Hummel an einer Lavendelblüte | Bild: ARD

Honigbienen und ihre nahen Verwandten sind nicht nur im sprichwörtlichen Sinne extrem fleißig. Eine Honigbiene fliegt zum Beispiel bis zu 30 Mal pro Tag aus und besucht bei jedem dieser Flüge zwischen 200 und 300 Blüten um Nektar und Pollen zu sammeln. Der eiweißreiche Pollen wird verfüttert, der Nektar dient als "Flugbenzin". Dabei müssen Hummel, Biene und Co. methodisch vorgehen, denn jeder Flug, jede Landung, jedes Abheben kostet die kleinen Insekten Kraft. Da will man natürlich weder Umwege fliegen noch auf "leeren" Nektar-Tankstellen landen.

Schaut man den Bienen bei ihrer Arbeit im Blumenbeet aufmerksam zu, fällt schnell auf, dass Bienen, aber auch Hummeln zielgerichtet bestimmte Blüten anfliegen. Bei längerem Hinsehen kann man beobachten, dass die Insekten genau jene Blüten ansteuern, die schon länger keinen "Besucher" mehr hatten, deren Nektar-Reserven also voll sind! Diese Beobachtung machte Professor Daniel Robert, Neurobiologe an der Universität Bristol stutzig. Woher, fragte er sich, wissen die Insekten eigentlich, welche Blüte gerade leer gesaugt wurde und welche noch Nektar zu bieten hat?

"Blumen können es sich nicht leisten ihre Kunden, also ihre Bestäuber zu enttäuschen! Die sollen ja den Pollen mitnehmen und ihn weiterverbreiten", erklärt Daniel Robert. "Das ist so, als würden Sie in den Supermarkt gehen um einen ganz speziellen Joghurt zu kaufen, den sie besonders gerne essen, und dann ist der ausverkauft! Sie gehen am nächsten Abend hin, wieder ausverkauft. Das machen Sie vielleicht noch ein, zwei Mal mit, dann gehen Sie aber wahrscheinlich in einen anderen Supermarkt und kaufen sich ihren Lieblingsjoghurt dort – und wahrscheinlich auch alles andere, was sie brauchen."

Die Sprache der Blumen

Hummel trinkt Nektar
Bienen und Hummeln sind die wichtigsten Bestäuber für unsere heimischen Pflanzen. | Bild: SWR

Das Hummeln und Bienen extrem lernfähig sind, haben diverse Studien bewiesen, und auch Professor Robert konnte nachweisen, dass Hummeln offenbar erkennen können, wo sie Futter finden und wo nicht. Während ihrer Evolution haben Blüten und ihre Bestäuber tatsächlich so etwas wie eine Kommunikation entwickelt. Mit bestimmten Signalen locken die Blüten Bienen und Hummeln an. Zum Beispiel mit ihren Formen, Farben und Düften. "Das alles kann eine Blüte aber nicht spontan und kurzfristig ändern, um zu sagen: 'Hey, ich habe gerade keinen Nektar, komm später wieder!'", erklärt Daniel Robert. "Aber eine Sache gibt es, die sich an Blumen ziemlich schnell ändert: ihr elektrisches Potenzial!"

Elektrisches Potenzial: Spannungsgeladene Kommunikation

Blasen mit Minuszeichen an einer blühenden Pflanze.
In Blumen bilden sich negative Ladungen | Bild: NDR

Elektrische Ladungsunterschiede sind auch für den Menschen spürbar. Jeder, der schon mal mit Plastiksohlen über einen Teppich gelaufen ist und dann einen metallenen Türgriff angefasst hat, kennt das. Blumen sind "geerdet", sie wachsen im Boden und laden sich daher negativ auf. Bienen und Hummeln hingegen laden sich, durch die beim Fliegen entstehende Reibung, positiv auf. Das ist auch der Grund dafür, dass Blütenpollen von ihrem Pelz "magisch" angezogen werden. Da Hummeln besonders viele Haare haben, macht sie diese Eigenschaft zu besonders effektiven Bestäubern.

Der Neurobiologe Daniel Robert vermutete, dass die Insekten Ladungsunterschiede wahrnehmen können und sie als eine Art Leitsignal benutzen. Denn jedes Mal, wenn eine Hummel oder Biene auf einer Blüte landet um den Nektar abzusaugen, neutralisieren sich die elektrischen Ladungen zwischen Kunde und Nektartankstelle. Danach dauert es eine Weile, bis sich die negative Ladung in der Blume wieder aufgebaut hat. In dieser Zeit produziert die Blüte neuen Nektar.

Daniel Robert stellt sich gerne vor, wie seine Hummeln eine Blumenwiese wahrnehmen: "Da stechen dann die nektarreichen Blüten aus der Wiese heraus, wie kleine Leuchttürme, oder so als hätten sie ein Neonschild, auf dem "geöffnet" steht. Blüten die gerade Besuch von anderen Insekten hatten, und somit leer sind, würden ihr Schild ausknipsen, bis sie wieder für Nachschub gesorgt haben!"

Lauschangriff auf Blüte und Hummel

Eine verkabelte Blume in einer Vase.
Die Versuchs-Blume wird verkabelt. | Bild: NDR

Das Wechselspiel zwischen den elektrischen Ladungen von Hummel und Blüte können Daniel Robert und seine Mitarbeiter auch akustisch demonstrieren, indem sie eine Blüte verkabeln und ihr Spannungspotential über Lautsprecher hörbar machen. Der Ton wird lauter oder leiser, wenn sich die Hummel der Blüte nähert beziehungsweise sich entfernt. In dem Moment, in dem die Hummel landet, verschwindet der Ton.

Das eigentliche Ziel der Bristoler Neurobiologen ist es aber, herauszufinden, wie die Insekten die Spannungsunterschiede wahrnehmen. Haben sie dafür bestimmte Organe? Wenn ja, wo sitzen sie? Für ihre Forschungen beobachten sie die Bewegungen der Haare und Antennen von Hummeln, die einem schwachen elektrischen Feld ausgesetzt werden. Da diese Bewegungen so minimal sind, dass das menschliche Auge sie nicht wahrnehmen kann, werden die Bewegungen von Haaren und Antennen der Insekten mithilfe eines Lasers überwacht. Die Versuche finden in einem Raum statt, der vom Gebäude entkoppelt ist, damit Schwingungen von außen die Ergebnisse nicht verfälschen.

Die Bewegungen der Antennen werden mithilfe des Lasers und einer speziellen Software sichtbar. Im nächsten Schritt wollen Prof. Robert und seine Mitarbeiter herausfinden, wie und wo die Hummel diese Bewegungen registriert. Ob Hummeln also so etwas wie ein Organ zur Verarbeitung elektrischer Reize haben, wo es sitzt und wie es funktioniert ist noch nicht abschließend geklärt.

Autorin: Julia Schwenn (NDR)

Stand: 15.08.2020 12:52 Uhr

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Sa., 10.08.19 | 16:00 Uhr
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Norddeutscher Rundfunk
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