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Das Schulbuch der Zukunft

Zwei Frauen sitzen vor zwei Bildschirmen, eine Frau steht rechts daneben und zeigt etwas auf dem einen Bildschirm.
Jugendliche im Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz beim Lesen des schlauen Schulbuchs der Zukunft | Bild: BR

Wie kann Künstliche Intelligenz in der Bildung sinnvoll eingesetzt werden? Eine Anwendung, die bereits erforscht wird, ist das intelligente Schulbuch der Zukunft. Mit einem Eye-Tracker und einer Infrarotkamera misst es, wie aufmerksam Schüler lesen. Die so gewonnenen Daten können Aufschluss darüber geben, ob die Schüler den gelesenen Text auch verstehen. So wird eine optimale individuelle Förderung möglich – und gleichzeitig erfolgt die totale Lernüberwachung.

Rund 20 Schülerinnen sitzen vor Computern und lesen einen Text aus einem digitalen Physik-Lehrbuch. Was auf den ersten Blick wie normaler Unterricht in einem modernen Klassenzimmer wirkt, ist ein Workshop am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern. Hier arbeiten Forscher an einem Prototyp des Schulbuchs der Zukunft, dem HyperMind-Projekt. Die Grundidee: Während die Schülerinnen den Text im Physikbuch lesen, liest das Physikbuch auch seinerseits die Schülerinnen. Ein Eye-Tracker zeichnet ihre Augenbewegungen auf, eine Infrarotkamera erfasst die Gesichtstemperatur. "HyperMind ist ein adaptives Schulbuch", erklärt DFKI-Mitarbeiter Nicolas Großmann. "Es analysiert mit Hilfe von Sensoren das Lernverhalten der Leser und kann darauf basierend die Lerninhalte verändern."

Eine Revolution in der Bildung

Solche Konzepte könnten in Zukunft die Bildung revolutionieren. Junior-Professor Pascal Klein arbeitet im Bereich Didaktik der Physik an der TU Kaiserslautern und ist der Leiter des iQL, des interaktiven Lernlabors am DFKI. Er sieht in künstlich-intelligenten Anwendungen im Bildungsbereich enormes Potential. Denn: "Jeder Schüler ist verschieden. Jeder Schüler kommt mit eigenen Stärken und Schwächen. Es gibt verschiedene Ausprägungen der Lesekompetenz, der mathematischen Fähigkeiten." Die KI biete endlich die Möglichkeit, auf diese unterschiedlichen Anlagen einzugehen.

Eine Frau sitzt vor einem großen und einem kleinen Bildschirm.
Die Infrarotkamera dokumentiert, wie groß die Anstrengung beim Lesen ist | Bild: BR

Das schlaue Schulbuch der Zukunft beobachtet das Leseverhalten der Schüler. Bewegen sich die Augen flüssig durch den Text, scheint in Sachen Lernverständnis alles in Ordnung zu sein. Bleiben sie dagegen immer wieder an einer Stelle hängen, könnte ein Problem vorliegen. Erkennt außerdem die Infrarotkamera, dass die Stirntemperatur ansteigt und die Nase kälter wird, spricht das für eine erhöhte Zuckerverbrennung im Gehirn, also für eine angestrengte Denkleistung.

"Und wenn ich das jetzt in Kombination mit dem Eye-Tracker sehe, kann ich das direkt kombinieren: Da wurde hingeschaut. Da ist die Belastung. Und so kann ich eben gewisse Schlüsse daraus ziehen, was die meisten Probleme macht und wo man helfen sollte", so Pascal Klein. Die Künstliche Intelligenz wird darauf trainiert, solche Zusammenhänge aus den Sensordaten richtig abzuleiten und dann passend zu reagieren, indem sie zum Beispiel ein Tutorial oder eine Stoffwiederholung als Angebot auf dem Bildschirm einblendet.

Roboter als Helfer an den Universitäten?

Studenten sitzen in einem Hörsaal und werden von einem Roboter unterrichtet.
Manche Aufgaben im Lehrbetrieb an den Universitäten könnte in Zukunft ein Roboter übernehmen. | Bild: BR

Künstliche Intelligenz könnte so den Lehr- und Lernbetrieb persönlicher machen, und das nicht nur in Form eines schlauen Schulbuchs. An der Universität Marburg zum Beispiel experimentiert Anglistik-Professor Jürgen Handke mit einem eigens programmierten Roboter als Teilzeit-Vertretung. Der Roboter beantwortet in der Sprechstunde die immer gleichen Fragen der Studenten oder veranstaltet während der Vorlesungen ein Quiz mit Prüfungsfragen. So bleibt dem Professor – so die Idee – mehr Zeit für die persönliche Betreuung seiner Studenten.

Noch weiter gehen die Pläne an der FernUni in Hagen. Unter der Leitung der Bildungswissenschaftlerin Claudia de Witt soll hier in Kooperation mit dem DFKI ein digitaler Assistent erschaffen werden. Rund 75.000 Studenten sind derzeit an der FernUni aktiv. Sie nutzen für den Kontakt mit der Hochschule eine Lernplattform im Internet. Hier soll der Assistent andocken. Und der soll viel mehr sein als ein einfacher Chatbot oder sprechender Terminkalender.

Führt die KI zur totalen Überwachung?

Zwei Frauen stehen vor einem großen Bildschirm.
An der Fernuni Hagen sollen virtuelle Assistenten den Studenten auf die Sprünge helfen. | Bild: BR

Die Künstliche Intelligenz wird gefüttert mit persönlichen Informationen der Studenten, dem Studienfortschritt, den Inhalten der belegten Kurse und Theorien des Lernens. "Dieses System soll genaue Kenntnis haben über den Wissensstand der Studenten, über die Vorlieben zu Lernstrategien, auch zu den eigenen Lernzielen, welche Module der Student oder die Studentin schon gemacht hat", sagt Claudia de Witt. "Also der weiß eigentlich alles über den Studenten." Auf Grundlage all dieser Daten soll der digitale Assistent passgenaue Hinweise geben können, die den Studenten auf dem Weg zu einem erfolgreichen Abschluss helfen. "Ein großes Risiko, dessen sind wir uns bewusst, ist, dass die Künstliche Intelligenz ein dauerkontrollierender Einmischer wird. Daher ist es unbedingt notwendig, gerade zu Beginn bei der Entwicklung eine Balance herzustellen zwischen Fremd- und Selbstbestimmung", sagt Claudia de Witt.

Ein sensibler Punkt, der auch das adaptive Schulbuch betrifft. Schließlich stehen die Schülerinnen beim Lernen unter digitaler Dauerbeobachtung. Der Lehrer soll am Ende aber gar nicht differenziert über die Leistung jedes einzelnen Schülers informiert werden, sagt Nicolas Großmann. "Eine Idee ist, dass wir dem Lehrer so eine Art Zusammenfassung geben. Nicht individuell: 'Diese Person ist gut, diese Person ist schlecht', sondern sowas sagen wie: 'Pass mal auf, deine Klasse hat das gelesen, das sind 30 Schüler, die Hälfte davon hat Aufgabe zwei und drei nicht verstanden, das solltest Du ihnen lieber nochmal erklären'."

Bei den Schülerinnen, die das adaptive Schulbuch am DFKI ausprobieren konnten, kommt das System gut an. Direktes Feedback zum eigenen Lernverhalten, eine klare Einschätzung wie die eigene Leistung einzuordnen ist – in ihren Augen überwiegen erst einmal die Vorteile.

Autor:  Gunnar Mergner (BR)

Stand: 09.11.2019 16:46 Uhr

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Sa., 09.11.19 | 16:00 Uhr
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Norddeutscher Rundfunk
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