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Norwegen: Die teuersten Daunen der Welt

Eiderente mit ihren Küken im Nest
Eiderenten bringen geschützt ihren Nachwuchs zur Welt. | Bild: WDR

Der Vega-Archipel, eine Inselgruppe in Norden Norwegens, ist das Reich der Eiderenten. Im Frühling kehren sie aus ihren Winterquartieren im Süden an den Polarkreis zurück. In den flachen Küstengewässern suchen sie nach Nahrung für sich und ihren Nachwuchs, der hier im Juni zur Welt kommen wird. Doch die Brutplätze an Land sind weitgehend ungeschützt, die mit Daunen ausgepolsterten Nester Wind und Wetter ausgesetzt. Und in direkter Nachbarschaft der Entennester lauern Mantelmöwen und Seeadler darauf, Eier zu stehlen oder einen Jungvogel zu erbeuten.

Auf der kleinen Insel Lånan werden die Eiderenten auf ganz besondere Art und Weise aufgenommen. Von Menschen errichtete Entenhäuser bieten ihnen hier Schutz und sichern den Bruterfolg. Eine Tradition, die von den Bewohnern Lånans seit über 1.000 Jahren gepflegt wird.

Eine Symbiose von Mensch und Tier

Kleines Holzhüttchen mit Schild im Vordergrund.
Auf der Insel Lånan gibt es Hunderte Entenhäuschen. | Bild: WDR

Ende April schallen Hammerschläge über die kleine Insel. Erna und Eivind Øvergård reparieren Entenhäuschen aus Holz, die über den Winter gelitten haben. Die beiden Rentner sind aus dem fast 700 Kilometer entfernten Oslo zu Ernas Heimatinsel gereist, um die Traditionen ihrer Vorfahren am Leben zu erhalten. Allein auf ihrem Teil der Insel stehen über 100 der kleinen Hütten. Insgesamt neun Familien kommen im Frühjahr auf die im Winter unbewohnte Insel zurück, um die Brutplätze der Eiderenten vorzubereiten. Sie legen getrockneten Seetang als Nistmaterial in die Unterkünfte. Für manche haben sie sogar Namensschilder angefertigt.

Anfang Mai kommen die ersten Enten an Land. Sie haben sich draußen auf dem Wasser gepaart und suchen sich jetzt ein Nest. Die Weibchen legen drei bis vier Eier und beginnen zu brüten. Die Erpel verlassen die Insel und ziehen weiter. In den folgenden vier Wochen, ungefähr bis zur Mittsommerwende, brüten die Weibchen – sicher geschützt in den menschengemachten Häuschen. Sind die Küken geschlüpft, schützen die Entenhüter sie auf ihrem gefährlichen Weg zum Meer. Denn auch hier lauern die Fressfeinde der Enten auf Beute.

Wertvolle Daunendecken

Eine Frau reinigt Daunen in einem Schuppen
Ein Kilo Daunen zu reinigen, dauert rund zwei Wochen. | Bild: WDR

Dass die Menschen sich so gut um die Wasservögel kümmern, ist jedoch nicht ganz uneigennützig. Über Jahrhunderte trugen die Enten erheblich zum Einkommen der Fischer und Bauern bei. Denn wer die Tiere dazu brachte, auf dem eigenen Grund und Boden zu brüten, durfte anschließend die begehrten Daunen aus den Nestern behalten, konnten sie weiterverarbeiten und verkaufen. Doch im 20. Jahrhundert gab es dafür kaum noch Geld. Immer mehr Menschen zogen weg. Nur auf wenigen Inseln im Archipel hielten die Bewohner die Tradition aufrecht. Heute lohnt sich die Mühe wieder: Seit der Vega-Archipel zum Weltkulturerbe erklärt wurde, sind die in Handarbeit gefertigten Daunendecken sehr begehrt.

Sobald die Enten mit ihrem Nachwuchs sicher abgezogen sind, machen sich die Familien auf Lånan an die Ernte. Sie sammeln die Daunen aus den verlassenen Nestern. Die Reinigung der Federn ist aufwändig: Um ein Kilo Daunen aufzuarbeiten, braucht ein Entenhüter rund zwei Wochen. Davon leben können die Insulaner nicht. Alle neun Familien ernten jedes Jahr gemeinsam Federn für etwa 20 Decken. Mittlerweile bringt eine Decke rund 6.000 Euro ein. Zwischen 10.000 bis 15.000 Euro verdient eine Familie also für ihre monatelange Arbeit.

Weltkulturerbe mit Nachwuchssorgen

Flugaufnahme Vega-Archipel im Abendlicht
Der Vega-Archipel besteht aus über 6.500 Inselchen | Bild: WDR

2004 wurde der Vega-Archipel wegen seiner einmaligen Tradition zum Weltkulturerbe erklärt. Doch immer mehr Menschen ziehen weg. Auf der Hauptinsel des Archipels, Vega, leben noch die meisten Menschen. Es gibt Straßen, Autos und Geschäfte, aber keine Eiderenten. Diese nisten nur weit draußen, auf einigen der rund 6.500 kleinen und kleinsten Inseln. Früher wurden auf 17 von ihnen Eiderentendaunen geerntet, zur Jahrtausendwende noch gerade einmal auf dreien, darunter Lånan. Sie ist die Enteninsel schlechthin. Die Vögel kehren nach wie vor Jahr für Jahr in großer Zahl zurück. Aber wenn die Entenhüter, wie Erna und Eivind, vormittags bei Stockfisch und Bier Pause am Anleger machen, ist es offensichtlich, dass hier der Nachwuchs fehlt. Die jüngste unter ihnen, Hildegunn, ist 63 Jahre alt. Sie hofft, dass sich auch in Zukunft wieder Jüngere für das Leben in dieser schönen, aber einsamen Gegend begeistern werden. Denn nur so hat die einzigartige Symbiose von Mensch und Tier eine Zukunft.

Autor: Daniel Münter (WDR)

Programm-Tipp:
Die ausführliche Doku zum Thema zeigt Arte am 28. Juni um 18:35 Uhr: Paradiese mit Zukunft: Norwegen – Rückkehr zu den Enteninseln.

Stand: 31.05.2019 10:56 Uhr

Sendetermin

Sa., 01.06.19 | 16:00 Uhr
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Norddeutscher Rundfunk
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