Sa., 20.10.18 | 04:25 Uhr
Das Erste
Warum Einsamkeit uns krank macht

Bereits in den 1950-er Jahren hatte der Psychiater René A. Spitz in US-amerikanischen Kliniken und Waisenhäusern beobachtet, wie wichtig sozialer Kontakt für Kleinkinder in den ersten Lebensmonaten ist. Im war aufgefallen, dass die Kinder, denen in diesem Zeitfenster für einige Monate eine feste Bezugsperson fehlte, starke körperliche und geistige Entwicklungsschäden davontrugen. Ein Drittel der Kinder, die vollständig auf eine feste Bezugsperson verzichten mussten, starb sogar an diesem sozialen Mangel. Geborgenheit und menschliche Nähe ist demnach für Kleinkinder genauso wichtig wie Essen oder Schlafen.
Auch für Erwachsene scheint das zu gelten, denn laut vieler Studien sind Einsamkeit und soziale Isolation gefährlicher als Alkoholismus oder Fettsucht. 2010 hatte die Forschergruppe von Julianne Holt-Lunstad die Ergebnisse von insgesamt 148 Einzelstudien ausgewertet. Das Fazit: Verglichen mit vielen gut untersuchten Gesundheitsrisiken, sind soziale Isolation und Einsamkeit das größte Risiko für einen frühen Tod.
Gruppe als Schutz

In der Prähistorie, als Menschen noch ganz unmittelbar dem täglichen Überlebenskampf ausgesetzt waren, lebte man zusammen in kleinen Gruppen. Nur durch die Vorteile einer Gemeinschaft wie zum Beispiel der gemeinsamen Nahrungsbeschaffung oder der gegenseitigen Fürsorge war es möglich, dass Nachkommen das Erwachsenenalter erreichten und die Art erhalten werden konnte. Vor allem bot die Gruppe Schutz vor Gefahren wie zum Beispiel wilden Tieren. Viele Wissenschaftler gehen deshalb davon aus, dass in dieser Phase der menschlichen Entwicklung ein Mechanismus entstanden ist, der uns in einen Alarmzustand versetzt, sowie wir den Schutz der Gruppe verlieren. Ein Schutzmechanismus, der dann für erhöhte Aufmerksamkeit sorgte und uns in Gefahrensituationen alle Kraftreserven für eine Flucht oder Kampf bereitstellte.
Wir tragen die Vergangenheit in uns

Tatsächlich konnte solch ein Mechanismus im Jahr 2007 durch Naomi I. Eisenberger und Ihren Mitarbeiter in Los Angeles nachgewiesen werden. Die Wissenschaftler hatten durch ein ausgeklügeltes Protokollverfahren von ihren Probanden genaue Informationen über deren soziale Kontakte zu Menschen, die sie als sehr hilfreich für ihr Leben einstuften. Im zweiten Schritt unterzog man diese Studienteilnehmer dem sogenannten Trierer Stresstest, bei dem man deutlich den Anstieg des Stresshormons Cortisol nachweisen kann. Interessanterweise beobachtete man dabei, dass die Teilnehmer mit wenigen Sozialkontakten unter Stress signifikant mehr Cortisol ausschütteten, als die Teilnehmer, die viele Sozialkontakte hatten. Spätere Studien von anderen Forschern konnten sogar nachweisen, dass Menschen, die sich einsam fühlen oder sozial isoliert sind, auch ohne Stresssituationen – also bereits morgens oder abends vor dem Schlafengehen – erhöhte Cortisol-Spiegel haben.
Wie Cortisol uns krank macht

Der dauerhaft erhöhte Cortisol-Spiegel löst in unserem Körper, wie einst in der Prähistorie, ein Notfallprogramm aus, das unsere Bereitschaft für Flucht und Angriff aktivieren soll. Die Folge: Wir schlafen schlechter, Blutdruck und Blutzucker steigen dauerhaft an. Andere Körperfunktionen wie zum Beispiel unser Immunsystem, das in akuten Gefahrensituationen nicht gebraucht wird, fährt das Cortisol runter. Dass solche physiologischen Prozesse, vor allem wenn sie über lange Zeit andauern, in unserer heutigen Welt große gesundheitliche Nachteile mit sich bringen, ist leicht vorstellbar.
In mehreren Studien konnte man mittlerweile den direkten Zusammenhang zwischen sozialer Isolation und dem Anstieg des Risikos für viele Erkrankungen nachweisen. Unter anderem wurde gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Herzinfarkt um 29 Prozent steigt, für einen Schlaganfall um 32 Prozent, für eine Krebserkrankung um 25 Prozent und die Wahrscheinlichkeit früher zu sterben um 30 Prozent zunimmt.
Wie es auch geht

Umgekehrt betrachtet zeigten die Studien aber auch, dass alles, was wir für unser soziales Miteinander tun, sich sehr positiv für ein langes Leben auswirkt. Das bedeutet, dass gemeinsame Stunden mindestens genauso gesundheitsfördernd sind, wie ein Fitnesstraining.
Autor: Jörg Wolf (SWR)
Stand: 29.08.2019 01:30 Uhr