SENDETERMIN Sa., 14.09.19 | 16:00 Uhr | Das Erste

Die Geheimnisse der Himmelsscheibe

Himmelsscheibe von Nebra
Archäologen haben die Geheimnisse der Himmelsscheibe entschlüsselt . | Bild: picture alliance / KEYSTONE

Die Himmelsscheibe von Nebra ist einer der spektakulärsten archäologischen Funde der letzten Jahrzehnte. Schon die Geschichte ihrer Entdeckung ist ein Krimi: 1999 finden Sondengänger zufällig die 3.800 Jahre alte Scheibe zusammen mit Waffen und Schmuck nahe dem Ort Nebra in Sachsen-Anhalt. Hehler verkaufen den Fund weiter. 2002 rettet die Polizei den Jahrhundertfund. Es beginnt ein Gerichtsprozess um die Echtheit der Himmelsscheibe, bei der sie wie kein Objekt zuvor mit modernsten wissenschaftlichen Methoden untersucht wird. Die Erkenntnisse daraus führen zur Wiederentdeckung einer uralten, untergegangenen Kultur Mitteleuropas. Sie stellen die Vorstellung von unzivilisierten Wilden zur Zeit der Frühbronzezeit in Mitteleuropa auf den Kopf.

Codiertes Geheimwissen

Die Wissenschaftler rätselten zunächst über die Darstellung auf der Himmelsscheibe. Es ist der älteste Fund, der den Sternenhimmel konkret darstellt und nicht mit mystischen Symbolen. Sie fanden heraus, dass die Himmelsscheibe zweimal umgestaltet worden ist. In ihrer ursprünglichen Version zeigt die Himmelsscheibe verschlüsseltes, kalendarisches Geheimwissen. Damit ließ sich der unterschiedliche Rhythmus von Sonne und Mond synchronisieren und ein präziser Kalender erstellen. Konkret zeigte die Darstellung eine Konstellation der Mondsichel einer bestimmten Breite und dem gut sichtbaren Sternenhaufen der Plejaden.

Ist diese Konstellation am Himmel zu sehen, muss ein Schaltmonat eingeführt werden. Die 32 goldenen Sterne auf der Himmelsscheibe bieten einen weiteren Bezugspunkt, um die Schaltregel anwenden zu können. Mit dem Kalender konnten Eingeweihte in das Wissen der Himmelsscheibe auch astronomische Ereignisse wie eine Mondfinsternis vorhersagen. Dieses Wissen bedeutete in der damaligen Zeit Macht.

Globalisierte Welt in der Frühbronzezeit

Europakarte mit drei eingezeichneten Punkten.
Die weit entfernte Herkunft des Materials deutet auf eine gut vernetzte Kultur der Frühbronzezeit hin.  | Bild: SWR

Das astronomische Wissen um die Kalenderregel stammt wahrscheinlich aus dem Vorderen Orient. Dort war die Beobachtung des Nachthimmels wegen des meist wolkenlosen Himmels fast das ganze Jahr über möglich. Die kontinuierliche Beobachtung des Sternenhimmels ist Voraussetzung für astronomisches Wissen. Harald Meller, der Landesarchäologe Sachsen-Anhalts, geht davon aus, dass ein Fürstensohn aus dem heutigen Mitteldeutschland auf einer Reise in den Vorderen Orient dieses Wissen erlangt haben könnte.

Untersuchungen der Materialzusammensetzung der Himmelsscheibe stützen die These eines europaweit vernetzten Volkes. Die Analyse zeigt: Das Kupfer der Scheibe stammt aus den östlichen Alpen vom Mitterberg beim heutigen Ort Bischofshofen in Österreich. Das Gold stammt aus Cornwall im heutigen England. Es gab also schon damals Handelsbeziehungen und den Austausch von Wissen über große Entfernungen. Harald Meller spricht von einer globalisierten Welt, schon in der Frühbronzezeit.

Pyramide des Nordens

Die Wissenschaftler machten sich auch auf die Suche nach den früheren Besitzern der Himmelsscheibe. Sie gingen davon aus, dass nur mächtige Herrscher ein solches Objekt in Auftrag geben konnten. Herrscher der Frühbronzezeit wurden in Grabhügeln bestattet. Aus Art und Umfang der Grab-Beigaben schließen die Archäologen auf ihren Rang.

Auf der Suche nach Grabstätten aus der Zeit der Himmelsscheibe stießen die Wissenschaftler auf den Abdruck eines riesigen Grabhügels. Der unter dem Namen Bornhöck in früheren Zeiten bekannte Hügel war im 19. Jahrhundert nach und nach abgetragen worden, um die fruchtbare Schwarzerde, aus der er erbaut wurde, zu nutzen. Er hatte einen Durchmesser von 65 Metern und war zwischen 13 und 15 Metern hoch. Die Archäologen vermuten, dass er außerdem weiß gekalkt und so eine unübersehbare Landmarke in der flachen Region war.

Harald Meller bezeichnet den Bornhöck als Pyramide des Nordens. Um ihn zu bauen, waren viele Menschen über Jahre beschäftigt. So etwas ist nur mit einer Art Staatsapparat möglich. Der Aufwand für dieses Bauwerk ist ein weiterer Baustein, der Harald Meller eine Art Königreich der Frühbronzezeit vermuten lässt. Waffenfunde in der Region und die Waffen, die zusammen mit der Himmelsscheibe vergraben waren, deuten auf ein organisiertes Heer hin. Die Menschen dieser Kultur waren früher nur Fachleuten als Aunjetitz-Kultur bekannt. Die Erforschung der Himmelsscheibe macht diese außergewöhnliche Kultur vor gut 3.800 Jahren wieder ein Stück weit lebendig.

Autor: Manuel Gerber, SWR

Lesetipp

Die Himmelsscheibe von Nebra
Harald Meller, Kai Michel
Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018
ISBN 978-3-549-07646-0
384 Seiten
25 Euro

Stand: 14.09.2019 14:49 Uhr

Sendetermin

Sa., 14.09.19 | 16:00 Uhr
Das Erste

Produktion

Norddeutscher Rundfunk
für
DasErste