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Kalorienreiche Ernährung: Machen satte Bakterien krank?

Forscher malen Bakterien und ungesunde Nahrungsmittel wie Burger, Kuchen und Süßigkeiten auf Glasscheibe.
Die Balance der Bakterien wird durch übermäßige Ernährung gestört. | Bild: BR

Entzündliche Darmkrankheiten wie Morbus Crohn nehmen seit Jahrzehnten dramatisch zu. Wissenschaftler aus Kiel vermuten, dass eine Übersättigung der Darmbakterien ein entscheidender Grund dafür sein könnte. Ihre Hypothese klingt ebenso spektakulär wie einleuchtend: Wahrscheinlich bringt das Überangebot an kalorienreicher Nahrung, welches seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den Industrieländern herrscht, das Gleichgewicht der Bakterien im Darm durcheinander. Können die Kieler Forscher den Zusammenhang zwischen Entzündungen, Nahrungsangebot und Bakterien im Darm entschlüsseln?

Süßwasserpolypen als Modell

Tatsächlich stieg das verfügbare Nahrungsangebot pro Kopf in den westlichen Industrieländern seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs um das Zehnfache. Und auch entzündliche Darmerkrankungen nahmen dramatisch zu. Könnte das an einer gestörten Bakteriengemeinschaft liegen? Was beim Mikrobiom des Menschen noch eine Vermutung ist, haben die Forscher bei Wassertieren schon bewiesen. Sie konnten zeigen, dass Süßwasserpolypen in nährstoffreichen Seen massive Krankheitsanzeichen entwickelten. "Der Vorteil bei den Süßwasserpolypen ist, dass die Bakterien außen drauf sitzen, auch in einer Schleimschicht wie bei uns Menschen im Darm", erklärt Tim Lachnit vom Sonderforschungsbereich "Meta Organisms" der Universität Kiel. Das hilft den Wissenschaftlern, die Auswirkungen unterschiedlicher Nährstoffkonzentrationen im Wasser auf das Mikrobiom der Tiere zu untersuchen.

Störung des Mikrobioms

Makroaufnahme von Süßwasserpolypen im Laborglas
Modelltier für den menschlichen Darm: Süßwasserpolyp "Hydra". | Bild: BR

Um die Beziehung zwischen Bakterien und ihrem Wirt besser zu verstehen, starten die Forscher mit ihren Süßwasserpolypen ein Futter-Experiment im Labor. Eine Gruppe der Bakterien wird mit einer eher proteinreichen Nahrung gefüttert. Das entspricht beim Menschen einem Speiseplan mit vielen Milchprodukten und tierischem Eiweiß. Die andere Gruppe bekommt eine gehaltvolle und komplexe Mischung aus Kohlenhydraten, Fett und Proteinen. Ähnlich einer ungesunden, sehr fleisch- und zuckerlastigen Ernährung. Die Folge: Innerhalb weniger Stunden verändert sich die gesamte Bakteriengemeinschaft auf der Außenhaut und die Tiere werden krank. Eines der Krankheitsbilder: Die Tiere bauen Zellmaterial ab, innerhalb eines Tages verkürzen sich ihre Tentakeln.

Danach untersuchen die Forscher, wie sich diese unterschiedliche Ernährung auf die Verteilung der Bakterien auswirkt. Dafür kultivieren sie die Bakterien für 24 Stunden auf einem Nährmedium. Um das Mikrobiom genauer zu bestimmen, zählen die Forscher die Bakterien und analysieren ihre DNA. Das Ergebnis: Die Übersättigung mit Nährstoffen hat zur Folge, dass bestimmte Bakterienarten unkontrolliert zunehmen – während andere verdrängt werden. Lässt sich das auch auf den Menschen übertragen? "Man sieht bei vielen Krankheiten, also bei entzündlichen Darmkrankheiten zum Beispiel, dass sie begleitet werden von Veränderungen des Mikrobioms – und da stellt sich eben die Frage – ist das die Ursache oder ist es einfach nur ein Symptom, dass die Bakterien sich verändern", erklärt Tim Lachnit. Der Biologe vermutet, dass ein Mikrobiom, das durch ungesunde Ernährung aus dem Gleichgewicht geraten ist, selbst die Ursache der Krankheiten sein könnte.

Wassertiere helfen sich selbst

Seeanemone "Nematostella"
Die Seeanemone "Nematostella" streift ihre Haut ab, um ihr Bakterien-Gleichgewicht wiederherzustellen. | Bild: Dr. Tim Lachnit, Universität Kiel

Zu welchen Reaktionen die Überfütterung bei den Wassertieren im Extremfall führen kann, demonstrieren Tim Lachnit und sein Kollege Peter Deines am Beispiel der Seeanemone. Auch diese Korallenart und ihr Mikrobiom sind einem hohen Nährstoffangebot im Meer ausgesetzt – etwa durch die Einleitung von Abwässern oder die Überdüngung von Feldern. Unter Laborbedingungen passiert Folgendes: Werden die Tiere in Folge eines überfütterten Mikrobioms krank, versuchen sie alles, um die Bakteriengemeinschaft wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Sie streifen ihre komplette Außenhaut ab. Die Tiere helfen sich also selbst, um die Balance wiederherzustellen. Lässt sich auf andere Weise auch eine erkrankte menschliche Darmflora "sanieren"? Tatsächlich gibt es Studien beim Menschen, bei denen etwa durch kurzzeitiges Fasten positive Effekte auf die Darmflora erzielt werden konnten. Die Zahl der Bakterien insgesamt nimmt ab – dadurch fallen im Darm weniger schädliche Abbauprodukte an, das Mikrobiom kommt wieder ins Gleichgewicht.

Komplexes Zusammenspiel der Bakterien

Nahrungsangebot, Entzündungskrankheiten und Bakterien im Darm haben sehr viel miteinander zu tun. Das feine Gleichgewicht zwischen dem Menschen und seinen Bakterien darf nicht aus dem Takt geraten. "Beim Menschen ist es so, dass in den letzten 50 Jahren viele komplexe Krankheiten zugenommen haben, für die es bisher wenig Erklärungen gibt. Bei entzündlichen Darmkrankheiten sieht man, dass sie begleitet werden von Veränderungen des Mikrobioms – und da stellt sich eben die Frage – ist das die Ursache oder nur ein Symptom, dass die Bakterien sich verändern", so Tim Lachnit.

Um die Ergebnisse aus dem Labor mit realen Bedingungen in der Umwelt zu vergleichen, brauchen die Wissenschaftler noch die Ergebnisse der Freilandversuche. Doch schon jetzt ist klar: Sowohl bei Wasserlebewesen als auch beim Menschen reagiert das Mikrobiom sensibler auf Ernährungsgewohnheiten als bislang gedacht.

Autor: Boris Geiger (BR)

Stand: 18.01.2020 10:47 Uhr

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