Sa., 11.08.18 | 16:00 Uhr
Das Erste
Projekt: Naturschutz in der konventionellen Landwirtschaft

Seit Jahrzehnten geht in Deutschland und Europa die Anzahl der Agrarlandvögel zurück. Die Gründe sind unter anderem Monokulturen, häufige Mahd, zu dichte Getreidefelder und Pestizideinsatz. Die Vögel finden immer weniger Nahrung, also kaum Insekten und auch keine Brutmöglichkeiten. Einige stehen sogar schon auf der Roten Liste für Deutschland. Demnach gilt das Braunkehlchen als stark gefährdet, die Feldlerche als gefährdet und die Goldammer steht auf der Vorwarnliste. Doch nun gibt es seit 2017 ein einzigartiges Projekt, das den Trend umkehren will: F.R.A.N.Z – Für Ressourcen, Agrarwirtschaft & Naturschutz mit Zukunft.
F.R.A.N.Z. ist ein Modellprojekt, das praktikable Ideen entwickelt und erforscht, wie Vogel- und Naturschutz und profitables konventionelles Wirtschaften zusammen funktionieren können. Das Projekt wird von der Umweltstiftung Michael Otto und vom Deutschen Bauernverband koordiniert. Wissenschaftlich begleitet von den Thünen-Instituten für Betriebswirtschaft, Biodiversität und Ländliche Räume sowie der Universität Göttingen und vom Michael-Otto-Insitut im Naturschutzbund Deutschland (NABU).
Zehn Landwirte machen mit

Zehn Demonstrationsbetriebe in ganz Deutschland sind mit dabei. Das Projekt ist darauf ausgelegt, gemeinsam mit den Landwirten Maßnahmen zu entwickeln, die den Agrarlandvögeln Nahrung bieten, Brutmöglichkeiten und Lebensraum zurückgeben.Einer von den zehn ist Landwirt Klaus Diehl aus Heidesheim am Rhein. Sein Betrieb zählt zu den größten in Rheinhessen, deshalb wurde er ausgewählt. Er betreibt auf 270 Hektar Acker- und Obstanbau in fünfter Generation. Naturschutz hatte er bisher weniger im Blick, als vielmehr möglichst gute Ernten einzufahren. Jetzt will der konventionell wirtschaftende Landwirt Neuland betreten. Regelmäßig kommen Naturschützer und Wissenschaftler auf seinem Hof zusammen, um mit ihm die Vogelschutz-Maßnahmen zu besprechen und weiter zu entwickeln. Fünf Prozent der Fläche muss Klaus Diehl für das Forschungsprojekt bereitstellen, am Ende des Projektes sollen es bis zu zehn Prozent werden.
Blühstreifen werden angelegt
Schon jetzt hat Klaus Diehl auf elf Hektar seiner Flächen Wildblumen gesät. Wicken, Malven, Kornblumen, Kamille und Co. blühen dort, wo sonst Winterweizen, Sommergerste oder auch Brachfläche gewesen wären. Oft werden Flächen für die Maßnahmen ausgesucht, die ohnehin nicht so ertragreich sind. Die Wildblumen blühen von Frühsommer bis Herbst und locken Insekten an. Die können dann die hungrigen Feldvogelküken ernähren.
Lebensraum Feldlerchenfenster

In seinen Winterweizenfeldern hat Klaus Diehl insgesamt 16 vier mal fünf Meter große Feldlerchenfenster freigelassen. Das geht ganz einfach durch Anheben der Drillmaschine bei der Aussaat. Für Vögel, die auf dem Boden brüten möchten – wie die Feldlerchen – sieht das von oben sehr attraktiv aus, weil sie hier innerhalb eines großen Ackers Winterweizen kleine Freiflächen zur Verfügung haben, wo sie ihre Gelege anlegen und auch Nahrung suchen können. In den herkömmlichen Winterweizenfeldern wäre das schlecht möglich, denn bereits im Frühjahr ist das Getreide zu dicht und zu hoch.
Für eine erfolgreiche Nahrungssuche sollten die Pflanzen nicht höher als 35 Zentimeter sein, bei der Brut nicht höher als 50 Zentimeter. Im Wintergetreide ist die Brutsaison für Feldlerchen spätestens Ende Mai vorbei. Das ist zu wenig, denn sie brüten eigentlich von April bis Mai und dann nochmal von Juni bis Juli. Eine einfache Lösung wäre für die Landwirte, auf Sommergetreide umzustellen, aber das ist weniger profitabel. Die vegetationsfreien Feldlerchenfenster könnten also eine Lösung sein, um den Feldlerchen wieder einen Lebensraum zu bieten. Auch Feldhasen nutzen die Freiflächen als Rückzugsort.
Feldvogelinsel für Kiebitze

Andere Vögel, wie die Kiebitze, brauchen noch mehr Platz, um zu brüten. Klaus Diehl hat einen Acker, auf dem im Frühjahr durch Überschwemmungen nichts gewachsen ist. Das F.R.A.N.Z.-Team hat beschlossen – anstatt zum Beispiel Mais zu sähen – die Freifläche brach zu belassen, als Feldvogelinsel. Sie ist etwa 2,5 Hektar groß.
Extensivgetreide: Nur in jede zweite Reihe wird gesät

Mehr Platz für die Vögel, das bietet ebenso der Extensivacker, auch Lichtacker genannt. Hier hat Klaus Diehl den Winterweizen nur in jeder zweiten Reihe gesät, damit Wachteln, Rebhühner, Feldlerchen und Grauammern hier überhaupt brüten können und Nahrung finden. Dünge- und Pflanzenschutzmittel sind auf dem Extensivacker tabu, deshalb wachsen hier Wildkräuter. Klaus Diehl sieht diese Maßnahme eher skeptisch, denn er geht davon aus, dass der Acker so verunkrautet, dass keine Ernte möglich sein wird. Aber auch das ist Teil des Projektes, es geht darum, Maßnahmen auszuprobieren und eventuell auch wieder über Bord zu werfen, wenn sie nicht funktionieren sollten. Denn das Ziel ist immer, Naturschutz und Wirtschaftlichkeit unter einen Hut zu bringen.
Ausgleichszahlungen: Entschädigung für Landwirte

Für die Ernteausfälle und den Mehraufwand werden die Landwirte entschädigt. Wie viel es für den Extensivacker werden wird, weiß Klaus Diehl erst zur Erntezeit. Für alle Feldlerchenfenster bekommt er insgesamt 184 Euro. Für einen Blühstreifen, auf dem er normalerweise Winterweizen geerntet hätte, 4.200 Quadratmeter, bekommt er 360 Euro als Ausgleich.
Jede einzelne Maßnahme wird vom Thünen-Institut spezifisch berechnet, so kommt es bei anderen Getreide- oder Fruchtsorten zu anderen Ausgleichsbeträgen.
Wissenschaftliche Begleitforschung
Ob die Vögel durch die Maßnahmen zurückkehren, überprüft Ornithologin Natalie Meyer vom Michael-Otto-Insitut im NABU. Sie ist von März bis Mitte Juni jede zweite Woche auf den Feldern von Klaus Diehl, zählt und kartiert die Vögel. Die große Frage: Sind es mehr Vögel geworden?
Dieses Jahr hat sie schon 96 Vogelarten auf den Äckern gezählt, das sind vier mehr als im Startjahr 2017. Darunter sind fünf Kiebitz-Reviere auf der Feldvogelinsel und zwei Flußregenpfeifer-Reviere. Mehrere Feldlerchen sind zurück und auch einige Schafstelzen.
Das Projekt auf zehn Jahre angelegt

Es sollen noch viel mehr Vögel werden. Das Projekt ist insgesamt auf zehn Jahre angelegt. Die große Frage ist, ob langfristig möglichst viele konventionelle Landwirte vom Vogelschutz überzeugt werden können. Klaus Diehl ist offen, wenn er die Ausfälle ersetzt bekommt.
Während des Projekts wird immer wieder Bilanz gezogen. Es geht nicht nur um die Agrarlandvögel, sondern auch um Ackerwildkräuter und Grünpflanzen, Amphibien, Feldhasen, Schmetterlinge und Wildbienen. Denn nur durch eine gesunde Lebensgemeinschaft auf unseren Feldern kann es ein intaktes Ökosystem geben. Derzeit werden die F.R.A.N.Z.- Maßnahmen mit knapp 2,9 Millionen Euro durch die Landwirtschaftliche Rentenbank und mit 0,8 Millionen Euro durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundeministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit finanziert. Somit belaufen sich die Projektmittel für die erste Projektphase bis Ende 2019 auf insgesamt 3,7 Millionen Euro. Zusätzlich sind die Landwirte und deren Betriebsberater jetzt schon dazu angehalten, wenn möglich bereits bestehende Agrarumweltprogramme der Länder zu nutzen, um die Maßnahmen-Kosten für F.R.A.N.Z. so gering wie möglich zu halten.
Wenn die F.R.A.N.Z.- Maßnahmen erfolgreich sind, ist das Ziel des Projekts, die Förderung in Zukunft über die Agrarumweltprogramme der Länder zu erreichen.
Autorin: Nina Schmidt (hr)
Stand: 15.08.2018 14:17 Uhr