Sa., 05.05.18 | 05:00 Uhr
Das Erste
Was ist guter öffentlicher Personennahverkehr?

"Es gibt Städte mit gutem und günstigem ÖPNV und Städte mit schlechtem und teurem! Der Preis hat nichts mit dem realen Angebot des ÖPNV zu tun!" Das ist ein Fazit von Stefan Weigele, dem Initiator des ÖPNV-Reports 2017. Diese Meinung ist keine Einschätzung, sondern beruht auf einer großen Untersuchung. Das Team von civity, einem Verkehrsberatungsunternehmen in Hamburg und Berlin, hat den ÖPNV von 55 großen Städten in Deutschland gecheckt, hat Fahrpreise, Netzdichte, Taktdichte und vieles mehr miteinander verglichen. Insgesamt wurden dabei über fünf Millionen Einzelwerte zusammengetragen. Und die Mühe hat sich gelohnt: Denn mit einem Mal wird das Leistungsangebot der Öffentlichen transparent und vergleichbar.
Fahrpreis ist für die Attraktivität des ÖPNV zweitrangig

Vergleicht man zum Beispiel Wuppertal und Karlsruhe miteinander – zwei ungefähr gleich große Städte – stellt man zunächst fest, dass der Preis "für einmal quer durch die Stadt" in Wuppertal 30 Cent höher ist. Aber anhand von vielen Untersuchungen kann Stefan Weigele sagen, dass die Entscheidung für oder gegen den ÖPNV nicht in erster Linie vom Preis abhängig ist. Viel wichtiger ist, wie schnell und zuverlässig man mit Bahn und Bus an sein Ziel kommt. Muss man erst zehn Minuten bis zur nächsten Haltestelle laufen und dort noch mal zehn Minuten auf den Bus warten, dann entscheidet man sich eher für das Auto. Ist das ÖPNV-Netz dagegen gut ausgebaut und bequem zu erreichen, sieht die Sache ganz anders aus. Es sei denn, man ist es gewohnt, mit dem Fahrrad zu fahren, also zum Null-Tarif, dann spielt der Preis des ÖPNV wieder eine größere Rolle.
Taktdichte und Netzdichte wichtig
Wie lange man an einer Haltestelle auf die nächste Bahn warten muss, das kann – je nachdem ob am Bahnhof oder irgendwo in der Peripherie – sehr unterschiedlich sein. Der ÖPNV-Report hat deshalb die durchschnittliche Taktdichte in jeder Stadt berechnet und konnte zeigen, dass Karlsruhe mit 310 Abfahrten pro Haltestelle am Tag, einen der dichtesten Takte in Deutschland hat. Vergleichbar mit München, Berlin und Stuttgart, wo die Fahrpreise allerdings meist deutlich höher sind. Wuppertal rangiert dagegen trotz des höheren Fahrpreises eher im hinteren Viertel.
Genau Umgekehrt ist es dagegen bei der Haltestellendichte pro Siedlungs- und Verkehrsfläche. Ein Wert, der darüber Auskunft gibt, wie weit die Haltestellen in den Wohngebieten auseinander liegen. Hier ist Wuppertal mit seinem sehr dichten Netz in den Tal-Lagen der Stadt Deutschlands Spitzenreiter.
Elektrifizierung des ÖPNV

Elektrifizierung wird in vielen Großstädten wegen der Probleme mit der Luftreinhaltung immer wichtiger. Denn im Gegensatz zu elektrisch betriebenen Bahnen, tragen die Dieselmotoren der Busse erheblich zur Feinstaub- und Stickoxidbelastung bei. Hier sind Städte mit einem hohen Straßenbahnanteil eindeutig im Vorteil. Auch Busse mit elektrischer Oberleitung werden deshalb wieder attraktiv. Wuppertal mit seiner Schwebebahn scheint hier zunächst eindeutig im Vorteil zu sein, doch das bei den Wuppertalern sehr beliebte Verkehrsmittel fährt nur auf der 13-Kilometer langen Ost-West-Achse der Stadt. 90 Prozent aller Abfahrten im Netz werden dagegen mit Dieselbussen getätigt.
Karlsruhe fährt die entgegengesetzte Strategie und setzt auf die Straßenbahn, mit der 75 Prozent aller Fahrplanangebote in der Stadt realisiert werden. Ein erheblicher Unterschied und man fragt sich, warum die Verkehrskonzepte deutscher Städte so stark voneinander abweichen?
Schwebebahn Wuppertal: Glorreiche Vergangenheit

Wuppertal war mit seiner über 100 Jahre alten Schwebebahn nicht nur eine der innovativsten Städte was den ÖPNV angeht, sondern hatte sogar nach dem Zweiten Weltkrieg mit 175 Kilometern noch eines der größten Straßenbahnnetze in ganz Deutschland. Leider hat man dann ab der 1960er-Jahre immer mehr auf den Bus gesetzt, weil man damals davon überzeugt war, dass er moderner, flexibler und vor allem günstiger ist. Die Bahn sollte Platz für die "autogerechte Stadt" der Zukunft machen. Ein Irrglaube, wie man heute weiß. Das eigentlich Fatale ist aber, dass man die Straßenbahnschienen herausgerissen hat, denn diese Entscheidung macht eine Rückkehr zum beliebten Schienenverkehr bis heute quasi unmöglich.
In Karlsruhe wurde das alte Straßenbahnnetz nach dem Krieg dagegen einfach belassen, was wahrscheinlich weniger eine bewusste Entscheidung war, aber der Schiene eine Zukunft in der Stadt ermöglichte. In den 1990-Jahren entwickelte Dieter Ludwig, der Chef der Karlsruher Verkehrsbetriebe, dann das geniale "Karlsruher Modell", das eine Fahrt mit der Straßenbahn bis weit über die Stadtgrenzen hinaus auf dem Schienennetz der Deutschen Bahn ermöglichte. Dieses erfolgreiche Konzept wurde später von vielen anderen Städten in der ganzen Welt übernommen, weil die Fahrgäste so ohne umzusteigen vom Umland in die Stadt fahren können.
Die Geschichte der beiden Städte Wuppertal und Karlsruhe zeigt eindrücklich, wie sowohl gute als auch schlechte Verkehrsentscheidungen die Qualität des ÖPNV für sehr lange Zeit prägen.
Mindeststandards für den ÖPNV

Insgesamt hat es Karlsruhe mit seiner städtischen Verkehrspolitik heute geschafft, den Anteil der Autos an allen Verkehrswegen auf 34 Prozent Prozent abzusenken. Wuppertal hat hier mit 58 Prozent noch großen Nachholbedarf. Aber daran ist nicht nur sein ÖPNV-Angebot schuld, denn gerade die vielen Steigungen in der Stadt machen es auch den Fahrradfahrern sehr schwer. Der Anteil des Fahrrads an allen Wegen liegt mit 1,5 Prozent weit hinter den 25 Prozent in Karlsruhe. Aber das versucht man in Wuppertal gerade mit einem neuen Fahrrad-Konzept zu ändern.
Trotz regionaler Unterschiede zeigt der ÖPNV-Report aber im Großen und Ganzen, dass sich die ÖPNV-Netze sehr gut anhand von Zahlen wie zum Beispiel der Taktdichte oder Netzdichte miteinander vergleichen lassen. Eine Idee der Studien-Macher liegt deshalb sehr nahe, nämlich dass Bund und Länder diese Daten nutzen, um Mindeststandards für den ÖPNV in den Städten zu definieren, um eine gute Qualität des Nahverkehrs überall sicher zu stellen.
Autor: Jörg Wolf (SWR)
Stand: 03.08.2019 04:50 Uhr