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Pandemie: Wie viel Geduld brauchen wir noch?

Simulationsmodell das zeigt, wie sich ein Virus, in Punkten dargestellt, exponentiell ausbreitet
Simulation der Waschington Post (rot = infiziert, grün = genesen/immunisiert)

Wie wird sich das Coronavirus ausbreiten? Wie viele Opfer wird es kosten? Welche Maßnahmen können helfen? Vorhersagen, die nur mithilfe von komplexen Modellen getroffen werden können. Der Epidemiologe Martin Eichner aus Tübingen ist einer der Wissenschaftler, die so versuchen, das Virus zu verstehen. Für ihn bilden die Modelle zwar nicht die Realität ab, sie können aber helfen, Entscheidungen zu fällen. So zeigt eine Simulation, die die Washington Post veröffentlicht hat, eindrücklich, wie sich ein Virus ausbreitet und was es bedeutet, wenn die Infektionszahlen exponentiell zunehmen.

Shut Down bedeutet erstmal nur Verzögerung

Grafik stellt die Infektionszahlen in Abhängigkeit von der Zeit dar
Kontaktreduzierung schiebt den Infektionsberg (rot) vor sich her.  | Bild: SWR

Martin Eichners Simulation erklärt, wie sich der Zeitpunkt eines Shut Downs oder einer Kontaktreduzierung auf die Infektionsausbreitung auswirken: "Wenn wir jetzt den Kontakt unterbinden und das tun wir ja fleißig. Dann verhindern wir damit Infektionen. Das hat unterschiedliche Auswirkungen – je nach dem, wann diese Infektionen verhindert werden. Wenn man das sehr früh macht, dann verhindert man damit im Wesentlichen die Ausbreitung, verhindert aber auch gleichzeitig, dass sich die Leute immunisieren. Wenn man das sehr stark macht, wie wir das grade tun, dann können wir Zeit gewinnen. Wenn wir damit aber irgendwann aufhören, dann sind wir im Wesentlichen so weit wie vorher."

Konzept "Hammer and Dance"

Südkorea setzt darauf, infizierte Personen zu identifizieren und konsequent zu isolieren. Wer mit Infizierten Kontakt hatte, wird per Smartphone-App gewarnt. Maßnahmen, die ausgesprochen erfolgreich zu sein scheinen: So werden die Infektionszahlen niedrig gehalten. Die Folge ist aber auch, dass wenig Menschen immunisiert werden. Das heißt, so lange ein massenhafter Ausbruch verhindert werden soll, müssen auch die Maßnahmen immer wieder aktivierbar sein. Im Modell gibt es sogar kurze Zeiten der Entspannung, also Zeiten in denen es keine Kontaktsperren oder ähnliches geben muss. Das Modell zeigt aber auch, dass dieser Zustand der unterdrückten Pandemie sehr lange andauern wird. Im Zweifel dauert es, bis eine Impfung zur Verfügung steht.

Genaue Daten fehlen

Eine Frau zieht tiefgekühlte Blutproben aus einem Stickstofftank.
Über 20.000 Proben lagern allein am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS in Bremen. | Bild: SWR

Derzeit weiß niemand genau, welche Maßnahmen wirklich helfen und wie stark ihr Effekt ist. Dazu kommt, dass wichtige Größen der Coronainfektion nach wie vor recht unbekannt sind, so Martin Eichner: "Wir wissen nicht, wie viele Leute in Deutschland derzeit angesteckt sind. Wir wissen nicht, wie viele immun sind. Wir wissen noch nicht mal, wie viele einer ansteckt. Ist das wirklich vergleichbar mit dem was man in chinesischen Großstädten beobachtet. Gilt das hier auch auf dem Land?" Fragen, die sich leichter lösen lassen, wenn man die Nationale Gesundheitsstudie (NAKO) kennt.

Seit 2014 untersucht ein Forschungsnetzwerk die Ursachen für Volkskrankheiten wie Krebs oder Diabetes. Für den Bremer Epidemiologen Hajo Zeeb die ideale Grundlage für eine repräsentative Coronastudie. Im Gegensatz zur derzeitigen Situation seien die Voraussetzungen der NAKO-Studie für gute Daten ideal. Schließlich gewährt sie Zugriff auf die Gesundheitsdaten von über 200.000 Menschen. Schon in zwei bis drei Monaten wüsste man ziemlich genau, wie viel Menschen bislang vom Coronavirus infiziert wurden und damit immun seien und nicht nur das: "Wir wissen, was haben diese Personen für Vorerkrankungen. Wo arbeiten sie, wo leben sie. Wir kennen ihre  biologische Parameter. Das wird natürlich eine gute Möglichkeit sein, hier Zusammenhänge herauszuarbeiten und zu sehen, was ist mit bestimmten Erkrankungen, die den Schwergrad eines Coronainfektion verändern."

Präzise Ausgangsdaten, präzise Modelle?

Je präziser die Ausgangsdaten sind, um so besser können die Modelle helfen, den Verlauf der Corona-Pandemie vorherzusagen und Entscheidungen zu treffen. Doch eines lässt sich wohl nicht ändern, so Martin Eichner: "Wenn wir überhaupt nichts unternehmen, dann geht es sehr schnell und es wird sehr schmerzhaft. Dann kommt eben eine große Krankheitswelle auf uns zu. Je mehr wir dagegen unternehmen, dass diese fürchterliche Welle kommt, desto länger dauert es bis wir die Immunität haben in der Bevölkerung. Hier haben wir einen Zwiespalt. Einerseits wollen wir nicht dass alle gleichzeitig krank werden, andererseits wollen wir, dass wir es schnell hinter uns haben, aber beides gemeinsam geht nicht."

Autor: Hilmar Liebsch (SWR)

Stand: 04.04.2020 16:21 Uhr

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