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Prothetik: So helfen KI-Prothesen

Wolfgang Bauer öffnet mit seiner Prothese eine Schranktür
Zugreifen ohne nachzudenken: die KI-Prothese. | Bild: SWR

Fließend und spielerisch sind die Bewegungen, die Wolfgang Bauer mit seiner Prothese ausführt. Ob er sich ein Glas Wasser aus einer Flasche einschenkt oder eine Tür öffnet – seine Unterarmprothese scheint eine echte Einheit mit ihm zu bilden. "Ich muss nicht mehr nachdenken, welche Bewegung ich ausführen will", sagt Bauer zufrieden. "In diesem Punkt spüre ich fast keinen Unterschied zwischen meiner echten Hand und der Prothese." Wer Wolfgang Bauer beobachtet, glaubt ihm das sofort. Zum Beispiel beim Arbeitsalltag auf seinem Bauernhof in Bayern im Landkreis Traunstein. Auch dort gibt es vom Traktor fahren bis zum Kälber tränken fast nichts, was er mit seiner Prothese nicht machen könnte. Möglich macht das Künstliche Intelligenz, genauer gesagt, die künstlich intelligente Steuerung seiner Unterarmprothese. Die macht möglich, dass Bauers mechanische Hand individuell auf die Nervenimpulse, die er an sie sendet, reagiert – und zwar mit der gewünschten Bewegung – in Echtzeit.

Bewegungsmuster im Gehirn verankert

W. Bauer und die Therapeutin D. Wüstefeld trainieren mit der Trainingsmanschette
Vorbereitung auf die Prothese: die Trainingsmanschette. | Bild: SWR

Damit das funktioniert, benötigt die Künstliche Intelligenz Informationen. So viele und so präzise wie möglich. Das gilt auch für Wolfgang Bauers Armprothese. Und wer könnte sie besser mit diesen Informationen füttern, als er selbst. Dazu lernt er in einem ersten Schritt mit der Hilfe einer Therapeutin, seine amputierte Hand wieder zu bewegen. Was unmöglich klingt, fällt vielen Betroffenen erstaunlich leicht: Denn viele der sogenannten Bewegungsmuster sind in ihrem Gehirn so fest verankert, dass sie eine Vielzahl an Bewegungen mit ihrer Phantomhand noch immer ausführen können. Das Gehirn aktiviert dann die noch vorhandene Muskulatur im Arm. Die KI-Prothese kann diese Impulse aufnehmen und in Bewegungen umwandeln. Dabei ist es wichtig, dass sich die einzelnen Bewegungsmuster klar voneinander unterscheiden, damit die Prothese sie eindeutig erkennen und in die dazugehörige Bewegung umwanden kann. Die ersten Trainingsschritte Wolfgang Bauers zielen deshalb genau darauf ab: Mit einer Lernmanschette, in der sich extrem sensible Elektroden befinden, lernt er, wie er eindeutige Bewegungsmuster erzeugt. Eine spezielle App visualisiert über eine Bluetooth-Verbindung die einzelnen Bewegungen. Das erzeugte Bild zeigt einen schematisierten Querschnitt durch die Muskulatur in Bauers Armstumpf und macht so die Muskelgruppen sichtbar, die an den jeweiligen Bewegungen beteiligt sind.

Die Prothese lernt nie aus

Die Abbildungen auf der App und das Training mit der Therapeutin helfen ihm dabei, seine verbliebene Armmuskulatur präzise einzusetzen. Die Prothese ist mit der gleichen Elektrodenanordnung wie die Manschette bestückt, so lassen sich die Trainingsergebnisse direkt anwenden. Das Grundtraining, also der Prothese Grundbewegungen beizubringen, kann je nach Patient unterschiedlich lang dauern. Wolfgang Bauer schaffte es in nur zwei Wochen. Doch danach geht das Training weiter – die Prothese lernt nie aus. Gemeinsam mit einem Orthopädietechniker speichert Bauer eine erste Reihe von Bewegungsmustern und den dazugehörigen Bewegungen in der Prothese ab. Die Künstliche Intelligenz der Prothesensteuerung ermöglicht es ihm aber, mithilfe der App selbstständig die vorhandenen Bewegungsmuster zu verfeinern oder auch neue Bewegungsmuster zu entwickeln und diese in der Prothese abzuspeichern. Die Prothese lernt und passt sich dabei exakt an seine Vorgaben an. Das Ergebnis: eine mechanische Hand, die individuell und intuitiv an Wolfgang Bauers Bewegungsabläufe angepasst ist. Sogar an sensitiven Prothesen forschen Hersteller bereits. Also Modelle, die dem Patienten etwa Temperatur oder Oberflächenbeschaffenheit eines ergriffenen Gegenstandes rückmelden können – fast gefühlsecht.

Prothese mit Myo+-Steuerung

W. Bauer tränkt ein Kälbchen mit der Flasche.
Aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken: Die KI-Prothese. | Bild: Ottobock

Für Wolfgang Bauer ist die KI-Prothese aus seinem Leben nicht mehr wegzudenken. Sie macht ihm ein Leben möglich, dass sich nahe am Zustand mit zwei gesunden Armen befindet. Nachdem er bei einem Arbeitsunfall mit einem Maishäcksler seinen rechten Arm unterhalb des Ellbogens verlor, war sein Traum von der eigenen Landwirtschaft in echter Gefahr. Nachdem er einige Zeit eine herkömmliche Armprothese getragen hatte, stieg er mit der Unterstützung der Berufsgenossenschaft und dem Prothesenhersteller Ottobock aus dem niedersächsischen Duderstadt auf die Armprothese mit der sogenannten Myo+-Steuerung um. Rund 60.000 Euro kostet das Hightech-Gerät inklusive Therapie, Manschetten-Training und individueller Anpassung. Für Wolfgang Bauer hat sich der Umstieg gelohnt: "Ich muss ehrlich sagen, ich kann mir ein Leben ohne Prothese eigentlich nicht vorstellen. Ich verwende die Prothese den ganzen Tag, kommt ganz darauf an, welche Tätigkeiten ich mache, im Alltag, im Privaten, wenn es um ganz einfache Sachen geht wie ganz normal essen, überall hilft mir die Prothese."

Autor: Niels Waibel (SWR)

Stand: 25.09.2020 18:26 Uhr

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Sa., 23.05.20 | 16:00 Uhr
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