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Provenienzforschung: Besitzer von Kulturschätzen suchen

Das Gemälde "der Blumenstrauß" in der Ausstellung "Eigentum verpflichtet"
Von allen Seiten zu bewundern: Otto Dix‘ Blumenstrauß. | Bild: SWR

Wer die Ausstellung "Eigentum verpflichtet" im Zeppelin Museum in Friedrichshafen am Bodensee betritt, merkt schnell: Irgendetwas ist anders. Bilder hängen hier nicht nur an der Wand, sondern auch mitten im Raum von der Decke herunter. Der Betrachter kann also um das Bild herumschreiten – und sieht so eine Seite der Kunstschätze, die sonst verborgen bleibt: die Gemälderückseite. Eine Leinwand, ein schnöder Holzrahmen, auf dem sie eingespannt ist, auch Keilrahmen genannt – nicht gerade spektakulär, könnte man denken. Dabei birgt die Rückseite eines Gemäldes oft Geheimnisse, die auf seine möglicherweise turbulente Vergangenheit schließen lassen. So wie beim Bild "Der Blumenstrauß", gemalt 1923 von Otto Dix. Das Bild galt Jahrzehnte lang als im Krieg zerstört – bis das verschollen geglaubte Kunstwerk 1989 plötzlich in der Schweiz wieder auftauchte. Heute hängt ein schwerer Verdacht über dem Werk: Ist der Blumenstrauß ein geraubter Kunstschatz?

Keine "Stunde Null" im Kunstmarkt

Mark Niehoff sucht nach Dokumenten.
Auch weil Museen lange wegschauten, ist die Suche heute schwer. | Bild: SWR

"Wir konnten herausfinden, dass das Gemälde 1925 an Max Strauss verkauft wurde. Max Strauss war ein jüdischer Rechtsanwalt, der 1933, also direkt nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigriert ist. Wir wissen aber eben nicht, ob er das Bild Jahre vor seiner Emigration ganz 'normal' verkauft hat, oder ob es ihm von den Nazis geraubt wurde", erklärt Dr. Mark Niehoff. Der Kunsthistoriker ist am Zeppelin Museum für die sogenannte Provenienzforschung zuständig, also dafür, Herkunft und Besitzverhältnisse von Kunstobjekten in der eigenen Sammlung aufzudecken.

Denn nach dem Zweiten Weltkrieg gab es im Kunsthandel keine "Stunde Null" – dieselben Akteure, die unter den Nazis Raubkunstaktionen begleitet, entartete Kunst identifiziert und Nazi-Größen zur privaten Kunstsammlung verholfen hatten, blieben auch in der Nachkriegszeit wichtige Akteure am Kunstmarkt. Sie berieten Museen bei der Neuanschaffung von Sammlungen oder verkauften ihnen selbst Werke – Herkunft ungewiss. "Damals hat man sich keine Fragen gestellt, oder wollte sie sich vielleicht auch nicht stellen", sagt Niehoff. "Man hat das ganze Thema spätestens Ende der 1950er-Jahre für abgeschlossen gehalten."

Echte Detektivarbeit

Doch tatsächlich abgeschlossen ist das Thema Beutekunst auch heute noch lange nicht. Gerade weil Museen viel zu lange wenig bis keine Fragen zur Provenienz der von ihnen angeschafften Kunstobjekte stellten, ist die Spurensuche heute umso schwerer. Wertvolle Hinweise gingen verloren, weil die Sensibilität dafür, die Geschichte eines Kunstwerkes nachvollziehen zu müssen, nicht da war. Provenienzforscher wie Mark Niehoff haben es aufgrund der Versäumnisse in der Vergangenheit schwer: "Häufig gibt es keine Dokumente, oder der Zugang zu Dokumenten ist sehr schwierig. Das macht es zu einer echten Detektivarbeit – und da bleibt oft nur noch die Arbeit am Objekt."

Die leistet meistens nicht der Kunsthistoriker selbst, sondern ein Restaurator, der Kunstobjekte genau untersucht, und am Objekt Spuren seiner Vergangenheit identifiziert. Bei Gemälden wie dem "Blumenstrauß" ist das oft die Gemälderückseite, weiß Michaela Vogel, die Restauratorin des Zeppelin Museums: "Klebezettel, Inschriften oder Brandstempel geben ganz konkrete Hinweise auf frühere Ausstellungen, auf Auktionen, auf frühere Besitzer, Besitzerwechsel…" – die Rückseite eines Bildes liest sich oft wie ein Archiv. Das klingt eigentlich ideal für die Spurensuche. Nur: Die Rückseite des "Blumenstraußes" ist verdächtig leer. Wurden hier Hinweise beseitigt?

Verborgene Hinweise, verwischte Spuren

Aufkleber, Inschriften und Stempel auf einer Gemälderückseite
Liefert oft Hinweise: die Gemälderückseite. | Bild: SWR

Denn Rückseiten kann man austauschen, Leinwände überkleben, Inschriften wegkratzen oder gleich den ganzen Rahmen wechseln. Das muss nicht immer mit der Absicht geschehen sein, wertvolle Hinweise zu Vorbesitzern auszulöschen – lange fehlte schlicht die Sensibilität dafür, unscheinbare Nummern und Inschriften auf alten Rahmen auf die neuen zu übertragen. Die Restauratorin unterscheidet dabei den Keilrahmen, auf dem die Gemäldeleinwand aufgespannt ist vom Zierrahmen – also dem Rahmen, den man auch als Betrachter sieht, wenn das Bild an der Wand hängt. Bei beiden kann sie beispielsweise anhand der Befestigungsspuren erkennen, ob ein Bild neu gerahmt wurde. Stimmen sämtliche Löcher überein, handelt es sich um die Originalrahmen.

Doch der "Blumenstrauß" bekam tatsächlich einen neuen Zierrahmen. An der Befestigung der Gemäldeleinwand finden sich alte Nagelspuren, die im Rahmen aber keine Entsprechung haben. Das heißt: Der Rahmen wurde ausgetauscht. Um Spuren zu verwischen? Die Spur führt nach Schweden. Ein kleiner Brandstempel auf dem Zierrahmen lautet "J.P Larsson, Stockholm 1948". Das als im Krieg zerstört geglaubte Bild muss sich 1948 also in Stockholm befunden haben.

Viele offene Fragen

Doch wer das Bild dort neu rahmen ließ, bleibt bisher ungeklärt: Die Rahmenfirma meldete 2013 Insolvenz an. Laut Mark Niehoff gibt es auch keine Bücher mehr, die ihm neue Hinweise liefern könnten. Ob Max Strauss, dem jüdischen Vorbesitzer, sein Gemälde also tatsächlich verfolgungsbedingt entzogen wurde, bleibt bis dato ungeklärt. Der letzte Beweis, dass der "Blumenstrauß" ein geraubter Kunstschatz ist, fehlt. So lange darf er weiter im Museum hängen. Und selbst wenn das letzte Puzzleteil eines Tages gefunden werden sollte: Bislang gibt es keine rechtliche Verpflichtung für Museen, Kunstschätze an Erben zurückzugeben.

Eine systematische Aufarbeitung, sowohl im Fall von NS- als auch von kolonialer Raubkunst, ist mühsam, zeitaufwändig und zudem für Museen, die unter ständigem Spardruck leiden, teuer. Obwohl das Bewusstsein für die drängende Aufgabe der Aufarbeitung und Restitution bei Museen, Archiven und Bibliotheken wächst, arbeiten Provenienzforscher auch heute noch nur in den seltensten Fällen festangestellt in diesen Einrichtungen. Ihre Detektivarbeit ist oft an ein Projekt gebunden, das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste finanziell gefördert wird. In dessen Online-Datenbank "LostArt" sind die Ergebnisse der Recherchen einsehbar. Transparent für jedermann. Ein Eintrag unter vielen: "der Blumenstrauß."

Fast 400 Werke hat das Zeppelin Museum in Friedrichshafen schon überprüft und stellt die Ergebnisse noch bis Januar 2020 transparent aus – so unbefriedigend sie manchmal auch sind. "Wir haben sehr viele Fragen immer noch offen", sagt Mark Niehoff, "und das ist bei uns kein Einzelfall, sondern das ist generell so in der Provenienzforschung, dass man auf Grund der Schwierigkeiten sehr häufig große Lücken in der Provenienz hat. Aber trotzdem: Man darf dann natürlich nicht aufhören und muss weiterforschen." Max Strauss starb 1956 in den USA. Seinen Nachfahren hat er Zeit seines Lebens nie vom "Blumenstrauß" erzählt.

Autorin: Sophie König (SWR)

Stand: 16.09.2019 08:29 Uhr

Sendetermin

Sa., 14.09.19 | 16:00 Uhr
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Norddeutscher Rundfunk
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