SENDETERMIN Sa., 12.10.19 | 16:00 Uhr | Das Erste

Artenvielfalt in der Senne

In der Senne hat sich eine ganz spezielle Tierwelt entwickelt. Mehr als 1000 gefährdete Tier-, Pilz- und Pflanzenarten beherbergt diese Heidefläche in Nordrhein-Westphalen. Was überrascht: Nicht Tierschützer sind hier für den Artenerhalt im Einsatz. In weiten Teilen der Senne ist es das Militär, das diese Vielfalt überhaupt erst möglich macht. Auf dem für Zivilisten gesperrten Truppenübungsplatz haben sich ganz spezielle Lebensräume entwickelt, die es ohne Panzer, aber auch den Einsatz weiterer Pflegemaßnahmen, nicht mehr geben würde.

Große Teile der Heidefläche sind Truppenübungsplatz

Ameisenlöwe im Senne-Sand
Ameisenlöwen nutzen den Senne-Sand für den Bau ihrer Jagdtrichter - eine clevere Strategie, um ihre Beute zu fangen. | Bild: WDR

Wenn sich im August in der Senne im östlichen Westfalen die Blüten der Besenheide öffnen, herrscht friedliche Idylle. Rothirsche nutzen die offene Landschaft der größten Heidefläche des Landes zur Brunft. Bienen sammeln emsig den Nektar der lila Blütenpracht. Doch die Ruhe wird regelmäßig gestört. Große Teile der Senne sind Truppenübungsplatz. Die Nato führt hier Schießübungen durch, und die Bundeswehr trainiert mit schweren Panzern. Trotzdem – oder gerade deswegen – lebt hier eine überraschende Vielzahl an seltenen Tier- und Pflanzenarten.

Panzer schaffen Lebensräume

Bei ihren Übungen hinterlassen die Panzer tiefe Spuren im Senneboden. Was wie pure Zerstörung aussieht, ist für einige seltene Tiere ein Segen. Denn manche Insekten benötigen offene Sandflächen zum Überleben, wie der Ameisenlöwe.

Wenn ein Gewitter aufzieht, verwandeln sich einige Panzerspuren in Feuchtbiotope. Wo die schweren Militärfahrzeuge regelmäßig entlang fahren, verdichtet sich der Boden, Regenwasser kann dann nicht mehr versickern. Es bilden sich für einige Wochen kleine Tümpel. Zeit genug für einen vom Aussterben bedrohten Spezialisten: Kreuzkröten legen bis zu zwei Meter lange Laichschnüre ab, insgesamt rund 5000 Eier. Die flachen Tümpel erwärmen sich schnell. Im warmen Wasser entwickeln sich die Eier in nur wenigen Wochen zur kleinen Kröte – gerade rechtzeitig, bevor die Panzerspuren wieder austrocknen. Ohne Militärbetrieb würden die seltenen Amphibien aus der Senne verschwinden.

Ruhezonen für Tiere

Eine Herde Heidschnucken in der Senne.
Bis zu 1.200 Heidschnucken pflegen die Heideflächen des Truppenübungsplatzes. | Bild: WDR

Große Teile der Senne sind für Zivilisten gesperrt. Blindgänger aus 130 Jahren militärischer Nutzung liegen überall verstreut und machen ein Betreten lebensgefährlich. Hinter Zäunen und Sperren haben dadurch Rothirsche, Dachse und Damwild ihre Ruhe. Wenn das Militär nicht übt, verlassen sie mitten am Tag ihre Verstecke. In einem alten Beobachtungsturm der Soldaten brüten seltene Wanderfalken. Deutschlands größte Falkenart ist durch den Einsatz von Pestiziden in den 1970er Jahren fast ausgestorben. Nur langsam hat sich ihr Bestand erholt.

Die Senne wurde von Menschen geformt

Die Senne ist keine Wildnis, sondern eine Kulturlandschaft, die der Mensch geformt hat. Einst war sie von Wald bedeckt. Die Heidebauern verwandelten die Gegend im 17. Jahrhundert in offenes Land. Sie hoben die oberen Bodenschichten ab, um sie als Untergrund in ihren Viehställen zu nutzen. Gemischt mit dem Kot der Tiere wurden diese so genannten Plaggen danach als Dünger genutzt. Jahrelang konnte nur die Besenheide den nackten Boden wieder besiedeln. Mit der Erfindung des Kunstdüngers wurden die Heideplaggen nutzlos. Büsche und Bäume eroberten viele Teile der Heide zurück. Fast hätten sie auch den Truppenübungsplatz überwuchert – doch 1945 übernahm die Britische Armee das Kommando und setzte besondere Landschaftspfleger ein: Heidschnucken. Sie halten die Vegetation kurz und sorgen durch ihren Verbiss dafür, dass junge Heide nachwächst.

Rückkehr der Raubfliege

Eine andere Methode gegen die Verbuschung testen Mitarbeiter der Biologischen Station im Naturschutzgebiet "Moosheide" neben dem Truppenübungsplatz: Seit 19 Jahren bringen sie im Frühjahr Senner Pferde auf eine 20 Hektar große Fläche. Ihre Hufe reißen den Boden auf und schaffen offene Flächen. Die Wiesen werden nicht bewirtschaftet, gedüngt oder mit Pestiziden behandelt. Die natürliche Ernährung der Pferde hat einen erstaunlichen Effekt: Auf ihrem Kot vermehrt sich ein äußerst seltenes Insekt: die Hornissen-Raubfliege. Sie legt ihre Eier auf den Pferdeäpfeln ab. Wenn die Raubfliegenlarven geschlüpft sind, werden sie die Larven von Mistkäfern fressen. Auch die gedeihen am besten in "Bio"-Häufchen.

Großaufnahme einer Hornissen-Raubfliege.
Die seltenen Hornissen-Raubfliegen kehrten in die Senne zurück, seitdem Senner Pferde hier leben. | Bild: WDR

Mistkäfer gehören auch zur Lieblingsbeute der erwachsenen Raubfliege. Seine Panzerung schützt den Käfer nicht vor dem spitzen Stechrüssel der Angreiferin. Sie saugt den Käfer aus, bis nur noch eine leere Hülle übrigbleibt. Die seltenen Hornissen-Raubfliegen kehrten erst in die Senne zurück, seitdem die Senner Pferde hier wieder leben.

Senne-Sand als Kinderstube

Das Militär hat durch seine Anwesenheit dafür gesorgt, dass die Landwirtschaft außen vor blieb. Wo Leopard-Panzer fahren, gibt es keinen Ackerbau. Sondern – so überraschend es auch klingen mag – viel Ruhe für die Natur. Seltene Reptilien vermehren sich im Sennesand. Zauneidechsen sind frisch geschlüpft Winzlinge. Von der Schnauze zur Schwanzspitze sind sie gerade einmal fünf Zentimeter, so groß wie eine Streichholzschachtel. Die Zauneidechse steht bundesweit auf der Roten Liste der bedrohten Arten. Ihr Lebensraum schrumpft vielerorts dramatisch. In der Senne mit ihren vegetationsarmen Sandflächen kommen sie noch häufig vor. Ohne den Einsatz von Panzern, Heidschnucken und anderen Helfern würde jedoch auch hier ihr Lebensraum und der weiterer seltener Arten verschwinden.

Autorin: Heike Grebe (WDR)

Stand: 17.10.2019 11:10 Uhr

Sendetermin

Sa., 12.10.19 | 16:00 Uhr
Das Erste

Produktion

Norddeutscher Rundfunk
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