SENDETERMIN Sa., 11.09.21 | 23:50 Uhr | Das Erste

Damit wir nicht blind werden

PlayLissy Eichert
Lissy Eichert: Damit wir nicht blind werden | Video verfügbar bis 11.09.2026 | Bild: RBB

Sollen "wir" mit den Taliban reden? Nine Eleven. Heute vor 20 Jahren der brutale Anschlag mit fast 3.000 Toten. Als Reaktion riefen die USA den globalen Krieg gegen den Terror aus. Allein in Afghanistan mehr als 200 000 Tote, darunter sehr viele Zivilisten. Und noch immer geht der Terror weiter. "Wir werden Euch jagen. Ihr werdet dafür bezahlen", rief jüngst der amerikanische Präsident, immerhin mein katholischer Glaubensbruder.

Wollen wir diese Botschaft - und Praxis - von Rache und Vergeltung wirklich weitergeben an unsere Kinder und Kindeskinder? "Auge um Auge – und die ganze Welt wird erblinden", hat Mahatma Gandhi gesagt. Wenn auf Gewalt immer Gegengewalt folgt, steigt nur die Opferspirale.

Gandhi, der Hindu und gewaltfreie Friedenskämpfer, trug die Bergpredigt Jesu bei sich, ist überliefert. Betete auch im Gefängnis damit. Die Seligpreisungen. Kann das funktionieren: mit den Seligpreisungen zum Frieden?

"Selig sind die Sanftmütigen; sie werden das Land erben." Die Sanftmütigen, die Böses nicht mit Bösem vergelten. Ich denke an Soldaten und Soldatinnen, die helfen, schützen und nicht als Besatzer empfunden werden. Ich denke an die Hilfswerke, die viele in ihrer Not erreichen. An Frauen und Männer von Belarus bis Hongkong, die für die Freiheit, wie Gandhi, ins Gefängnis gehen. Ich hoffe und bete, dass demokratiebewegten Frauen und Männer das Land erben.

"Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden." Frieden ohne gerechte Verteilung der Güter? Den gibt es nicht. Ich denke an junge Menschen, die ihre Privilegien, ihren Lebensstil, überdenken und sich für eine solidarische Verteilung von Ressourcen auf der Welt einsetzen. Und richtig heftig: "Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und alles Böse über euch redet um meinetwillen."

Jesu verherrlicht hier nicht die Verfolgung, das wäre zynisch. Die unselige Spirale der Rache soll gestoppt werden, darum geht es. Ich fürchte gerade um Frauen in Afghanistan, um Lehrerinnen, Journalistinnen, Richterinnen. Die Seligpreisungen wollen allen Mut machen, die wegen ihrer Überzeugungen bedrängt werden, Hass und Hetze ausgesetzt sind: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.

"Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden." Kinder Gottes – nicht Gotteskrieger, oder wie früher Kreuzritter. Frieden stiften, im Großen wie im Kleinen. Mit wie vielen in Ihrer Verwandtschaft reden Sie nicht mehr? Ja, die Bergpredigt ist alltagstauglich, auch in der Politik. Mit Waffen gewinne ich keine Menschen, baue ich keine Demokratie auf und finde auch keinen Frieden im eigenen Herzen. Die Seligpreisungen sind wie ein Kompass für Entscheidungen, die Frieden bringen. Damit Rache und Vergeltung nicht das letzte Wort haben. Und die Menschheit nicht erblindet.