SENDETERMIN Sa., 02.07.22 | 23:30 Uhr | Das Erste

"Verlorenes Paradies"

PlayPastorin Annette Behnken
Annette Behnken: Verlorenes Paradies | Video verfügbar bis 02.07.2027 | Bild: NDR

Eigentlich wollen wir doch alle nur das eine, oder? Zumindest viele von uns. Das, das ich meine hat einen Namen. Ein Wort. Ein hebräisches. Shalom. Ein Wort, das ganz viel sagt: Friede. In seinem weitesten und tiefsten Sinn. Also viel mehr, als die Abwesenheit von Gewalt und Krieg. Das auch. Aber shalom meint auch so etwas wie: Erfülltes Leben. Zutiefst friedeerfüllt an Leib und Seele sein. Unversehrt und in einem guten Gleichgewicht.

Und das Gegenteil? Von Shalom? Es gibt ein Wort vom indigenen Volk der Hopi. Ein Wort. Das ganz viel sagt. Koyaanisqatsi. Übersetzt soviel wie: Leben in einer Welt, die aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Das Ungleichgewicht der Welt – muss ich nicht ausmalen – haben wir vor Augen. Aber eine der ganz großen Wunden, die wir dem Gleichgewicht der Welt geschlagen haben, schmerzt zur Zeit schier unaushaltbar. Die Armut. Die so unglaubliches Leiden für so unglaublich viele Menschen bedeutet. Und: Despoten eine Flanke bietet. Die Armut und Hunger aufs perfideste als Kriegswaffe benutzen. Für viele Menschen auf der ganzen Welt bedeutet der Krieg die absolute Katastrophe. Beim G7-Gipfel warnten Politikerinnen und Politiker davor. Vor einer Hungerkrise in einem noch nie dagewesenen Ausmaß. Auf die niemand vorbereitet ist.

Armut ist Koyaanistqatsi. Armut ist das Gegenteil von Shalom. "Armut in jeder Form und überall beenden" – die internationale Staatengemeinschaft hat das aus gutem Grund ganz oben auf die Agenda für nachhaltige Entwicklung gesetzt. Armut in jeder Form und überall. Das ist die globale Armut der sogenannten Entwicklungsländer. Aber auch die Armut, die es auch bei uns in Deutschland gibt. All die, die, wenn wir jetzt sagen, dass wir sehr viel sparsamer leben müssen, einfach nichts haben, an dem sie noch sparen könnten. Armut bedeutet Stress. Angst. Macht krank. Frisst die Seele auf. Heißt: eine kürzere Lebenserwartung. Weniger Bildung. Weniger berufliche, gesellschaftliche Teilhabe. – Weniger Leben. Das Gegenteil von Shalom.

Das Ungleichgewicht der Welt ist eine apokalyptische Mixtur aus Klimakatastrophe, Armut und Krieg. Die fetten Jahre sind vorbei. Wir wissen das, wir spüren das: Wir müssen sparsamer leben. Die Länder, die Menschen, die das können. Wir müssen lernen, wie wir neu und anders und gerecht teilen.

Gegen den archaischen Reflex aber, festzuhalten, was man hat, in drohender Not oder Knappheit nur noch für sich selbst und den eigenen kleinen Space zu sorgen – dagegen kommen wir nur schwer an. Aber auch deshalb: Shalom geht nur in Solidarität. Im Erkennen: es gibt keine von allem getrennte Existenz. Nicht global, nicht national, nicht individuell: Es gibt nur das eine große Gewebe des Lebens, in dem jede und jeder ein Teilchen vom Ganzen ist. Das wissen die Hopi. Das weiß die Bibel: Wir sind ein Leib und ich bin eine Zelle darin (vgl. Eph 4,13-16).

Diese Sehnsucht nach Shalom ist meine kleine Hoffnung. Solidarität und Nächstenliebe sind mehr als Pflicht. Sie entspringen der tiefen menschlichen Sehnsucht, uns als Teile eines Ganzen zu erfahren, an dem wir alle mit bauen. Denn eigentlich wollen wir alle doch nur das eine: Shalom.

Sendetermin

Sa., 02.07.22 | 23:30 Uhr
Das Erste

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Norddeutscher Rundfunk
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