Der Schriftsteller Siegfried Lenz und seine Arbeit

Siegfried Lenz
Siegfried Lenz | Bild: dpa / Maurizio Gambarini

Siegfried Lenz wird 1926 im ostpreußischen Lyck geboren. Zusammen mit seiner Schwester wächst er bei der Großmutter auf. Einen Vater gibt es in seinem Leben nie, die Mutter ist die meiste Zeit irgendwo "in Stellung". Nach einem "Landjahr" wird er ausgewählt, in Kappeln an der Schlei einen Aufbaukurs für die weiterführende Schule zu besuchen. Mit 16 schickt man ihn von dort aufs Gymnasium nach Samter, unweit von Posen, das nach dem Überfall auf Polen wieder "deutsch" ist. Geprägt vom nationalsozialistischen Bildungssystem und ausgestattet mit einem Notabitur wird Lenz Seekadett auf der "Admiral Scheer". Lenz erlebt den Jahreswechsel 1944/45 an Bord dieses Kriegsschiffs, das an der Evakuierung Ostpreußens beteiligt wird. Die "Admiral Scheer" wird im Hafen von Kiel Anfang April 1945 versenkt.

Über Schleswig gelangt Lenz nach Næstved in Dänemark. Mehrere hundert Seekadetten bekommen Wehrmachtsuniformen. Sie werden, nur wenige Tage vor dem Ende eines längst verlorenen Krieges, vorbereitet für die Verteidigung von Berlin.

Nach dem Krieg schlägt sich Lenz Richtung Süden durch und wird von den britischen Besatzungstruppen als Dolmetscher für eine Entlassungskompanie rekrutiert. Die Briten beeilen sich, die zahllosen Kriegsgefangenen schnell wieder zu entlassen: Bereits im Oktober 1945 werden die Sperrzonen für Kapitulationsgefangene aufgelöst.

Lenz schreibt sich an der Uni Hamburg für Geisteswissenschaften und Sprachen ein. Und er bewirbt sich um ein Volontariat bei der "Welt". Hier lernt Lenz auch seine Frau Liselotte kennen und hier arbeitet er an seinem ersten Roman "Es waren Habichte in der Luft", den die "Welt" als Fortsetzungsroman druckt, bevor er 1951 als Buch erscheint. Die Resonanz ist gut, Lenz beschließt, Schriftsteller zu werden.

So unbefangen wie überzeugt schreibt er seinen zweiten Roman: "Der Überläufer". Der junge Autor schickt sein Manuskript an den Verlag. "Es packt den Leser im Genick", schreibt der vom Verlag beauftragte Lektor im November 1951 an Lenz, und bittet um einige "technische, handwerkliche Korrekturen". Lenz beginnt sofort, die Anregungen des Lektors umzusetzen, überarbeitet gründlich und ergänzt ein Kapitel mit der Intention, diese Wucht noch zu verstärken.

Es ist ein intensives Kapitel, über die Gefangennahme Proskas, seine jämmerlichen Versuche, sich mit dem Partisanen, der ihn bewacht, zu verbrüdern, was dieser kühl zurückweist: "Sobald ihr besiegt seid, wollt ihr Brüder sein. Das kennen wir." In diesem neu hinzugefügten Kapitel stehen auch diese Sätze, die am Ende vermutlich für die Ablehnung des ganzen Romanprojekts verantwortlich waren: "Ansteckend ist jedoch das nationalistische Ressentiment. Dieses Ressentiment ist die Wurzel des deutschen Hochmuts und der Quell dieses gottverdammten Auserwähltheitsbewußtseins." Lenz ist 26 Jahre alt, als er das schreibt. Der ehemalige Seekadett auf dem Schweren Kreuzer "Admiral Scheer" ist vom Gehalt seines Romans vollkommen überzeugt; verteidigen kann er ihn in diesen Zeiten nicht.

"Der Überläufer" erscheint nicht, das Manuskript verschwindet im orangefarbenen Hefter für viele Jahrzehnte im Keller, wird 2016 veröffentlicht, in 14 Sprachen übersetzt und ist nun Grundlage einer herausragenden Verfilmung – eine ungewöhnliche Erfolgsgeschichte.

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