Gespräch mit Patrick Dreikauss
Kindercasting

Was sind die großen Unterschiede zwischen Kinderund Erwachsenencasting?
Kinderdarsteller sind immer und grundsätzlich Laiendarsteller. Das heißt, auch wenn sie schon in irgendeiner Form Erfahrungen sammeln konnten, sind es trotzdem erstmal unausgebildete Kollegen. Weil sie großartig spielen können, nehmen wir sie als gleichwertige Partner auf und vergessen das gerne. Kinder bringen ganze tolle Qualitäten mit, die direkt mit dem Alter zu tun haben: Weil Elfjährige natürlich am besten Elfjährige verstehen und spielen können. Wir glauben ja nur zu wissen, wie Kinder sprechen und sein könnten, weil wir irgendwann mal so waren. Man muss also immer bedenken, dass Kinder und Jugendliche tatsächlich etwas leisten, was ausgebildete und erfahrene Menschen als Beruf ausüben und man den Unterschied nachher im Spiel nicht sieht. Außerdem ist es in der Regel so, dass man Erwachsene vom Band weg casten kann. Man versucht anhand des Materials der Erwachsenen, die ja schon eine Vita angehäuft haben, eine Entscheidung zu treffen und zu sagen: Ja, der kann das bestimmt spielen. Bei Kindern muss es, meiner Meinung nach, immer live passieren. Nur weil ein Kind letztes Jahr im "Tatort" toll war, heißt das nicht, dass es dieses Jahr auch toll ist. Es kann einfach keine Lust mehr haben. Auch optisch verändern sich Kinder praktisch halbjährlich. Und dann muss es eben auch genau diese Rolle spielen können, sich da reinfühlen. Das muss man im konkreten Moment testen.
Sie haben für "Nebelwand" sowohl den kleinen als auch den jugendlichen Jäckie besetzt. Können Sie ein wenig vom Castingprozess erzählen?
Der jüngere Schauspieler hatte praktisch nur einen Drehtag. Das war ein Junge aus Berlin, Arne Wichert – den haben wir genommen, weil ich ihn großartig finde und er Oskar Bökelmann ähnlich sieht. Oskar Bökelmann habe ich zusammen mit der Regie gecastet. Ich kenne ihn schon, seit er dreizehn ist, und habe seine Karriere als junger Darsteller verfolgt. Er ist jetzt auch schon ziemlich erfahren, denn er macht das, seit er elf ist. Es gibt in "Nebelwand" eine frischverliebte Szene mit Jäckie und Sophie in ihrem Zimmer, in der die Oma sie fast erwischt. Spannend ist auch die Szene im Auto, in der Jäckie praktisch beichtet, warum er das alles macht. Diese beiden Szenen haben wir im Castingstudio mit sieben Jungs ausprobiert. Oskar Bökelmann ist am Ende übriggeblieben, weil er am überzeugendsten war. Wir haben übrigens auch die Kinder aus dem Wohnprojekt besetzt, allen voran Lena Urzendwosky. Ich stelle dafür eine Auswahl von jungen Schauspielern zusammen, die ich interessant finde. Die Regie sucht aus, wen sie gerne sehen möchte, und die laden wir dann ein.
Aus Ihrer Erfahrung: Fällt Kindern und Jugendlichen das Schauspielen grundsätzlich leichter als ihren erwachsenen Kollegen? Wie äußert sich das?
Vielen Erwachsenen muss man an der Schauspielschule im ersten Schritt das Spielen wieder beibringen. Menschen verhärten natürlich über die Jahre. Sie lassen bestimmte Gefühle nicht mehr zu – um sich zu schützen oder weil sie die nie gehabt haben. Kinder glauben im Spiel alles, weil sie sich das selber ausdenken. Das ist ja eines der großen Talente, die Schauspieler haben: Dass sie etwas glauben, was gar nicht wahr ist, sich aber so anfühlt und dann auch so aussieht, als wäre es echt. Kinder machen das, wenn sie in einer bestimmten Umgebung sind, sich wohlfühlen und gefordert werden, von ganz alleine.
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