Interview mit Julia Hartmann

Wiebke Siehl ist gefangen in ihrem Körper und abhängig von der Unterstützung durch andere. Welchen Einfluss hat das auf ihr Menschenbild?
Wiebke weiß, dass sie nicht alt werden wird, und zusätzlich hat sie ihre engste Bezugsperson verloren, ihre Mutter, die vor einem Jahr gestorben ist. Seitdem ist Wiebke wie in Trance und schwankt zwischen Kollabieren, Zynismus und Wut auf’s Leben. Sie hasst es, wenn Menschen ihr mit Mitleid begegnen, und ist angezogen von denen, die ehrlich mit ihr umgehen.
Wie würden Sie das Verhältnis von Wiebke zu Simone Eggebrecht beschreiben?
Wiebke sagt über Simone: "Alles, was sie tut … tut sie für sich selbst. Sterbende, Krüppel, Straßenköter … sind doch wertvolles, sinnstiftendes Kümmerpotenzial…" Ich glaube, Wiebke ist einerseits dankbar, dass Simone sich um sie kümmert, und auf der anderen Seite spürt sie, dass sie gefundenes Fressen ist für Simones "Helferkomplex". Das habe ich beim Spielen als unangenehm empfunden. Wiebke ist abhängig von der Pflege, obwohl sie diesen Zustand verabscheut. Trotzdem hat Wiebke aus der Not heraus eine Art Vertrauensbasis zu Simone aufgebaut.
Was treibt Wiebke an?
So, wie ich Wiebke empfinde, ist das letzte, woran sie sich klammert, der körperliche Kontakt mit Männern. So kann sie sich spüren und das hält sie lebendig. Ich würde sogar sagen, dass sie unterbewusst in Patrick verliebt ist und sich wünscht, dass er bei ihr bleibt. Als Patrick sie ablehnt, aktiviert das in ihr die schreckliche Verlassenheits-Wunde, die sie seit dem Tod ihrer Mutter verdrängen möchte, und zusätzlich fühlt sie sich von Patrick verraten, weil er so getan hat, als hätte seine Ablehnung nichts mit ihrer Behinderung zutun. Sie sehnt sich danach, dass Menschen ehrlich sind. Aus Verzweiflung möchte sie sich mit Rainer ablenken. Von Karin ist sie beeindruckt, weil diese ihr nicht mit dem üblichen Mitleid begegnet und ihr ehrlich sagt, was sie denkt. Davon ist Wiebke tief berührt und gleichzeitig ist es unglaublich schwer, die Realität auszuhalten.
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