"Feinde" – rechtlicher Hintergrund

Darf man einen Verdächtigen foltern, um ein entführtes Kind zu retten? ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam erklärt die rechtlichen Hintergründe zum Filmprojekt "Feinde".
Was ist das rechtliche Spannungsfeld?
Der Polizist Peter Nadler möchte das Leben eines Kindes retten. Um dieses Ziel zu erreichen, verstößt er aber gegen einen wichtigen Grundsatz: Der Staat darf nicht foltern. Auch nicht Beschuldigte in einem Ermittlungsverfahren. Oder – darf er das im konkreten Fall vielleicht ausnahmsweise? Und was hat die Folter für Konsequenzen im späteren Gerichtsprozess gegen den Entführer?
Bei diesem Thema muss man zwei rechtliche Baustellen unterscheiden. Um die erste Baustelle geht es im Prozess gegen den angeklagten Entführer, der im Film ausführlich gezeigt wird. Die Frage lautet dort: Kann man den Angeklagten allein auf Basis eines Geständnisses verurteilen, das er direkt nach der Folter abgegeben hat? Oder muss das Gericht ihn freisprechen, weil dieses Geständnis nicht verwertbar ist und es keine weiteren Beweise gegen ihn gibt? Die zweite Baustelle wird am Ende des Films kurz angedeutet. Nadlers Kollegin sagt, dass es Ermittlungen gegen ihn geben werde. Da wird es dann darum gehen, ob der Polizist selbst sich wegen der Folter strafbar gemacht hat.
Warum gibt es das Folterverbot?
Das Folterverbot des Staates gegenüber Beschuldigten ist eine Reaktion auf die Gräueltaten des NS-Staates. "Verschärfte Vernehmungsmethoden", so wurde Folter damals genannt. Die Richterin fasst am Ende des einen Films zusammen: Die Väter und Mütter des Grundgesetzes hätten die Barbarei der Nazizeit erlebt und begriffen, dass Menschen vor dem Staat geschützt werden müssen. Ganz besonders vor Folter, und auch dann, wenn sie einer Straftat beschuldigt werden.
Wo ist das Folterverbot geregelt?
Das Folterverbot ist ein Ausdruck der Menschenwürdegarantie. Es ist im Grundgesetz, in der Europäischen Menschenrechtskonvention und in der Strafprozessordnung ausdrücklich geregelt. Die genauen Vorschriften sind:
Artikel 104 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz: "Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich misshandelt werden."
Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention: "Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
§ 136 a Absatz 1 Satz 1 Strafprozessordnung: "Die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Beschuldigten darf nicht beeinträchtigt werden durch Misshandlung, durch Ermüdung, durch körperlichen Eingriff, durch Verabreichung von Mitteln, durch Quälerei, durch Täuschung oder durch Hypnose."
Im Film gibt es darüber eine spannende Diskussion im Gerichtssaal. Polizist Nadler sagt, dass es hier ja um einen ganz anderen Zweck als in der NS-Zeit geht; nämlich darum, ein Menschenleben zu retten. In extremen Fällen müssten Ausnahmen vom Folterverbot möglich sein. Strafverteidiger Konrad Biegler hält dagegen. Wer bestimmt denn, wann so eine Ausnahme vorliegt, fragt er. Wo verläuft die Grenze zwischen "verboten" und "ausnahmsweise zulässig"? Und ist man wirklich sicher, dass man den Richtigen foltert, oder ist es eine unschuldige Person? "Sehen Sie nicht, wohin das führt, wenn sie diese Tür öffnen?", sagt der Verteidiger. Und begründet damit, warum es auch in krassen Fällen keine Ausnahmen geben darf.
Warum wird der Angeklagte am Ende freigesprochen?
Für ein durch Folter erlangtes Geständnis gilt rechtlich ein sogenanntes "Verwertungsverbot". Das bedeutet: Das Gericht darf dieses Beweismittel nicht nutzen, um einen Angeklagten zu verurteilen. Das Gericht muss also so entscheiden, als ob es das Geständnis gar nicht gegeben hätte. Zentrale Frage ist in so einem Fall dann: Gibt es andere Beweise, die die Schuld des Angeklagten nachweisen? Oder gesteht der Angeklagte nochmal aus freien Stücken im Gerichtssaal? Das alles gab es im Fall von Lisas Entführung aber nicht. Deswegen musste das Gericht den Angeklagten freisprechen.
Welcher reale Fall war vergleichbar?
Im Jahr 2002 wurde der Frankfurter Bankierssohn Jakob von Metzler getötet. Der Täter, Magnus Gäfgen, hatte ihn in seine Wohnung gelockt und getötet. Dann versteckte er die Leiche und forderte von den Eltern Lösegeld. Er wurde nach der Geldübergabe festgenommen. Die Polizei hoffte, dass das Kind noch lebt. Zwei Frankfurter Polizisten drohten Gäfgen dann in der Vernehmung Folter an. Der stellvertretende Polizeipräsident legte dies ausdrücklich in einem Aktenvermerk nieder. Anschließend nannte Gäfgen den Ort, an dem die Leiche des Jungen lag.
Gibt es Unterschiede zum Film?
Ja. Im realen Fall von Metzler wurde von Polizisten Folter angedroht. Im Film setzt Polizist Nadler Folter tatsächlich ein. Für die rechtliche Bewertung macht das aber keinen Unterschied.
Wie ging das Strafverfahren gegen den Täter im realen Fall aus?
Anders als der Angeklagte im Film wurde Markus Gäfgen zu lebenslanger Haft verurteilt. Das hatte einen konkreten Grund. Gäfgen hatte im Gerichtssaal nach einer ausdrücklichen Belehrung darüber, dass sein ursprüngliches Geständnis nicht verwertbar sei, aus freien Stücken noch einmal gestanden. Dieses Geständnis durfte das Gericht dann verwerten. Das Urteil wurde rechtskräftig. Gäfgen legte später Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ein, der einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention feststellte. Er bekam am Ende vom Land Hessen wegen der angedrohten Folter am Ende 2.000 Euro Entschädigung.
Wie ging das Strafverfahren gegen die Polizeibeamten aus?
Auch die Polizeibeamten wurden damals verurteilt. Sie haben sich also wegen der angedrohten Gewalt strafbar gemacht. Das Landgericht Frankfurt hat sich sehr ausführlich mit den genauen Abläufen befasst. Ebenso mit der rechtlichen Frage, mit welchen Argumenten man eine Schuld der Polizisten ausnahmsweise ablehnen könnte. Es kam am Ende zu dem Ergebnis, dass es solche Gründe hier nicht gibt. An einer Stelle ist die Rede von einem "Tabubruch". Allerdings ist das Urteil an dieser Stelle nicht zu Ende. Das Gericht hat die Polizisten nämlich sehr milde verurteilt, und zwar zu einer "Verwarnung mit Strafvorbehalt". Das ist eine Art Geldstrafe auf Bewährung. So hat das Gericht berücksichtigt, in welchem Dilemma sich die Polizisten befanden. Das Gerichtsverfahren hat damals eine Diskussion ausgelöst – auch unter Juristen – ob es nicht ausnahmsweise Gründe geben könnte, die gegen eine Schuld der Polizeibeamten sprechen. Das Gericht ist dem aber nicht gefolgt und hat die Polizisten verurteilt. Wer das Thema ausführlich vertiefen möchte – hier die ausführliche Zusammenfassung der Urteilsgründe Presseinformation Landgericht Frankfurt Frankfurt: Schriftliche Urteilsgründe in der Strafsache gegen Wolfgang Daschner, 15. Februar 2005 (PDF-Datei 196kB)
Sind Recht und Gerechtigkeit immer "zwei Paar Schuhe"?
Extremfälle wie dieser geben Anlass, über das Spannungsfeld von Recht und Gerechtigkeit intensiv zu diskutieren. Denn das reine Ergebnis ist schwer zu ertragen. Ein Kind ist tot. Der Beschuldigte hat gestanden, wird aber nicht verurteilt. Dem Polizisten drohen Konsequenzen (auch wenn er für Strafverteidiger Biegler trotzdem – oder gerade deswegen – "ein Held" ist).
Eine friedliche Gesellschaft könne nur existieren, wenn Diebe, Vergewaltiger und Mörder für ihre Straftaten bestraft werden. Das sei für ihn Gerechtigkeit, sagt Polizist Nadler. Anwalt Biegler hält dagegen: Es gibt keine Wahrheitsfindung um jeden Preis (also zur Not auch mit Folter). "Gerechtigkeit bekommen wir nur durch unsere Gesetze, durch die Anwendung des Rechts". Für ihn sind die beiden Begriffe auch im konkreten Extremfall kein Gegensatz.
Der Spruch mit den "zwei Paar Schuhen" wird aber auch in vielen Alltagsfällen bemüht. Dabei kann er schnell den Eindruck vermitteln, dass die geltenden Paragrafen nur selten etwas mit Gerechtigkeit zu tun haben. Das ist aber so nicht richtig. Sehr oft ist Recht auch gleichzeitig gerecht. In vielen Sendungen wurden juristischen Laien reale Fälle gezeigt, zum Beispiel im SWR-Format "Die Sofa-Richter". Und sehr oft hat die Mehrzahl von ihnen genau so entschieden, wie es auch die Gerichte nach den geltenden Paragrafen getan haben. In typischen Alltagsfällen, aber auch ganz konkret im Fall, der als Vorlage für "Feinde" diente.
Frank Bräutigam, ARD-Rechtsexperte
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