»In dem Landkreis in Niedersachsen, in dem ich aufgewachsen bin, gehörten sie zum Straßenbild – fahrende Schrotthändler, die mit ihren Pritschenwagen über die Dörfer fuhren. Als Kind habe ich ganze Sommer auf dem Schrottplatz meines Freundes Marcel, Spross eines solchen Schrotthändlerclans, verbracht. Mit der Zeit haben Marcel und ich uns aus den Augen verloren. Einige Jahre später hat ihn meine Mutter in der Fahrerkabine eines verrosteten Lkw des familiären Schrottunternehmens gesehen. Ich fragte mich: Warum entscheidet sich jemand freiwillig heutzutage als ‚Fliegender‘, als umherfahrender Schrotthändler zu leben? Ich nahm wieder Kontakt zu Marcel auf, und die Antwort war so einfach wie einleuchtend: Familie! Jede Familie hat ihren eigenen Sog, ihre eigenen Gesetze. Der Sog bei den Schrotthändlern ist der starke familiäre Zusammenhalt gegen Jahrhunderte alte Ausgrenzung und Anfeindung, die tiefe Verankerung in ihren Traditionen. In den letzten Jahren sind die fahrenden Schrotthändler nahezu aus dem Straßenbild verschwunden. Der Staat hat den Wert des Altmetalls erkannt und Gesetze erlassen, die es den Schrotthändlern fast unmöglich machen, ihrem Gewerbe nachzugehen. Die meisten Schrotthändler führen heute einen Kampf ums nackte Überleben – und trotzdem sind mir diese Menschen mit wahnsinnig viel Aufrichtigkeit, Humor, Selbstironie und Leichtigkeit begegnet und haben mir gezeigt, dass Heimat eben doch viel mehr ist als nur ein Ort.«
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