Fragen Prof. Dr. Frank Schwab, Medienpsychologe

Gabrielle (Victoire Laly)
Gabrielle  | Bild: WDR/OdeonFiction / Hardy Spitz

Welche Themen behandelt der Film?

Prof. Frank Schwab: „Flügel aus Beton“ thematisiert zahlreiche Problemfelder, die alle miteinander verwoben sind. Es geht um Selbstverletzungen, Depressionen, Bullying, Mobbing, genauso wie Cybermobbing. Wir haben praktisch keine Figur, die kein auch behandlungsbedürftiges Problem hätte. Der Film bildet dabei ein Alter und eine Zeit ab, in der viele Jugendliche durch Krisen gehen, Beziehungsprobleme haben, an sich zweifeln. „Flügel aus Beton“ ist daher ein Filmangebot, das sich nicht nur an Eltern oder Großeltern richtet, sondern auch die im Film dargestellte Zielgruppe direkt adressiert. Die Schule ist sehr authentisch gewählt, die Locations sind sehr passend, die Musik ist eine große Stärke des Films. Es ist definitiv kein Teenie-Party-Film, sondern ein Film mit einer gewissen Schwere, der Krisenerfahrungen von Jugendlichen aufzeigt.

Wie geht der Film „Flügel aus Beton“ aus Ihrer Sicht mit dem Thema Suizid bei jungen Menschen um?

Prof. Frank Schwab: Der Film fängt düster an, hört aber hell auf. Es besteht bei Suizid immer die Gefahr, dass das Thema tabuisiert wird und dadurch aus der Gesellschaft verschwindet. Das sollte nicht passieren. Bei Jugendlichen ist Suizid eine der häufigsten Todesursachen. „Flügel aus Beton“ enttabuisiert das Thema und bringt es in die Öffentlichkeit. Er lädt zum Nachdenken und zum Gespräch ein. Generell ist es wichtig, das Thema Suizid darzustellen, man darf es aber nicht ästhetisieren, also „schick“ machen. Es muss, um realistisch zu sein, schmerzen und darf seinen Schrecken nicht verlieren. Keineswegs ist es ratsam, es so zu inszenieren, dass sich davon jemand angezogen fühlt. Das ist eine Herausforderung, die der Film „Flügel aus Beton“ sehr gut löst. Das Narrativ ist so gestrickt, dass es hochproblematisch anfängt, und gegen Ende immer mehr auch Lösungswege anbietet. So kommt u.a. das Kriseninterventionsteam an die Schule. Schön ist, dass aufgezeigt wird, dass das Team zwar da ist, aber nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen wird, da das auch in der Realität keine einfache Arbeit ist. Und auch die Hauptfiguren finden ihren Weg aus der Abwärtsspirale heraus. Man will bei dem Thema Suizid natürlich nicht, dass es zu sogenannten nachahmenden „Werther-Effekten“ kommt, der Film soll suizidpräventiv wirken. Dieses Ziel verliert der Film nie aus den Augen. Ich wurde bereits in der Entwicklung des Films als Experte einbezogen, das gesamte Team ist äußerst sorgsam mit dem Thema umgegangen.

Welchen Tipp geben Sie betroffenen Schüler:innen und Eltern?

Prof. Frank Schwab: Je nachdem, wie schwer die Betroffenheit ist, würde ich sagen: Suchen Sie sich professionelle Hilfe. Die Telefonseelsorge oder kirchliche Angebote können erste Anlaufstellen sein. Die Telefonseelsorge hat den Vorteil, dass man das Gegenüber nicht kennt und sich nicht zeigen muss. Sie bietet zudem mittlerweile auch Chatangebote. Auch Onlineforen und Selbsthilfegruppen wären eine Möglichkeit. Medienpsychologen haben die letzten Jahre häufig dazu geraten, dass Eltern mit ihren Kindern über problematische Medieninhalte reden. Was ich jetzt sage ist: Zuhören. Die Eltern sollten nicht ohne Einladung das Thema an ihre Kinder herantragen. Wenn die Eltern Ängste haben, würde ich das Thema nicht den Kindern aufdrängen, sondern gut zuhören: Gibt es einen Bedarf, darüber zu sprechen? Wie viel wollen die Jugendlichen überhaupt dazu wissen? Und dann auf Grundlage des intensiven Zuhörens mit dem Thema umgehen.

Kann unter anderem Social Media eine Rolle dabei spielen, gesellschaftliche Information und Einstellung zum Suizid zu beeinflussen?

Prof. Frank Schwab: Tatsächlich sind Soziale Medien und fiktionales Material nicht im Fokus der bisherigen Forschungstätigkeit. Man betrachtet eher die klassische Berichterstattung, vor allem über Prominentensuizide, zum Beispiel den Tod von Kurt Cobain oder Chester Bennington, dem Sänger von Linkin Park. Hier lassen sich Effekte finden, die durchaus groß werden können, wie beispielsweise beim Tod von Robert Enke. Bei entsprechender Reichweite können dramatische Nachahmungsphänomene auftreten. Jedoch nicht jede:r aus der breiten Bevölkerung ist hier direkt gefährdet. Solche Effekte bei Sozialen Medien nachzuweisen, ist deutlich schwieriger. Gerade in Sozialen Netzwerken findet man viel Licht, aber auch viel Schatten: Da ist einerseits der soziale Rückhalt, in Form von Selbsthilfegruppen und Foren, um auch anonym über Dinge sprechen zu können. Die Anonymität wiederum ist aber gleichzeitig auch die Schattenseite, wenn man bedenkt, dass man sich in diesen digitalen Räumen beispielsweise auch zu gemeinsamem Suizid verabreden kann. Chancen und Risiken der digitalen Kommunikation liegen hier eng beieinander.

Welchen Einfluss haben Soziale Netzwerke auf die Psyche, wenn Teenager dort Fotos von selbstverletzendem Verhalten finden?

Prof. Frank Schwab: Prinzipiell kann man nicht sagen, dass Soziale Medien schädlich wären. Es gibt natürlich bestimmte Angebote, auf die das zutrifft. Magersucht zum Beispiel, wo sich Mädchen online treffen und besprechen können, wie man am besten hungert, oder wetteifern, wer am dünnsten ist. Das kann zu einer Art Modelllernen führen, und somit eine Abwärtsspirale starten. Es gibt aber auch die Aufwärtsspirale, bei denen man – auch online – einander helfen kann. Die Medieneffekte sind allerdings klein, etwas verallgemeinert kann man schätzen, dass maximal zehn Prozent des menschlichen Verhaltens durch Medien erklärbar sind. Eine viel größere Rolle spielt oft die Genetik, zudem haben das Milieu, also das jeweilige Umfeld, und die verschiedenen Peergruppen einen großen Einfluss. Im Gesamtbild werden die Medieneinflüsse oft überschätzt. Medien erzeugen nicht grundsätzlich die Motivation dazu, sich umzubringen. Dass jemand, der gesund ist, allein wegen der Mediennutzung auf die Idee kommt, sich etwas anzutun, ist sehr unwahrscheinlich. Habe ich aber eine Person, die vulnerabel ist, dann kann ein Film das Fass zum Überlaufen bringen. Was wir daher eher feststellen, ist eine Art Katalysatorwirkung: Eine Person hat eventuell die Tendenz, sich etwas anzutun, weiß aber nicht wie, wo und wann. Dann können mediale Darstellungen durchaus Anreize liefern. Es bringen sich nicht unbedingt mehr Leute um, aber sie wählen die Methode, die gerade in den Medien dargestellt oder diskutiert wurde.

Worauf muss man beim Dreh von Filmen mit einer Suizid-Thematik achten?

Prof. Frank Schwab: Bei „Flügel aus Beton“ gab es vorab längere Gespräche, etwa wie die Einstiegssequenz der Schülerin, die in den Tod springt, dargestellt werden kann. Bei solchen Szenen ist wichtig, dass Orte keine Hotspots werden. Mit einer Brücke, die jeder kennt, hätte man eventuell einen Hotspot erzeugt: Ich würde mich gerne umbringen, weiß aber nicht wie – „ah, in dem Film springen die von dieser Brücke, das wäre ja eine Möglichkeit“. Ein konkreter Ort könnte Nachahmungstäter:innen anziehen.

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