Die Drehbuchautoren Eva Zahn und Volker A. Zahn im Gespräch

Marie (Michelle Barthel) mit den "Goldjungs"
Marie (Michelle Barthel) mit den "Goldjungs" | Bild: ARD/Zeitsprung Pictures / Frank Dicks

Wo hört im Film der Bezug zur Realität auf und fängt die Fiktion an?

Volker A. Zahn: Natürlich haben wir uns bei der Illustrierung der Vorgänge, die zum Crash führten, an die realen Vorkommnisse gehalten: Die waghalsigen Dollar-Spekulationen der Goldjungs, das Lotterie-Fieber, das die gesamte Belegschaft erfasst hat, der lässige Umgang des Managements mit den Hochrisiko-Geschäften, die fantasievollen Tricksereien, um das Ausmaß der Zockereien zu kaschieren und die Bilanzen aufzuhübschen, die magische Computertaste, die nachträglich eingebaut wurde, um Buchungen verschwinden zu lassen, das Versagen der Aufsichtsbehörde, Hans Gerlings finanzieller Kraftakt, um die Herstatt-Kunden zu entschädigen … all das ist verbürgt und dokumentiert. Eva Zahn: Die Fiktion fängt bei den Figuren an. Außer dem Ehepaar Gerling und Iwan Herstatt, die Personen der Zeitgeschichte sind, haben wir alle anderen Protagonisten sowie deren Geschichten und Verwicklungen frei erfunden.

Wie sind Sie auf die Figur Marie Breuer gekommen?

Eva Zahn: Wir wollten mit einer unschuldigen Figur in diese verrückte Casino-Welt eintauchen, mit einer jungen Frau aus "ganz normalen" Verhältnissen, die das auf Weiterbildung und Fleiß fußende Aufstiegsversprechen der 70er Jahre verkörpert und dann von den Verlockungen des Finanzkapitalismus verführt wird. Das Zocken ist eben betörend wie eine gute Droge, und die angefixte Marie genießt den Rausch in vollen Zügen. Allerdings droht sie im Laufe dieser wilden Party sich selbst und die Altersrücklagen ihrer Mutter zu verlieren. Volker A. Zahn: Marie ist eine junge Frau auf der Suche nach dem Glück, ihre Figur hat auch etwas Märchenhaftes, sie ist eine verführbare Sucherin, die sich nach dem Herstatt-Abenteuer der nächsten Glücksverheißung hingeben wird. Wir haben uns sehr darüber gefreut, wie nuancenreich Michelle Barthel diese turbulente Reifeprüfung unserer Hauptfigur performt. Eva Zahn: Und nicht zuletzt erzählen wir mit Marie auch eine Emanzipationsgeschichte. Anfangs naiv und voller Ehrfurcht, ausgestattet mit konventionellen Lebensträumen, entdeckt sie nach und nach ihre eigenen Stärken, sie wirft Konventionen über Bord, genießt jene Freiheiten, die sich Frauen in den 70ern erkämpft haben, und setzt schließlich sehr viel selbstbewusster – aber auch nur ein bisschen klüger – ihre Suche nach dem Glück fort.

Mick Sommer hat eine Lebensgeschichte, die erahnen lässt, wie er zu dem leicht größenwahnsinnigen Spekulanten werden konnte. Das Klischee des gewissenlosen Hasardeurs zu zeigen, war Ihnen zu wenig?

Volker A. Zahn: Figuren sind für uns nur interessant, wenn sie nicht eindimensional oder klischiert sind, aber bei Mick kommt noch etwas Besonderes hinzu: Er verkörpert einen neuen Typus Banker, einen mit viel Energie und Sex-Appeal aufgeladenen Finanzmarktschreier, er ist besessen von diesem Job, süchtig nach Erfolgen, aber dadurch auch extrem anfällig für Hasardeur-Aktionen. Mick, der „Bastard“, hat das Aufstiegsversprechen der sozialdemokratischen Bundesrepublik fulminant eingelöst. Aber er wird nie dazugehören, man lädt ihn eben nicht zur Geburtstagsparty des Bankdirektors ein, obwohl er den Laden rockt, das „alte“ – vererbte – Geld, Eliten wie Herstatt und Gerling begegnen ihm einerseits mit einer gewissen Bewunderung, aber andererseits hält man sich solche Leute lieber vom Leib. Und sobald es Probleme gibt, wird er fallengelassen wie eine heiße Kartoffel, er ist der ideale Sündenbock. Mick erkennt das Spiel, er spürt den Druck, der auf ihm lastet, er ahnt, dass man ihm den schwarzen Peter zuschieben wird, und er leidet unter der mangelnden Anerkennung. Das alles lässt ihn noch verrückter zocken, noch mehr Drogen einwerfen und schließlich noch mehr an sich und dem, was er tut, verzweifeln.

Ist die Figur Mick Sommer frei erfunden?

Eva Zahn: Ja, wir haben diese Figur komplett frei erfunden. Wir sind nun mal Geschichten-Erfinder und keine Dokumentarfilmer, wir brauchen erzählerischen Freiraum, wir wollen unsere Zuschauer unterhalten und berühren und müssen uns deshalb einen eigenen Figuren-Kosmos schaffen. Und Mick Sommer steht mit viel Sex-Appeal im Zentrum dieses Kosmos, als Verführer und Getriebener, als Popstar und tragische Figur. Volker A. Zahn: Tim Oliver Schultz hat unsere Figur mit einer unglaublichen Energie aufgeladen, es macht einfach Spaß, ihm beim Zocken, Feiern und Scheitern zuzusehen. Wie überhaupt das ganze Ensemble mit großer Spielfreude und Sinn für Humor ans Werk gegangen ist. Für uns war das wirklich ein sehr großes Vergnügen.

Lagen die Inspirationsquellen aus dem tatsächlichen HerstattSkandal alle offen zu Tage? Oder mussten Sie noch viel recherchieren?

Volker A. Zahn: Der Skandal liegt jetzt bald 50 Jahre zurück, aber er ist sehr gut dokumentiert. Das enthebt uns als Autoren allerdings nicht von der Verpflichtung, uns intensiv durch die Materie zu wühlen und nach den für unsere Geschichte relevanten Vorgängen und Besonderheiten zu suchen. Aber das gehört zum Autoren-Handwerk, darin unterscheidet sich dieser Film nicht von unseren anderen Werken.

Was hat Sie bei der Beschäftigung mit diesem Thema selbst am meisten zum Staunen gebracht?

Eva Zahn: Die beinahe euphorische Casino-Mentalität innerhalb der Bank und das unfassbare Ausmaß der Zockereien. Ganz normale Angestellte, die plötzlich mit Millionen jonglieren und sich Häuser mit Swimmingpool bauen lassen! Volker A. Zahn: Und kein Verantwortlicher fragt sich: Ist das eigentlich normal? Kann das auf Dauer gutgehen? Mich haben außerdem die Schamlosigkeit und Fantasie, mit der Betrügerisches verschleiert wurde, schwer beeindruckt. Einen Computer in einer Nacht- und Nebelaktion mit einer zusätzlichen "Zaubertaste" auszustatten … das ist echt tollkühn!

Auch der Oppenheim-Esch-Skandal spielte in Köln. Entdecken Sie da ein Muster? Sind wir einer regionalen Spezialität auf der Spur?

Volker A. Zahn: Es liegt nahe, den regionalen Bezug herzustellen: Klüngel ist halt eine Disziplin, die man in der Domstadt bestens beherrscht. Korruption und Gier sind globale Phänomene, aber der Kölner weiß selbst im Betrug noch zu unterhalten. Eva Zahn: Amigos in München, HSH Nordbank oder Cum-Ex in Hamburg, der Berliner Sumpf … abgegriffen wird in der ganzen Republik, aber in Köln sind die Zeremonienmeister der Skandale eben keine verkniffenen Sonderlinge wie Wirecard-CEO Markus Braun, sondern frohsinnige Rampensäue wie Iwan D. Herstatt oder prollige Schlitzohren wie Josef Esch. Und für jeden Skandal hat das "Kölsche Grundgesetz" den passenden Paragrafen parat. Iwan D. Herstatt hat lange auf Paragraf 3 gehofft: "Et hätt noch immer jot jejange". Am Ende hat Paragraf 4 gegriffen: "Wat fott es es fott!"
Volker A. Zahn: Und natürlich Paragraf 11: "Do laachste dech kaputt!"

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