Regisseur Christoph Schnee im Gespräch

Marie (Michelle Barthel) mit den "Goldjungs"
Marie (Michelle Barthel) mit den "Goldjungs" | Bild: ARD/Zeitsprung Pictures / Frank Dicks

Man fühlt sich in dem Film schnurstracks in die frühen 70er zurückversetzt. Sie sind 1972 geboren, ich vermute also, dass Sie sich nicht an diese Zeit erinnern können. Auf welche Weise sind Sie in sie eingetaucht?

Tatsächlich habe ich eine sehr weitreichende Kindheitserinnerung und damit auch durchaus lebendige Erinnerungen an den Stil und Flair dieses Jahrzehnts. Zumal ich zwei deutlich ältere Schwestern habe, deren Pubertät und junges Erwachsenensein in diese Zeit fielen. Ich kann mich zum Beispiel noch an das Wählscheibentelefon sehr gut erinnern. Um endlosen Telefonaten meiner Schwestern vorzubeugen, schafften meine Eltern sogar ein Wählscheibenschloss an! Damit wurde die Wählscheibe so blockiert, dass man lediglich die Notfallnummer 112 anrufen konnte. Besagtes Wählscheibentelefon sorgte gerade bei unseren jüngeren Schauspieler*innen für Fragezeichen. Wie konnte man denn damit wählen?

Wie aufwendig war es, die 70er zu rekonstruieren?

Schon sehr. Es ist baulich und städteplanerisch natürlich viel in 50 Jahren passiert. Der Szenenbildner Julian Augustin und ich sind zwischenzeitlich regelrecht verzweifelt, weil wir erst einmal nur viel zu kleine historische Versatzstücke als mögliche Drehorte gefunden hatten. Was wir brauchten, war aber eine ganze Bank! In den 70ern! Dass wir ironischerweise ausgerechnet die Kölner Privatbank Salomon Oppenheim, die ebenfalls pleitegegangen ist und die direkt gegenüber der ehemaligen Herstatt Bank liegt, als Innenmotiv bekommen haben, war ein ganz großer Glücksfall! Sie stand komplett leer. Die Erlaubnis, vor den Gebäuden der ehemaligen Herstatt Bank drehen zu dürfen, war die nächste sehr erfreuliche Fügung. In der Privatbank Salomon Oppenheim fanden wir dann eine sehr imposante, marmorne historische Schalterhalle mit einem tollen Treppenhaus vor. Und dazu samt und sonders Räumlichkeiten, die wir vollends im Sinne unseres Films und der 70er Jahre gestalten konnten. Der Handelsraum der Herstatt Bank war im Original ja schon etwas Besonderes und wurde als "Raumschiff Orion" bezeichnet, insofern war es uns sehr wichtig, diese Besonderheit aufzugreifen und gestalterisch wie filmisch noch zu erhöhen.

Welche Rolle spielt die Musik in dem Film?

Eine sehr große. Musik liegt mir grundsätzlich in meinen Film am Herzen und hier bei den "Goldjungs" noch mal besonders, da in den 70ern einige sehr prägnante und markante Musikstücke entstanden sind, die heute Kultstatus haben. Eva und Volker A. Zahn hatten diesbezüglich auch schon auf Drehbuchebene ein paar Vorschläge. Mein Cutter Günter Schultens und ich haben uns vorgenommen, einen Soundtrack aus Musiken zu bauen, die ausschließlich aus den 70ern stammen. Einen Soundtrack, der einen emotional packt und in einen Groove kommen lässt, mit Liedern von T Rex, Led Zeppelin, Carlos Santana, James Brown, The Sweet, Boston, Supertramp und vielen anderen mehr.

Welcher Aspekt des Herstatt-Bankrotts fasziniert Sie selbst am meisten?

Alle Aspekte, die wir in dem Film am deutlichsten herausgearbeitet haben. Eine Truppe von wirklich wild handelnden und zockenden Brokern, die tatsächlich geglaubt haben, dass es ihnen gelingen könnte die Weltwirtschaft mit ihrer Dollarkursstrategie zu beeinflussen, zudem der dreiste Kunstgriff der Buchungstäuschung über die Manipulation des Buchhaltungscomputers, die Erlaubnis, dass Angestellte weit über ihre finanziellen Möglichkeiten hinaus Investitionen tätigen durften, und über allem ein Direktor, der sprichwörtlich nicht wirklich wach und in Kenntnis war.

Was sind die größten Herausforderungen beim Dreh einer Satire – und dann auch noch einer Satire, die von wahren Begebenheiten inspiriert ist?

Charaktere lebendig werden zu lassen, deren Taten und Handlungen in der Historie stattgefunden haben. Sich also von Wesenszügen und Eigenschaften inspirieren zu lassen und gleichwohl glaubhafte Personen für diesen Film zu schaffen. Es ist ein schmaler Grat der Tonalität. Und es ist natürlich irrsinnig reizvoll, spannend und aufregend, an die Grenzen und Abgründe einer jeden Figur zu gehen. In den tragischen Momenten das Komische zu finden und in den komischen das Tragische, hat mich intensivst beschäftigt.

Drehen ist Arbeit, Drehen ist Konzentration. Hatten Sie dennoch Spaß am Set mit diesen wundervollen Schauspielern, die zum Teil ja herrlich skurrile Figuren spielen?

Ja, absolut! Mir ist eine positiv konzentrierte Stimmung am Set sehr wichtig, da ich der Meinung bin, dass in so einem Umfeld die fruchtbarsten, intensivsten Momente und Situationen entstehen können. Für mich liegt sehr viel Freude und Spaß in konzentrierter Arbeit, wenn man die Gedanken, die man sich zu jeder einzelnen Szene gemacht hat, an seine Schauspieler*innen weitergibt und diese sie dann mit ihrem Können und Vermögen lebendig werden lassen. Ich mag es auch, Möglichkeiten, Untiefen, lustige und skurrile Momente zuzulassen und dann zu beurteilen, ob sie bereichern oder abträglich sind.

Drehen während einer Pandemie – wie muss man sich das vorstellen?

Sehr, sehr diszipliniert. Und noch fordernder als Dreharbeiten ja ohnehin schon sind. Den ganzen Tag unter der Maske zu arbeiten, erhöht die Anstrengungen deutlich. Und in der Kommunikation geht der Faktor, im Gesicht des Gegenübers lesen zu können, stark verloren. Man braucht noch mehr Worte, wenn die eigene Mimik wegfällt, um klar zu sagen, was man meint und was man wünscht. Und uns allen war klar und bewusst, dass wir diesen Film nur durch regelmäßige und intensive Testung so drehen konnten, wie es für ihn notwendig war. Klar, man kann die Pandemie trotz aller Testungen und Vorsichtsmaßnahmen nie ganz ausschließen. Ich bin daher ausgesprochen dankbar, dass wir vollkommen reibungslos ohne irgendeine uns belastende oder gar zum Stoppen zwingende Situation gesund, wohlbehalten und glücklich durch diese Dreharbeiten gekommen sind.

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