Interview mit Jonathan Berlin

Jonathan Berlin, geboren 1994 in Ulm, gehörte von 2007 bis 2012 dem Jungen Ensemble des Theaters Ulm an und hatte erste Fernsehauftritte in Kinder- und Jugendserien. Sein Kinodebüt gab er 2012 in „Und morgen bin ich tot“. Im Alter von 18 Jahren begann er sein Studium an der Münchner Otto-Falckenberg-Schule. Nach seinem Abschluss stand er u. a. für folgende Produktionen vor der Kamera: „Tannbach I + II“ (2015/2018), „Die Freibadclique“ nach dem Roman von Oliver Storz (einem Film in schwäbischer Mundart), seine erste Kino-Hauptrolle in „Schneeblind“ (Regie: Arto Sebastian) sowie die Komödie „Feierabendbier“, die auf der Berlinale 2018 ihre Premiere feierte. Jonathan Berlin gewann 2018 den New Faces Award sowie den Deutschen Schauspielpreis als „bester Nachwuchs-Schauspieler“ und wurde 2019 für den Deutschen Fernsehpreis als „bester Schauspieler“ nominiert. Im März dieses Jahres drehte er den Dreiteiler „Der Preis der Freiheit“ ab.
Gespräch mit Jonathan Berlin

Als Kasimir auf Mallorca ankommt, findet er sich völlig unerwartet in einer komplizierten Konstellation mit Jenny, ihrer Mutter Pola und deren Ex-Freund Butzke wieder. Wie kommt er damit zurecht?
Diese vier nach Zuneigung suchenden Figuren treffen in dieser aufgeheizten Situation aufeinander, alle vier haben ihre eigenen verborgenen Sehnsüchte und begeben sich auf eine Reise mit unbekanntem Ziel. Bei Kasimir hat mich vor allem im Kontext zu Butzke ein sehr verletzliches Männerbild interessiert und seine Heldenreise. Zu Beginn der Reise ist er ein sehr unsicherer, suchender Typ. Wenn er sich am Ende erneut vorstellt und sagt: „I am Kasimir“, dann ist das ein anderer Kasimir. Einer, der verstanden hat, dass seine Weichheit seine Stärke ist.
Welche Rolle spielt dabei seine Beziehung zu Pola?
Im Gegensatz zu Jenny fasziniert Kasimir dieses Schillernde von Pola, das er aus seiner Welt so gar nicht kennt. Ihre Offenheit und ihr Charme ziehen ihn an und gleichzeitig ist sie auch eine Mutterfigur für ihn, weil sie die Einzige ist, die seine Unsicherheit erkennt und mit der er darüber auch spricht. Sie gibt ihm den Halt und die Nähe, die er bei Jenny vergeblich sucht. Und für mich war ein entscheidender Aspekt, dass es auch um die Nähe zwischen einem jungen Mann und einer Frau geht, die deutlich älter ist als er, und nicht nur um eine junge Frau und einen älteren Mann. Ich denke, das führt zu einem aufgeladenen Gefühlschaos, bricht übliche Erzählgewohnheiten auf und stellt auch die Frage nach Geschlechterbildern.
Butzke und Kasimir sind zwei völlig unterschiedliche Typen. Welche Männerbilder werden hier verhandelt?
Hier prallen verschiedene Männlichkeits- und Lebensmodelle aufeinander. Kasimir verkörpert das Männlichkeitsbild meiner Generation. Männlich ist es auch, Schwäche zuzulassen – und Verletzlichkeit zu zeigen, ist eine Stärke. Dieses klassische Bild vom starken, toughen Macho-Mann aus dem letzten Jahrhundert ist out. Wir haben heute ein anderes Anstandssystem, und das ist nicht erst seit #MeToo so. Ich glaube, dass viele – bei weitem leider noch nicht alle – viel stärker damit aufwachsen, tolerant, respektvoll und vorsichtig miteinander umzugehen, unabhängig vom Geschlecht. Butzke in seinem Benehmen repräsentiert da schon ein Männerbild, dem Kasimir als einem Vertreter seiner Generation kritisch gegenübersteht.
Der Macho Butzke landet aber trotzdem eher bei Jenny als Kasimir mit seiner einfühlsamen Art ...
Das stimmt. Auch das gehört zu Kasimirs Weg dazu: Er muss verstehen, dass er Jenny nicht verändern kann und ihre Entscheidungen akzeptieren muss. Als Butzke mit Jenny und Kasimir essen geht, wird Kasimir klar, dass er diesem Protz von Butzke nicht nacheifern will, sondern er sagt sich, das bin ich eben nicht, und wenn du das willst, muss ich mich zurückziehen. Dann bin ich erst mal weg. So schwer es für ihn ist und so weh es ihm tut. Das finde ich eigentlich cool. Natürlich lässt er sich viel bieten und hadert lange mit sich. Trotzdem ist Kasimir, denke ich, derjenige, der sich am wenigsten moralisch vergaloppiert und sich auf eine völlig unaggressive Weise behauptet. Er könnte Butzke auch eine reinhauen, das tut er aber nicht.
Der Film erzählt von einem Mutter-Tochter-Konflikt. Ist das Verhältnis zwischen Müttern und Töchtern schwieriger als das zwischen Müttern und Söhnen?
Ich glaube tatsächlich, dass das Mutter-Tochter-Verhältnis oft sehr komplex und aufgeladen ist. Das bekomme ich zumindest oft so mit. Da wird häufig sehr viel ausdiskutiert und viele Konflikte werden offen ausgetragen, was ich an sich übrigens ziemlich cool finde. „Nachts baden“ ist für mich deshalb auch ein Liebesfilm, der von der Liebe zwischen Mutter und Tochter erzählt. Es gibt Missverständnisse, sie verfehlen und verpassen sich und versuchen dennoch irgendwie eine Annäherung.
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