Gespräch mit Drehbuch-Autor Sven Stricker

Der Bürgermeister (Karl-Friedrich Winzer) ist tot: Malte (Leo Meier) und Sörensen (Bjarne Mädel) am Tatort.
Der Bürgermeister ist tot: Malte und Sörensen am Tatort. | Bild: NDR / Michael Ihle

Sie erzählen in Ihrem Buch die Geschichte eines Kommissars, der unter einer Angststörung leidet. Haben Sie einen besonderen Bezug zu dem Thema?

Sörensen ist keine autobiografische Figur, aber sie deckt viele Aspekte ab, die ich von mir selber und von anderen kenne. Sie basiert auf persönlichen Erfahrungen und auf vielen Gesprächen mit Betroffenen. Die Angststörung ist die häufigste psychische Erkrankung. Jeder sechste hat statistisch gesehen im Laufe seines Lebens mit einer Angststörung zu tun. Die Dunkelziffer ist hoch. Aber nur wenige sprechen darüber. Denn eine Angststörung ist nicht so wie ein Burnout, wo Sie vorher wahnsinnig viel gearbeitet und etwas fürs Bruttosozialprodukt getan haben müssen. Angststörung klingt immer so nach: Was ist denn mit dem los? Wovor hat der denn Angst? Als Autor war es mir wichtig, das Thema zumindest für einen kurzen Moment ins Bewusstsein zu rücken. Ich wollte realistisch erzählen, was die Angst mit dem Körper und mit der Seele macht. Für mich wäre es das Tollste, wenn Betroffene über unseren Film sagen würden: Genau so fühlt sich das an!

Wie fühlt es sich an?

Sehr individuell, weil es so viele verschiedene Formen der Angst gibt. Angstpatienten wie Sörensen reagieren sehr empfindlich auf Geräusche, auf Lärm und Licht. Es ist alles sehr schnell zu laut und zu grell. Wenn das Fenster geschlossen ist, dann glaubt man im Zimmer zu ersticken. Wenn es geöffnet ist, hört man die Fahnen im Wind flattern und die Masten klappern so laut, dass es nicht zu ertragen ist. Bjarne hat diese Zustände im Film eins zu eins rübergebracht. Seine Blicke, seine Gesten, das Krampfen der Hände, alles ist so stimmig, dass einem als Betroffenen ganz anders wird.

Haben Sie den Kommissar Sörensen für Bjarne Mädel erfunden?

Bjarne hat mir bei meinem ersten Roman "Schlecht aufgelegt" sehr geholfen. Das Buch geht auf ein Hörspiel zurück, das ich mit Bjarne in der Hauptrolle aufgenommen hatte. Er hat mich quasi dahin geschubst, doch einen Roman daraus zu machen, und ist dann mit den ersten 70 Seiten zu verschiedenen Verlagen marschiert, weil es ihm gefallen hat. So bin ich zu Rowohlt gekommen. Das kann ich ihm gar nicht hoch genug anrechnen. Da habe ich ihm gesagt: Die nächste Figur erfinde ich für dich, eine Figur, die viele Facetten deiner Schauspielkunst abbilden wird. Das war mein kleines Dankeschön.

Auch "Sörensen hat Angst" war zuerst ein Hörspiel. Wie wurde ein Film daraus?

Der Stoff begleitet mich schon seit über sechs Jahren. 2014 habe ich mit Bjarne das Hörspiel aufgenommen, ein Jahr später den Roman abgeschlossen und gleich die Filmrechte daran verkauft. Das Lustige ist: Unser Produzent Jakob Claussen wusste überhaupt nichts von einem Hörspiel mit Bjarne. Er fand das Buch auch so gut. Als ich ihm sagte, dass wir übrigens schon den perfekten Hauptdarsteller hätten, Bjarne Mädel, da hat er sich natürlich sehr gefreut. Zusammen haben wir dann anderthalb Jahre an meinem ersten Drehbuch gearbeitet.

Haben Sie sich von skandinavischen Krimis inspirieren lassen?

Das ist tatsächlich so. Je düsterer die Umgebung, je tragischer die menschlichen Schicksale, desto wohler fühle ich mich in der Geschichte. Ich habe fürs Hörspiel elf Wallander-Krimis nach Henning Mankell inszeniert und diese Zeit sehr genossen. Ich wollte die melancholische Stimmung seiner Bücher in meine Geschichte übertra - gen und sie mit einer bestimmten Art von Humor kreu zen, wie ich sie in den Romanen von Sven Regener finde. Und natürlich musste mein Krimi an der Küste spielen. Ich bin selber Nordfriese und weiß genau, wie trostlos es dort im Herbst und Winter sein kann.

Warum geht einer zur Polizei, der unter Angststörungen leidet?

Gerade deswegen. Angst braucht immer eine Disposi - tion. Sörensen ist zur Polizei gegangen, um diese Disposition zu überwinden. Die eigentliche Störung kam dann erst später hinzu. Privat liegt ihm der Beruf gar nicht so. Als Gegengewicht habe ich ihn mit dem schlimmsten Verbrechen konfrontiert, das ich mir vorstellen konnte. Es ist dermaßen schrecklich, dass er sich mit seiner Angststörung komplett daran abarbeiten muss. Sörensen kann den Fall nur lösen, wenn er vor seiner Angst nicht davonläuft, sondern sich ihr stellt.

Darf es einem Film Humor geben, in dem um so schreckliche Verbrechen geht?

Der Humor steht nie in Verbindung mit dem Verbrechen. Es war uns wichtig, diese Ebenen sauber zu trennen. Sörensen ist immer kurz vor dem Untergehen und schafft es mit Hilfe seines Humors, sich wieder und wieder hochzuziehen und seinen Kopf über Wasser zu halten. Aber die Geschichte macht sich nie über die Opfer oder die Krankheit lustig, sondern über das Leben drum herum. Der Humor dient dazu, sich in einer absurden Welt Mut zu machen und Distanz aufzubauen, zu sich selber und zu seiner Erkrankung. Auf der anderen Seite schafft man es mit Humor, die Zuschauer über das Herz an die Figuren zu binden. So sind sie vielleicht bereit, auch das Elend mitzutragen.

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