Drehbuchautoren Eva Zahn und Volker A. Zahn

Drehbuchautoren Eva Zahn und Volker A. Zahn
Drehbuchautoren Eva Zahn und Volker A. Zahn  | Bild: NDR / Wolfgang Ennenbach

»Wir konfrontieren unser Publikum mit der Frage: Wie würdest du dich in einer solchen Situation verhalten?«

Sie greifen in Ihrem Film "Was wir wussten – Risiko Pille" einen Fall von 2009 auf. Damals brachten Pharmakonzerne neue Anti-Baby-Pillen auf den Markt, ohne im Beipackzettel vor dem deutlich erhöhten Thrombose-Risiko zu warnen. Wie sind Sie auf das Thema gestoßen?

Eva Zahn: Unser Produzent Martin Zimmermann kam mit der Idee auf uns zu, über die umstrittenen Antibaby-Pillen der 3. und 4. Generation einen Film zu machen. Wir haben dann überlegt, welchen erzählerischen Zugang wir finden könnten – und zwar jenseits der konventionellen fiktionalen Aufarbeitung solcher Skandale. Gereizt hat uns schließlich die Frage, wie solche Risiko-Präparate auf den Markt kommen und was in den Leuten vorgeht, die für die Markteinführung verantwortlich sind. Das sind ja keine Unmenschen oder eiskalten Bösewichte, die ihren Kunden bewusst Leid zufügen wollen. Das sind Arbeitnehmer, die ihren Job möglichst gut erledigen wollen und plötzlich mit Gewissensentscheidungen konfrontiert sind: Wie viel Verantwortung trage ich für verwerfliche Entwicklungen in meinem Unternehmen? Wie viel Widerstand kann ich leisten? Was bin ich bereit zu riskieren? Das sind Dilemmata, mit denen Arbeitnehmer auch in anderen Branchen konfrontiert sind, nicht nur in der Pharma-Industrie.

Volker A. Zahn: "Was wir wussten" ist ein Working Place-Drama und ein Film über den ganz alltäglichen Opportunismus. Es geht um die Uralt-Frage, was zuerst kommt: die Moral oder das Fressen? In vielen Fällen – und Filmen – wird diesbezüglich schwarz-weiß gemalt: Gut gegen Böse, die Rollen sind klar verteilt. Aber so einfach liegen die Dinge in der Realität nicht. Die meisten Leute da draußen sind keine Superhelden. Sie sind in Strukturen und Sachzwängen gefangen, arbeiten im Team, gieren nach Anerkennung und bringen ihren privaten Rucksack mit auf die Arbeit – das alles macht sie anfällig für Relativierungen, dafür, sich Skandalöses schönzureden oder sich einlullen zu lassen. Und jeder, der weiß, dass etwas schiefläuft, wägt ab: Macht es Sinn, auf den Tisch zu hauen? Ändert das irgendwas? Oder werde ich kleines Rädchen im Getriebe einfach ausgetauscht, und die Maschine läuft ungestört weiter?

2015 haben Sie in Ihrem Film "Unter der Haut" den Bluter-Skandal fiktional aufbereitet. Haben Sie etwas gegen die Pharmaindustrie?

Eva Zahn: Nein. Es gibt ja sehr viele großartige und hilfreiche Produkte, die wir der pharmazeutischen Industrie verdanken. Grundsätzlich wollen die Pharmafirmen gute und zuverlässige Produkte herstellen. Man will schließlich Geld verdienen, und jede Negativschlagzeile ist schlecht für die Bilanzen. Das Problem beginnt dann, wenn die Risiken eines Produkts verschwiegen oder kleingeredet werden. Wenn man Wissenschaftler oder Ärzte anheuert, um mit Statistiktricks für bessere Ergebnisse zu sorgen. Wenn man den Patienten keinen reinen Wein einschenkt

Volker A. Zahn: Hinzu kommt in diesem Fall, dass die Konzerne für die neuen Antibaby-Pillen sehr junge Mädchen als Zielgruppe ausgeguckt hatten. Man hat die Anti-Baby-Pillen der 3. und 4. Generation als Lifestyle-Produkte und Schönheitspillen vermarktet, kleine Geschenke wie Schminkspiegel oder hübsche Etuis beigelegt und über verschiedene Internetportale und mit Hilfe von Influencern gezielt Teenager angesprochen: Hey Girls, wir haben hier ein neues Verhütungsmittel für euch, das macht eine reine Haut, eine tolle Figur und schönes Haar! Die Pillen hatten ja gleichzeitig eine Zulassung als Anti-Akne-Präparate erhalten. Diese Strategie muss man den Konzernen vorwerfen, die nur den Erfolg sehen: Noch heute sind die Pillen der 3. und 4. Generation die meistverkauften Antikontrazeptiva in Deutschland. Der Bayer-Konzern hat in den letzten Jahren mit diesen Produkten mehr Umsatz gemacht als mit Aspirin.

Ihr neuer Film erzählt anders als "Unter der Haut" nicht von den Opfern, sondern von den Tätern

Eva Zahn: Die betroffenen Frauen hatten keine Wahl. Sie wussten nicht, was sie da schlucken. Sie wurden kalt erwischt. Wir wollten aber einen Film über Menschen machen, die eine Wahl haben. Die sehr genau wissen, was sie tun.

Volker A. Zahn: Über die Selbsthilfegruppe "Risiko Pille" waren die betroffenen Frauen von Anfang an in das Projekt involviert. Es war uns wichtig, dass sie im Film auftreten und im Abspann zu sehen sind. Wir erzählen im Film auch von ihren Protestaktionen auf einer Aktionärsversammlung. Aber grundsätzlich haben wir immer den Anspruch, uns den Themen nicht auf vorhersehbare Art und Weise zu nähern. Wir suchen nach einem erzählerischen Ansatz, der überrascht, nach einem Plot, der die Erwartungen an diese Art von Geschichten bewusst unterläuft.

Der amerikanische Regisseur Sydney Pollock hätte in einem solchen Fall Tom Cruise in die Firma eingeschleust, der die Machenschaften aufdeckt und die bösen Manager hinter Gittern bringt. Ist Ihre Hauptfigur so ein Held?

Volker Zahn: Eben nicht. Unsere Hauptfigur Carsten Gellhaus, ein Arzt, der jetzt für die Pharmaindustrie arbeitet, ist alles andere als ein Held. Pharmaskandal, skrupelose Konzerne, unschuldige Opfer – das riecht tatsächlich nach Tom Cruise oder Erin Brokovich. Aber solche Geschichten reizen uns nicht. Uns hat interessiert, wie so ein Skandal ins Rollen kommt, welche Mechanismen greifen, um das Gewissen des Einzelnen zu beruhigen, wie die Arbeit im Team eine Eigendynamik entwickelt, die es einem abhängig Beschäftigten schwer macht, sich gegen den Arbeitgeber und die eigenen Kollegen zu stellen. Das sind Dinge, die sich nicht in Hollywood oder in den Köpfen fantasiebegabter Drehbuchautoren abspielen, sondern jeden Tag im Alltag vieler arbeitender Menschen.

Eva Zahn: Es wird den Zuschauern nicht leichtfallen, sich mit unserer Hauptfigur zu identifizieren. Sie können sich nicht einfach zurücklehnen und die Drecksarbeit dem Helden überlassen. Wir konfrontieren unser Publikum stattdessen mit der Frage: Wie würdest du dich in einer solchen Situation verhalten? Hättest du den Mumm, Widerstand zu leisten oder die Brocken hinzuschmeißen? Wie manipulierbar bist du? Aber es geht uns nicht darum, ein bestimmtes Verhalten zu verurteilen, uns interessiert, wie die Figuren in solchen Situationen versuchen, irgendwie ihre Würde zu wahren.

Wie viel Verantwortung kann der Einzelne schultern?

Eva Zahn: Natürlich muss sich jeder von uns fragen, ob er mit dem, was er tut, kauft oder produziert, anderen Menschen oder der Umwelt schadet. Aber wenn wir eine weniger wirtschaftsfreundliche Politik mit strikteren Reglementierungen und Vorschriften hätten, könnte man den Bürgern manches Dilemma ersparen. Stichwort: Flight Shame. Die Lobbyisten leisten ganze Arbeit, und die Regierungsparteien machen sich lieber einen schlanken Fuß und schieben dem Einzelnen die Verantwortung zu. In Frankreich hat die Politik gehandelt: Da sind die Pillen der 3. und 4. Generation nicht verschreibungsfähig, werden also nicht von den Kassen bezahlt. Die Thrombose-Fälle sind spürbar zurückgegangen.

Die Zuschauer hasten mit den Protagonisten von einem Meeting ins nächste. Haben Sie recherchiert, wie solche Besprechungen in der Pharmaindustrie ablaufen?

Volker A. Zahn: Ja, wir hatten sehr gute Informanten in der Branche. Die haben uns eine Menge über die internen Abläufe erzählt, über die Gruppendynamik innerhalb solcher "Action Teams" oder den manchmal grotesken Konferenz-Jargon. Auch dass ein Konzernmitarbeiter nicht will, dass seine Familienmitglieder ein Medikament nehmen, das seine Firma gerade auf den Markt gebracht hat, ist nicht frei erfunden.

Schon 2012 haben Sie in Ihrem Psychodrama "Mobbing" erzählt, was die Arbeitswelt in einem anrichtet. Der Schauplatz des Films war die Familie eines gemobbten Angestellten.

Volker A. Zahn: Mit "Mobbing" haben wir einen Film über die Arbeitswelt gemacht, ohne diese Welt zu betreten, es ging um die Auswirkungen des Jobs aufs Privatleben. Diesmal haben wir den Spieß umgedreht und zeigen, wie auch familiäre oder persönliche Konflikte das Verhalten im Job beeinflussen. In Familie und Beruf spielen sich die wildesten Geschichten ab, es ist schade, dass so selten Working Place-Dramen im deutschen Fernsehen erzählt werden. Da ist noch Luft nach oben.

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