Interview mit den „Großeltern“
Victoria Trauttmansdorff, Dominic Raacke, Sima Seyed und Ramin Yazdani

Anoushe und Masud Mandipur haben innerhalb der letzten 40 Jahre kein einziges Mal den Iran besucht und in ihrem Schrebergarten hängt sogar die Deutschland-Flagge. Als es um die Religionsentscheidung für den Enkelsohn geht, entsinnt sich Masud jedoch ganz plötzlich seiner Herkunft. Woher kommt der Sinneswandel?
Ramin Yazdani: Der ursprünglich iranische Familienvater, der 40 Jahre lang in Deutschland gelebt und den Liberalismus und die Freiheit genossen hat, sieht sich von der Schwiegerfamilie überrannt, die alles bestimmen möchte und er ist enttäuscht, dass der Enkel nicht einmal seinen Namen trägt. Da besinnt er sich plötzlich auf seine Tradition, weil er den Wunsch verspürt, dass sein Enkel auch etwas von ihm mitbekommen soll.
Sima Seyed: Selbst nach 40 Jahren des assimilierten Lebens in ihrer Wahlheimat Deutschland können den Menschen Dinge passieren, die längst vergessene Gewohnheiten und Werte wieder auftauchen und neugewonnene Sitten und Gebräuche fremd und fadenscheinig erscheinen lassen. Die Brücke, die die Mandipurs als Verbindung zwischen den alten, zuweilen nostalgisch wirkenden und den modernen Verhaltensregeln geschlagen hatte, hält sie plötzlich voneinander getrennt.
Familie Helmrich erscheint zunächst sehr tolerant und weltoffen. Als es dann aber um die Namenswahl und zukünftige Religionszugehörigkeit des neugeborenen Enkelsohns geht, sind sie doch voller Ressentiments. Wie erklären Sie sich das?
Victoria Trauttmansdorff: Die Familie scheint weltoffen, sie ist es sogar auch. Ich könnte mir gut vorstellen, dass Beatrice sich in der Flüchtlingskrise leidenschaftlich engagiert hat, indem sie z.B. bei ihren Freundinnen Klamotten für Kleiderspenden gesammelt hat. Traditionen sind wichtig, weil sie eine Art von Identität schaffen und eine gewisse Sicherheit vermitteln, aber wo fängt das Engstirnige an? Darum geht es ja in dieser Geschichte.
Dominic Raacke: Holger ist schon ein konservativer Typ und dass seine jüngere Tochter in wilder Ehe mit einem Moslem lebt und auch noch ein Baby mit ihm hat, ist ein aufwühlender Konflikt in seiner Lebensanschauung. Das macht Holger zu schaffen und er versucht den Spagat zwischen freundlich und streng, was ihn immer wieder straucheln lässt. Aber er macht unmissverständlich klar, dass sein Enkelsohn kein Moslem wird und die Taufe ein absolutes Muss ist.
Geht es den beiden Familien wirklich nur um Traditionen oder doch eher um den persönlichen Einfluss auf die jungen Eltern?
Victoria Trauttmansdorff: Die beiden Familien wollen die Identität des Babys und die seiner Eltern prägen. Sie wollen vorkommen, sie müssen vorkommen. So lebt ein Teil von ihnen in dem Kind weiter. Das kann ich bis zu einem gewissen Punkt auch verstehen.
Sima Seyed: Die Geschichte zeigt die Konfrontation zweier Generationen mit dem Ziel, der jungen Generation ihren Stempel aufzudrücken und sich Anerkennung bei Verwandten, Freunden und in der eigenen Gemeinschaft zu sichern. Es geht letztlich auch um die Sicherung des eigenen gesellschaftlichen Status‘ und Ansehens.
Dominic Raacke: Für Holger besteht kein Unterschied zwischen Tradition und Einfluss, er würde es wahrscheinlich „Selbstverständlichkeit“ oder „verantwortliches Handeln“ nennen.
Ramin Yazdani: Klar, beide Familien sind säkular, aber auch konservativ! Und sie wollen deshalb ihren persönlichen und ideologischen Einfluss auf die jungen Eltern ausüben.
Spielen Religion und Herkunft eine Rolle in Ihrem persönlichen Leben?
Sima Seyed: Meine Biografie ist der der Familie Mandipur nicht ganz fern. Im Jahre 1984 musste ich mit meiner Familie aus meinem Heimatland, dem Iran, nach Deutschland auswandern und meine Freunde und Verwandten dort zurücklassen. Als säkular denkende Nicht-Muslimin hätte ich unter der nunmehr islamischen Herrschaft nicht mehr überleben, geschweige denn, gesellschaftlich aktiv sein können. Auch heute, 37 Jahre später, kann und will ich mich nicht den undemokratisch, vor allem frauenfeindlichen, Gesetzen beugen, damit ich mein Heimatland wiedersehen darf, obwohl ich das Land meiner Geburt natürlich sehr vermisse.
Ramin Yazdani: Die Antwort auf diese Frage würde den Rahmen des Interviews sprengen. Vielleicht nur in aller Kürze: Selbstverständlich bin ich durch meine Herkunft geprägt, genauso, wie mich das Leben in Deutschland geprägt hat.
Victoria Trauttmansdorff: Ich komme aus einem Umfeld, in dem Tradition, gelinde gesagt, sehr ernst genommen wird. Ich bin in einer sehr katholischen Familie aufgewachsen, hatte aber eine anglikanische Mutter. Schon hier gab es das erste Mal Grund für einen „culture clash“. Als Scheidungskind hatte ich oft große Sehnsucht nach einem traditionellen Familienleben, es vermittelt eine tiefe Sicherheit. Das Gefühl von familiärem Zusammenhalt spielt in meinem Leben immer noch eine essenzielle Rolle. Und so war mir Beatrice Helmrich oft sehr vertraut.
Dominic Raacke: Sowohl Religion als auch Herkunft sind ein wichtiger Teil meines Lebens. Denn natürlich bin ich geprägt von den Menschen, die mich in dieses Leben gebracht haben, meine Eltern, meine Großeltern und alle anderen, die auf dem Weg in meiner Nähe waren.
Was ist für Sie die „Moral“ aus der Geschichte?
Ramin Yazdani: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN von 1948 besagt, dass „Heiratsfähige Männer und Frauen ohne jede Beschränkung aufgrund der Rasse, der Staatsangehörigkeit oder der Religion das Recht haben zu heiraten und eine Familie zu gründen… Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.“ Moral der Geschichte ist: die wahre Liebe zwischen zwei Menschen kennt keine Grenzen! Last but not least möchte ich ergänzen, dass die allgemeine Erklärung der Menschenrechte im Alten Persien, also Iran vor 2500 Jahren, auch schon existierte.
Dominic Raacke: Es ist keine Moral, aber es geht darum, mit den Gegebenheiten des Lebens klarzukommen, sich nichts vorschreiben zu lassen, sondern seinen ganz eigenen Weg zu finden. Sima Seyed: Wir sollten leben und leben lassen. Dazu müssen wir nicht unbedingt gleich aussehen, dieselben Meinungen vertreten und so ähnlich handeln wie unsere Mitmenschen. Für diesen Zweck müssen wir nur bereit sein, manchmal schweren Herzens, über den eigenen Schatten zu springen.
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