Fragen an Walter Sittler

Was hat Sie vor allem gereizt, Hermann Weber, den Rentner mit Hang zum Schwarzsehen, zu spielen?
Es ist ein bekanntes Phänomen: In schwierigen, meinetwegen auch tragischen Situationen, alles richtig machen zu wollen, führt oft zur Überforderung, die aber nicht zugegeben werden kann. Zumindest nicht bis zum Zusammenbruch. Wir leben in einer Gesellschaft, in der man eigentlich nichts „falsch" machen darf - eine letztlich ausweglose Situation. Das hat mich interessiert, wie eine Figur den Weg da herausfindet, natürlich mit Hilfe anderer Menschen.
Und an welchem Punkt bekommt dann Hermanns düstere Lebenseinstellung Risse?
Die Risse waren sicher immer schon da, aber wurden in der Vergangenheit durch den Tod seiner Frau deutlich und nach und nach breiter, fast unüberwindlich. Der Versuch, es dennoch hinzukriegen, ist rührend und dramatisch, unabhängig vom Ausgang.
Haben der Film und die intensive Beschäftigung mit der Rolle Sie beeinflusst, auch selber über das Leben und das Sterben nachzudenken?
Nein, das sind Themen, die mich schon lange begleiten. In einer großen Familie, wie der meinen, ist das ein ständiges, unausweichliches Thema.
Haben Sie eine persönliche Lebensphilosophie?
In leichter Abwandlung des Imperativs: Handle jederzeit so, wie Du selbst behandelt werden möchtest.
Hermann und Hanne sprechen über kleine Oasen der Ruhe und Schönheit – für Hermann bedeutet es vor allem, mit einem geliebten Menschen zusammen zu sein, egal wo. Haben Sie einen Lieblingsort, wo ist Ihre Oase der Ruhe und Schönheit?
Durch meinen Beruf habe ich viele schöne Orte sehen und erleben können, aber die Oase, wie Sie es nennen, ist dort, wo ich mit meiner Familie sein kann - meist ist es mit meiner Frau in Stuttgart.
Als ehemaliger Buchhändler schätzt Hermann Bücher natürlich über alles, und bei jeder Gelegenheit prangert er den Kulturverfall der Gesellschaft an. Sehen Sie das auch so, wird gute Literatur heute nicht mehr so geschätzt? Haben Sie einen Lieblingsautor oder -autorin? Und welche Rolle spielt die Literatur in Ihrem Leben, zumal Ihr Vater ja Literaturprofessor war?
Jede Zeit hat ihre Kultur, ob sie mir gefällt oder nicht. Es ist eine ständige Bewegung, und sicherlich wird gute Literatur heute genauso geschätzt wie im 20. Jahrhundert. Nur, wer bestimmt, was gut ist? Ich scheue mich, neue Literatur mit „alter" Literatur zu vergleichen, sie danach zu bewerten. Ein Buch packt mich oder nicht - das gelingt neuen Büchern genauso wie älteren. Bücher wird es immer geben, und die AutorInnen werden spannend bleiben, neue Sichten auf die Welt, die Gesellschaft. Das mit den Lieblingsautoren ist schwierig, weil immer neue dazukommen, aber wenn Sie wollen: Shakespeare, Tschechow, Kästner, Lessing, Knausgård, Bieri usw. Ich habe lange einen Bogen um Literatur gemacht, vielleicht gerade, weil mein Vater so viel damit zu tun hatte, habe Jerry-Cotton-Heftchen gelesen, aber in meinem Beruf ist die Literatur ja lebensnotwendig und sehr, sehr schön.
Für Hermann ein offensichtliches Zeichen des Kulturverfalls: Tattoos – wie denken Sie selbst darüber?
Es ist eine Mode, ein Trend, wie Minirock, Schlaghosen, Frisuren und wenn jemand sich damit wohl fühlt, vielleicht gar selbstsicherer und schöner – bitte. Für mich ist das nichts. Manche gefallen mir sogar, und bei anderen Tattoos stehe ich ratlos davor, aber dieser Zustand überkommt mich beim Blick auf die Entwicklungen der Welt auch immer mal wieder.
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