"Ein skrupelloses und menschenverachtendes Geschäftsmodell"
Daniel Harrich (Regie) und Gert Heidenreich (Buch) im Interview

Herr Harrich, zum Thema Waffenexporte haben Sie bereits mehrere dokumentarische Filme gedreht, u. a. die Doku "Waffen für die Welt" von 2014. Wie ist der Zusammenhang zwischen diesen Dokumentationen und dem fiktionalen Film "Meister des Todes"?
Daniel Harrich: Nur eine grundlegende, umfangreiche dokumentarische Recherche ermöglicht ein Verständnis für eine Thematik. Ohne dieses Detailverständnis kann man im fiktionalen Bereich letztendlich nur an der Oberfläche kratzen – jedenfalls keine überzeugende und packende Geschichte aus der verschwiegenen Welt der Waffenhändler erzählen. Die journalistische Recherche ist Grundlage für den Spielfilm "Meister des Todes".
Wie haben wir uns das Recherchieren unter Waffenhändlern vorzustellen?
Daniel Harrich: Wie in einem klassischen Agententhriller – geheime Treffen an Flughäfen und in Hotelhinterzimmern, Aktenübergaben und verdeckte Aussagen. Die Recherche läuft im übrigen bis zum heutigen Tag und wird im Rahmen des transmedialen Projekts auch nicht aufhören. Wir können alle Kanäle der ARD-Familie nutzen, und man darf gespannt sein, was noch alles kommen wird.
Worin liegt für Sie beide der Mehrwert der fiktionalen Erzählung?
Gert Heidenreich: Der Unterschied liegt schlicht darin, dass die Dokumentation informieren, vielleicht überzeugen soll, die Erzählung aber den Zuschauer bewegen, ergreifen und emotional in die Handlung ziehen kann. Ich habe dabei mit Daniel gemeinsam so gearbeitet wie sonst allein in meinen Romanen: Möglichst Ein skrupelloses und menschenverachtendes Geschäftsmodell Daniel Harrich und Gert Heidenreich im Gespräch Meister des Todes 8 glaubhafte Figuren sollen Anteilnahme ermöglichen und den Leser / Zuschauer in den Erzählraum hineinziehen. Umso interessanter, wenn die fiktive Geschichte auf Recherchen beruht.
Daniel Harrich: Mit dem Spielfilm "Der blinde Fleck – Das Oktoberfestattentat" konnten wir bei einem über viele Jahre fast vergessenen Thema einen gesellschaftlichen Denkanstoß geben und letztendlich echten Wandel bewirken. Mit der Wiederaufnahme der Ermittlungen des Generalbundesanwalts haben wir Justizgeschichte geschrieben. "Meister des Todes" kann, auch aufgrund unserer umfangreichen dokumentarischen Recherche, eine Geschichte aus der geheimen Welt der Waffenhändler erzählen. So erreichen wir ein weitaus größeres Publikum und können einem äußerst wichtigen Thema mit Spannung und Emotion generationsübergreifend Relevanz verleihen.
Wie sind Sie vorgegangen, als das Drehbuch entstand? Wie nah an realem Geschehen sollte es sein? Hat man als Journalist manchmal Skrupel, wenn es gilt, das Geschehen zu fiktionalisieren?
Gert Heidenreich: Ausgangspunkt unserer Filmgeschichte waren aktuelle Recherchen im Milleu der Waffenhändler. Das Fiktionalisieren war dann der Prozess, in dem aus den dokumentierten Personen Menschen aus Fleisch und Blut wurden. Das heißt: Alles, was in Dokumenten zum Leben fehlt, haben wir durch Fantasie, Dramaturgie usw. erfunden. Mir hat das, wie immer beim Schreiben, auch hier Spaß gemacht, zumal der Dialog mit Daniel kreativ und produktiv war. Skrupel darf man als Autor nur dort haben, wo man einen erkennbar real existierenden Menschen verleumdet. Wir haben aber mit dem "halben Helden" Peter Zierler eine Hauptfigur geschaffen, die eine Art Parzival-Charakter ist: Ein netter, naiver Junge, der Spaß hat am Ritterspielen, also an Waffenvorführung, sich nie die richtigen Fragen stellt, und dann durch eine schmerzhafte Erfahrung darauf gestoßen wird, Fragen zu stellen: Was ist meine Verantwortung, was sind die Folgen meines Tuns? Dadurch gerät er in Konflikt: mit seiner Familie, seiner Waffenfirma, seinem väterlichen Freund. Liebe, Freundschaft, ja seine Existenz muss er riskieren, wenn er nicht sein neues Leben aus den Augen verlieren will. Das ist eine Figur, wie Autoren sie lieben: Einer, der wahrlich nicht zum Helden prädestiniert ist, findet seinen Weg. Und Hanno Koffler spielt ihn wundervoll sensibel, anrührend und differenziert.
Daniel Harrich: Die Realität ist oft weitaus schockierender, als man es sich in der Fiktion ausdenken kann. Wenn man mir so ein Drehbuch mit der Anmerkung "Das ist Fiktion" vorgelegt hätte, hätte ich es möglicherweise als spekulativ und völlig übertrieben zur Seite gelegt. Wie gesagt: Die Realität ist bisweilen noch brutaler, korrupter und schmutziger als wir es im Spielfilm darstellen.
Gibt es reale Vorbilder für die Figuren?
Daniel Harrich: Im Rahmen unserer dokumentarischen Recherche haben wir zahlreiche Menschen kennengelernt, die uns Auskunft gegeben haben. Sie sind Whistleblower – moderne Helden –, die ermöglichen, diese schmutzigen Geschäfte endlich aufzudecken. Wer sie sind und woher sie kommen – diese Fragen werde ich nicht beantworten. Es geht nicht nur um Geld oder ihre Arbeitsplätze, sondern möglicherweise um ihre körperliche Unversehrtheit. Ihre Hinweise haben uns bei der Entwicklung des Filmstoffs geholfen.
Sieht man den Fernsehfilm, ist man verblüfft, wie selbstverständlich Peter Zierler und Alex Stengele als HSW-Repräsentanten in einer der Provinzen Schulungen anbie- Meister des Todes 10 ten, in die eigentlich keine Waffen geliefert werden durften. Wie müssen wir uns das Geschäftsmodell der erfundenen Firma HSW vorstellen, dass so etwas möglich wird?
Daniel Harrich: Die Firma und deren Vertreter agieren wortwörtlich ohne Rücksicht auf Verluste und – schockierenderweise – mit aktiver Unterstützung der für Kriegswaffenexportkontrolle zuständigen Ministerien und Behörden. Es läuft alles so ab, als sei es nie anders gelaufen – völlig selbstverständlich. Diese Personen gehören nicht in ein Amt, sondern auf die Anklagebank.
Gert Heidenreich: Meiner Meinung nach ist dieses Geschäftsmodell skrupellos und menschenverachtend.
Zu dem Themenabend im Ersten gehört auch die Doku "Tödliche Exporte – Wie das G36 nach Mexiko kam". In welcher Weise schreibt sie die bisherigen Recherchen fort?
Daniel Harrich: Für die Zuschauer ist es wichtig, eine Verortung in der Realität zu finden und zu verstehen, dass es sich hier nicht um einen Einzelfall, ein schwarzes Schaf der Rüstungsindustrie handelt, sondern die Regel ist. Die Dokumentation beleuchtet, wie auch das Web-Feature, die Hörfunkprojekte und ein Sachbuch die Welt der deutschen Waffenhändler.
Was sind Ihre Folgerungen aus der Beschäftigung mit dem Thema Waffenexport?
Gert Heidenreich: Ich habe mit 18 den Kriegsdienst verweigert, bin also ohnehin kritisch gegenüber Waffen eingestellt. Aber hier musste ich einiges dazulernen, was meine Haltung bestärkt.
Daniel Harrich: Die Rüstungsexportbranche funktioniert anders als alle anderen Wirtschaftszweige, die ich bislang kennengelernt habe. Es überschneiden sich einflussreiche Interessenslagen aus Privatwirtschaft und Politik auf eine beängstigende Art und Weise.
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