Gespräch mit den Drehbuchautoren Eva Zahn und Volker A. Zahn

Mila Sahin (Almila Bagriacik) schult junge Polizisten.
Mila Sahin schult die jungen Polizisten. | Bild: NDR / Christine Schroeder

Gespräch mit Eva Zahn und Volker A. Zahn

Drehbuch

»Die Zusammenarbeit war ein gelungenes Beispiel für eine zeitgemäße kreative Kooperation beim Filmemachen.«

Ihr "Tatort" erzählt von einer Gewalttat in der Polizeischule, von einer Vergewaltigung und von Rache. Haben Sie, wie so oft in Ihren Filmen, Fälle aus der Realität aufgegriffen?

Eva Zahn: Der Wunsch, den Fall an der Polizeihochschule spielen zu lassen, kam von Seiten der Redaktion. Wir haben darin eine gute Möglichkeit gesehen, die Kommissare Borowski und Sahin stärker in den Fall zu involvieren, vor allem emotional. Und bei der Backstory haben wir uns tatsächlich mal wieder von der Realität inspirieren lassen, von einem sehr tragischen Fall von Gruppenvergewaltigungen an jungen Mädchen.

Volker A. Zahn: Als thematische Inspirationsquelle würde ich auch die Gespräche und Recherchen rund um unseren Film "Das Leben danach" über die Duisburger Loveparade-Tragödie benennen. Wir haben uns damals sehr intensiv mit dem Thema "Trauma" beschäftigt und mit der Frage, wie Menschen fundamental erschütternde Ereignisse verarbeiten oder verdrängen. Unsere damalige Fachberaterin Dr. Sibylle Jatzko, Deutschlands bekannteste Trauma-Therapeutin, hat uns auch beim Verfassen dieses Buchs wieder mit ihrer Expertise zur Seite gestanden.

Mila Sahin und Klaus Borowski werden zu Zeugen, wie eine Polizeischülerin bei einem Rollenspiel einen Mitschüler tötet. Was löst diese Tat in den Ermittlern aus?

Eva Zahn: Normalerweise sind Borowski und Sahin ja immer erst vor Ort, wenn der Mord schon passiert ist, da ergibt sich – bei aller Betroffenheit, die so eine Bluttat herruft –, meistens eine professionelle Distanz. In unserem Fall sind sie Tatzeugen und somit emotional unmittelbar involviert. Zudem müssen sie sich die Frage stellen – und gefallen lassen –, ob sie diesen Mord nicht hätten verhindern können. Und wer von ihnen wie viel Verantwortung trägt.

Volker A. Zahn: Borowski und Sahin kennen die Täterin und das Opfer sehr gut, sie versuchen an der Hochschule, gute Polizisten aus ihnen zu machen, und dann explodiert plötzlich vor ihren Augen die Gewalt. Natürlich kommen da auch bei unseren Helden unangenehme Fragen und Selbstzweifel auf: Habe ich etwas übersehen? Gab es irgendwelche Warnsignale? Hat meine Menschenkenntnis versagt?

Haben Sie recherchiert, wie Polizisten ausgebildet werden? Werden die Schüler zu einer gewissen Aggressivität erzogen?

Eva Zahn: Wie bei jedem Buch, das wir schreiben, haben wir auch für diesen "Tatort" das Milieu recherchiert, und natürlich haben wir auch mit Polizeischülern gesprochen. Interessant fanden wir tatsächlich, dass junge Polizisten lernen, "kontrolliert zu eskalieren", das heißt, sie müssen bei ihren Einsätzen in der Lage sein, eine gewisse einschüchternde Autorität auszustrahlen. Aber natürlich bewegen sich die Beamten da auf dünnem Eis: Wie viel "Robustheit" ist noch erlaubt? Wo ist die Grenze zur Übergriffigkeit und Gewalt?

Volker A. Zahn: Gerade für junge, unerfahrene Polizisten, die tagtäglich mit Aggressionen, Angriffen oder wüsten Beschimpfungen zu tun haben, ist es wichtig, die rechtlichen Grenzen ihres Handels zu kennen und zu respektieren. Unser Film zeigt ja recht drastisch, welche Folgen es haben kann, wenn Polizisten in dieser Hinsicht die Orientierung verlieren …

Borowski ist Dozent an der Akademie. Was sind die wichtigsten Lektionen, die er seinen Schülern beibringen will?

Volker A. Zahn: In unserer Geschichte werden die jungen Polizisten zu Beginn mit einer Selbstmörderin konfrontiert und können ihr nicht helfen. Sie sind hilflos und überfordert. Sie haben das gleiche Problem wie später auch Borowski: Sie fühlen sich schuldig, sie müssen lernen, mit diesem Gefühl umzugehen und sich davon nicht auffressen zu lassen. Aber Borowski zeigt, dass es selbst einem gestandenen Polizisten wie ihm immer noch schwerfällt, eigene Fehler – oder auch nur vermeintliche Fehler – zu akzeptieren.

Die Täterin Nasrin ist mehr noch ein Opfer. Würden Sie auf unschuldig plädieren?

Eva Zahn: Wir haben es in diesem Fall mit einem sehr schwer traumatisierten Menschen zu tun, und deshalb würde ich auf "unzurechnungsfähig" plädieren. Bei unseren Recherchen hat uns im Übrigen überrascht, dass es nach der Tat keinerlei psychologische Hilfe oder Betreuung selbst für offensichtlich schwer erkrankte Täter wie Nasrin gibt. Die Ermittlungen nehmen ihren gewohnten Gang, Therapeuten werden in die Vernehmungen nicht eingebunden. Erst wenn der Prozess anläuft, kommt es zu einer medizinischen Begutachtung.

Nasrins Tat zieht viele Menschen mit in den Abgrund. Erzählt Ihr "Tatort" eine große Tragödie?

Volker A. Zahn: Ja, es geht um verwüstete Lebensläufe, um die Wucht eines schweren Traumas, um Hass, Wut, Ohnmacht und darum, wie durch Gedankenlosigkeit und Zufälle eine Spirale der Gewalt in Gang gesetzt wird – und mittendrin unsere Helden, die mit sich und ihrem Handeln hadern.

Eva Zahn: Uns war es auch diesmal wichtig, einen erzählerischen Ansatz jenseits der üblichen Ermittler-Krimis zu finden, es geht in unserer Geschichte eben nicht um die Frage, wer der Mörder ist, sondern wie und warum Menschen zu Mördern werden. Nasrins Tat ist nicht der Anfang dieser Tragödie, sondern "nur" ein weiteres Kapitel in einem Reigen schicksalhafter Verkettungen und Eskalationen.

Sind die Kommissare machtlos gegen den "Fluch der weißen Möwe"?

Eva Zahn: Es werden unseren Kommissaren jedenfalls ziemlich drastisch ihre Grenzen aufgezeigt. Am Ende gibt es zwar eine Verhaftung, aber der bittere Beigeschmack bleibt, die Entfesselung der Gewalt nicht gestoppt zu haben.

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