Drehbuchautorin Lena Fakler über die erste Liebe der Kommissarin Julia Grosz, über verdeckte Ermittlerinnen und Polizeigewalt

Nana (Gina Haller), Maike (Jana Julia Roth) und Julia (Franziska Weisz) auf der Suche nach Ela.
Nana, Maike und Julia auf der Suche nach Ela. | Bild: NDR / O-Young Kwon

Die linke Szene in Hamburg hat vor Jahren mehrere Ermittlerinnen enttarnt, die ins autonome Zentrum Rote Flora eingeschleust wurden. Eine Polizistin soll dort sechs Jahre lang unter falscher Identität ermittelt und mehrere Liebesbeziehungen mit Aktivisten geführt haben. Greifen Sie in Ihrem Drehbuch die Spitzelaffäre auf?

Der Skandal wurde von der linken Szene umfangreich aufgearbeitet. Viele Informationen, die man über die Polizistinnen zusammentragen konnte, wurden im Internet veröffentlicht. Davon habe ich mich inspirieren lassen, um meine eigene Geschichte einer verdeckten Ermittlerin zu erzählen. Mich hat dabei besonders die Frage interessiert: Wie ist es zu erklären, dass diese jungen Frauen, die aus dem hierarchischen Polizeisystem kommen, in die linke Szene eintauchen und sich darin total verlieren? Warum sind sie intime Beziehungen eingegangen? Um bessere Ergebnisse zu erzielen, oder haben sie Gefallen an dieser Welt gefunden, die so ganz anders ist als der Polizeiapparat? Juristisch wurden die Einsätze nie im Detail aufgeklärt. Die Polizei hat zwar anerkannt, dass die Praktiken rechtswidrig waren – damit aber gleichzeitig ein Verfahren verhindert. Wegen dieser Leerstellen war für uns von Beginn an klar: Wir wollten nicht die Fälle der Roten Flora nacherzählen. Unsere fiktive Geschichte konzentriert sich auf eine junge feministische Gruppe in einem linken Hausprojekt.

Julia Grosz ermittelt in Ihrem „Tatort“ auf eigene Faust. Warum haben Sie die Kommissarin in den Vordergrund gerückt?

Ich fand die Grosz schon immer ziemlich cool, aber auch unnahbar. Deshalb habe ich ihr einen ganz persönlichen Fall geschrieben und ihre erste Liebe nacherzählt. Auf der Polizeischule hatte sie sich in eine Frau verliebt. Aber in dem Moment, in dem die Kollegin mit ihr zusammen sein wollte, bekam sie es mit der Angst zu tun und machte einen Rückzieher. Vielleicht hat Grosz diesen Schritt immer bereut, weil sie sich nie wieder so verliebt hat wie damals.

Sehen wir die Kommissarin in „Schattenleben“ einmal ganz anders?

Julia Grosz ist eine gute Polizistin, aber ich wollte sie von einer anderen Seite kennenlernen. Ich wollte erzählen, wie warmherzig und verletzlich sie ist. Als sie im Hausprojekt unter falscher Identität ermittelt, da findet sie bei den Frauen etwas, was sie tief berührt: Nähe und Freundschaft. Umso mehr wächst ihr schlechtes Gewissen, als Grosz erkennt, was ihre Freundin und sie selber anrichten, wenn sie in die Privatsphären der Menschen eindringen und mit ihnen spielen. Es muss schlimm sein, im Nachhinein herauszufinden, dass die Frau, die man liebte und mit der man Sex hatte, in Wahrheit nicht existierte. Für meine Geschichte war es wichtig, dass Grosz diesen Weg nachgeht und sich für einen Moment in dieser Solidarität und der Lebensfreude verliert. „Schattenleben“ legt den Fokus verstärkt auf die zwischenmenschlichen und emotionalen Töne.

Parallel deckt Kommissar Thorsten Falke Polizeiübergriffe auf. Sind diese Fälle real?

Sie sind das Ergebnis meiner Recherchen über strukturelle Polizeigewalt. Ich habe die Erkenntnisse fiktionalisiert und in individuelle Geschichten übersetzt. Zum anderen ist dieser Strang inspiriert von einer Geschichte, die ich in meinem Debütfilm „Am Ende der Worte“ von 2020 beleuchtet habe. Darin geht es um eine junge idealistische Polizistin, die ihren Dienst in einer Einsatzhundertschaft antritt und sich von der Macht verführen lässt, ihre Uniform missbraucht, um Gewalt auszuüben. Während meiner Arbeit am „Tatort“ stand ich außerdem in engem Kontakt mit dem Hamburger Professor für Polizeiwissenschaften Rafael Behr, der für sein Buch „Cop Culture“ den Korpsgeist bei der Polizei untersucht hat. Man schützt sich gegenseitig, deckt den Kollegen, wenn er gewalttätig wird, und man verrät ihn nicht, wenn er Mist baut. Behr hat unsere Polizeiszenen auf ihre Glaubwürdigkeit geprüft.

Für Aktivistinnen wie Nana in Ihrem Film ist die Polizei Feindbild Nummer eins und Gewalt gegen Polizisten legitim. Wie beurteilen Sie diese Position?

Ich bin definitiv der Meinung, die Polizei hat strukturelle Probleme, unter anderem mit Gewalt und Rassismus, die sie dringend bearbeiten muss. Es gibt für die Fälle von Polizeigewalt keine unabhängige Stelle, an die man sich wenden kann. Kollegen ermitteln in diesen Fällen gegen Kollegen – und der starke Korpsgeist unterdrückt die Möglichkeit, intern Kritik zu üben. Wer sich gegen einen Kollegen stellt, muss damit rechnen, ausgegrenzt zu werden. Auch davon erzählt dieser „Tatort“. Auf der anderen Seite legitimieren diese Probleme für mich keine Gegengewalt gegen einzelne Polizisten. Es liegt in der Hand des Staates und der Polizei selbst, die Strukturen zu reformieren, die Beamte besser auszubilden und gut auf ihren schwierigen Beruf vorzubereiten. Noch passiert hier eindeutig viel zu wenig.

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